Beziehungsgeschichten

Thomas Urban nähert sich dem deutsch-polnischen Verhältnis, indem er über „deutsche und polnische Fußballer im Räderwerk der Politik“ erzählt

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Verhältnis zwischen Polen und Deutschland war im 20. Jahrhundert von vielen Feindseligkeiten geprägt. Höhepunkt war die Terrorherrschaft der Deutschen in Polen während des Zweiten Weltkrieges – und die Verbrechen der Deutschen wirkten lange nach. Erst im Zuge der Entspannungspolitik der sozialliberalen Koalition Brandt/Scheel in den 70er-Jahren kam positive Bewegung in die Beziehungen. Willy Brandts Kniefall am Ehrenmal der Helden des Ghettos in Warschau 1970 war eine bahnbrechende Geste der Wiederannäherung. Seit den 1980er-Jahren waren es dann vor allem die Polen, deren Freiheitsstreben das sozialistische Machtmonopol ins Wanken brachte. Diesem Streben verdanken auch die Deutschen ihre Wiedervereinigung.

Thomas Urban, langjähriger Polen-Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung“, nähert sich dem deutsch-polnischen Verhältnis über den Fußball. „Deutsche und polnische Fußballer im Räderwerk der Politik“ heißt der Band Urbans im Untertitel. In elf Kapiteln samt einem Vorwort erzählt Urban griffig und anekdotenreich aus der deutsch-polnischen Fußballgeschichte. Anekdotenreich auch deshalb, weil er über viele polnische Quellen verfügen kann.

Urbans Streifzug beginnt mit dem „Skandalspiel von Kattowitz“ am 25. September 1927: Das entscheidende Spiel um die polnische Meisterschaft zwischen dem 1. FC Kattowitz und Wisla Krakau ging nach skandalösem Verlauf zugunsten der Krakauer aus. Die Kattowitzer, der „Club der deutschen Minderheit in Polen“, fühlten sich eklatant benachteiligt.

Hintergrund waren die deutsch-polnischen Streitigkeiten um die Zugehörigkeit Oberschlesiens nach dem Ersten Weltkrieg. In Kattowitz, nun Sitz des neuen polnischen Regierungsbezirks, hatten sich noch 1921 bei einer Volksabstimmung fast 85 Prozent der Einwohner für Deutschland ausgesprochen. Auch deshalb trug der FC Preußen 05, wie die Kattowitzer zunächst hießen, demonstrativ den preußischen Adler auf dem Trikot. Gemeinsam mit 143 weiteren Vereinen hatte man einen deutschen Fußballverband im polnischen Teil Oberschlesiens gegründet und beim DFB die Mitgliedschaft beantragt. Kein Wunder, dass die Polen diesem Verein mit Misstrauen begegneten. Der inzwischen in 1. FC Kattowitz umbenannte Verein blieb demonstrativ der Verein der Deutschen.

Die Situation der Fußballregion Schlesien, die 1939 nach der Besetzung Polens durch die Nazitruppen wieder deutsch wurde, machte eigenartige Karrieren möglich. So die des „vergessenen Wunderstürmers“ Ernst Willimowski. Denn der spielte sowohl in der polnischen Nationalmannschaft als auch in Sepp Herbergers Auswahlteam. Willimowski war beim 1. FC Kattowitz groß geworden und 1933 zum nicht weit entfernten damaligen polnischen Meister Ruch Wielki Hajduki (heute Ruch Chorzów, 14-maliger polnischer Meister) gewechselt. Nicht nur sportlich ein Verlust für die Kattowitzer, war doch ausgerechnet der oberschlesische Nachbarclub, „der Club der schlesischen Aufständischen“ gegen die Deutschen gewesen. Bei Ruch war der Neue einer der „drei schlesischen Könige“, wie man den Sturm mit Wodarz, Willimowski und Peterek nannte. Ihnen war  auch gelungen, was seitdem keiner polnischen Mannschaft mehr glückte: In einem Freundschaftsspiel schlug man den FC Bayern München. In der polnischen Nationalmannschaft gelang Willimowski ein bis heute geltender Rekord: In 21 Spielen erzielte er 22 Treffer.

Eine besondere Rolle spielten die ‚polnischen Fußballer‘ beim mehrmaligen deutschen Meister Schalke 04. Urban erläutert anschaulich, dass die Mannschaft um Kuzorra und Szepan sich keinesfalls als „Polackenclub“ verstand. Im Einklang mit den neuen Machthabern in Deutschland legte man Wert darauf, als „deutsche Jungen“ zu gelten. Viele der Spieler stammten aus Masuren, einer traditionell in religiöser und kultureller Hinsicht sich vom sonstigen Polen abgrenzenden Region. Auch deshalb waren seit dem 19. Jahrhundert zehntausende Menschen aufgebrochen, um im aufstrebenden Ruhrgebiet Arbeit und eine bessere Zukunft zu finden. „Es kränkte die Masuren“, so erläutert Urban, wenn man sie „Ruhrpolen“ nannte, oder sie abwertend als  „Polacken“ beschimpfte.

Urbans abwechslungsreicher Gang durch die deutsch-polnische Fußballgeschichte bietet auch ein interessantes Kapitel über den Fußball „im Untergrund“ während der deutschen Besatzung Polens. Erstaunlich, mit welch großem logistischen Geschick weiterhin Meisterschaften ausgespielt wurden.

Der polnische Fußball, so darf man nach Lektüre des Buchs feststellen, hatte immer einen sehr hohen Stellenwert. Herausragend war die polnische Mannschaft, die während der 1974er Weltmeisterschaft in Deutschland auftrat. Die Mannschaft um Lato, Szarmach, Gadocha und Deyna begeisterte die Fußballexperten mit frischem Offensivfußball, der erst in der „Wasserschlacht“ von Frankfurt im Spiel gegen die Deutschen zum Stehen kam. Die Polen verloren 0:1 und bis heute blieb ein Gefühl der Benachteiligung: Die bessere Mannschaft habe verloren und so den Titel verpasst.

Urbans Buch endet mit den „Spätaussiedlern“. Zu ihnen gehört auch der aktuelle Nationalspieler Lukas Podolski. Als er nach seinen Toren gegen die Polen während der Europameisterschaft 2008 auf Jubelgesten verzichtete, war dies nicht nur eine Geste der Anerkennung, sondern auch ein bemerkenswerter Hinweis auf eine lange deutsch-polnische Fußballgeschichte. Thomas Urban hat sie rechtzeitig zum Start der Europameisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine aufgearbeitet.

Titelbild

Thomas Urban: Schwarze Adler, weiße Adler. Deutsche und polnische Fußballer im Räderwerk der Politik.
Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2011.
192 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-13: 9783895337758

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