Schreiben als Befreiung und Sinnsuche

Mariana-Virginia Lazarescu analysiert Texte deutsch schreibender Autorinnen aus Rumänien

Von Anke PfeiferRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anke Pfeifer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Deutschsprachige Literatur hat in Rumänien durch die deutschen Siedlungsgebiete im Land eine lange Tradition. Für rumänische Germanisten befindet sich somit dieses Objekt wissenschaftlicher Untersuchung vor der eigenen Haustüre. Die an der Bukarester Universität tätige Germanistin Mariana-Virginia Lazarescu beschäftigt sich seit einigen Jahren mit deutscher Frauenliteratur dieses Raumes. Aus einer Lehrveranstaltung zu dem Thema ging die vorliegende Arbeit über drei Autorinnen hervor, die nicht die Bekanntheit von Rose Ausländer oder Herta Müller haben, aber auf ihre Weise durchaus als repräsentativ bezeichnet werden können. Selma Meerbaum-Eisinger wuchs in der nördlichen Bukowina auf, die zu deren Lebzeiten zu Rumänien gehörte. Karin Gündisch und Carmen Elisabeth Puchianu sind in Siebenbürgen gebürtig. Später folgen soll eine Publikation zu Schriftstellerinnen des Banats, aus dem auch Herta Müller stammt.

Im Vorwort führt die Verfasserin ihre Gründe für die Auswahl an, die neben der gleichen Sprache, dem Deutschen, und dem Herkunftsland auch Schreibmotive umfassen. Als verbindende Klammer gibt sie das für alle drei prägende Moment der Sehnsucht nach „Freiheit“, das Schreiben als Akt der Befreiung aus den Zwängen einer widrigen Realität an, aber auch „ein außergewöhnliches Gespür für das feinfühlige Beobachten der Wirklichkeit, eine Empfindsamkeit für das Alltägliche“. Hier schon werden ebenso die unterscheidenden Aspekte deutlich, die Lebenszeiten, -räume und -umstände, Schreibsituationen, die jeweilige Ästhetik sowie die bevorzugten Gattungen betreffen. Nach der Lektüre wird deutlich, dass die „Freiheit“ sehr unterschiedliche Dimensionen haben kann und die Besonderheit eines Schaffens sich an diversen Kriterien festmachen lässt. Den drei Studien gemeinsam ist die für eine wissenschaftliche Betrachtung eher ungewöhnliche Emotionalität der Verfasserin angesichts ihrer Studienobjekte, zu der sie sich explizit bekennt. Verweist Lazarescu doch auf ihr persönliches Verhältnis zu den drei Autorinnen, wobei sie zu zweien von ihnen langjährige persönliche Bekanntschaften unterhält.

Chronologisch vorgehend, analysiert Lazarescu zunächst Leben und Schaffen der mit Paul Celan weitläufig verwandten Czernowitzer Jüdin Selma Meerbaum-Eisinger, die lediglich ein schmales, aber ästhetisch wertvolles lyrisches Werk hinterließ. 1941 musste sie mit ihrer Familie ins Ghetto, 1942 wurde sie in ein Arbeitslager deportiert, wo sie im Alter von nur 18 Jahren starb. Meerbaum-Eisingers Schicksal berührt die Verfasserin sehr und bei der Analyse ist immer wieder ihre Erschütterung zu spüren. Die Ausführungen zum Werk von Meerbaum-Eisinger betitelte sie daher auch mit „Hommage“. Eingangs greift sie ein von Hilde Domin geäußertes Urteil über das vergleichbare dichterische Talent der Meerbaum-Eisinger und des jungen Hugo von Hofmannsthal auf und arbeitet komparatistisch Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Leben und Werk der beiden heraus. Dabei verweist sie auf die jüdische Herkunft beider, zu der sich die Schriftsteller jeweils unterschiedlich verhielten, und auf deren kulturelle Prägung durch die Habsburger Monarchie, die das kulturelle Leben in der Bukowina auch nach 1918 beeinflusste. Die Verfasserin analysiert Themen und Bilder und das sich darin spiegelnde Lebensgefühl der damals jungen Poeten und unterzieht dazu zwei Frühlingsgedichte einer eingehenden Interpretation. Anhand von Briefen, Tagebucheintragungen und Aussagen Dritter zeichnet sie eindringlich die letzten Lebensmonate der Dichterin nach, stellt diese mit ihren Naturgedichten in die deutsche Tradition der Romantik und leistet damit einen überzeugenden Beitrag zur weiteren Erschließung des Werkes von Meerbaum-Eisinger.

Die seit 1984 in Deutschland lebende Kinder- und Jugendbuchautorin Karin Gündisch veröffentlichte ihre Werke in beiden Ländern – hier wie dort wurde sie durch Literaturpreise geehrt. Lazarescu belegt Gündischs Selbstbild als rumäniendeutsche Autorin und Mittlerin zwischen Rumänien und Deutschland durch die Themenwahl in ihrer Prosa, in der es häufig um Minderheiten – Siebenbürger-Sachsen oder Roma – und um das Recht auf Anderssein geht. Sie setzt sich mit Vorurteilen auseinander und wendet sich mit ihrer einfühlsamen Aufklärung über andere Lebensweisen gleichermaßen an deutsche und rumänische Leser. Lazarescu untersucht ausführlich den Roman „Cosmin. Von einem der auszog, das Leben zu lernen“, der von dem Schicksal eines zwölfjährigen Romajungen in Siebenbürgen erzählt. In der Analyse werden zum Vergleich auch Geschichten gleicher Thematik von Astrid Bartel herangezogen. Die Literaturinterpretation ist eingebettet in eine gründliche und empathische Erörterung der sozialen Situation der Roma in Rumänien, die geprägt ist von Ausgrenzung wie von Bemühungen um ihre Integration. Gemäß dem Romanthema legt die Verfasserin ein besonderes Augenmerk auf die gegenwärtige Situation der schulischen Bildung von Romakindern und integriert konkret Vorschläge zu deren Heranführung an den Schulbesuch und damit zur perspektivischen Verbesserung der Lage der Roma generell. Dies ist zweifellos ein wichtiger praktischer Aspekt in der Ausbildung angehender Lehrer.

Auch in der Studie zu Carmen Elisabeth Puchianu, die als einzige der drei Schriftstellerinnen heute in Rumänien lebt und schreibt, wird auf landeskundliche Aspekte verwiesen, die ihre Literatur vermittelt. Hier konzentriert sich Lazarescu aber vor allem auf die detaillierte Analyse textimmanenter Elemente, vor allem auf die Zeit als eine zentrale Kategorie in ihrer Lyrik und Prosa, die „zu einer nuancenreichen, vielschichtigen Metapher für das gesamte dichterische Schaffen wird“. Die Verfasserin arbeitet heraus, wie Puchianu durch die literarische Konservierung von Lebens- und Redeweise, von Räumen, von Gedanken und Gefühlen gegen Vergänglichkeit anschreibt, wie sie nicht nur am eigenen Leib, sondern auch angesichts einer im Schwinden begriffenen deutschsprachigen Minderheit zu erfahren ist. Lazarescu deutet sie als Bewahrerin des Traditionellen durch die Verwendung der regionalen Sprache, den Griff nach Sprichwörtern und die Verarbeitung von Lebenserfahrung und Heimatgefühl und verortet ihr Schaffen gleichzeitig durch ihre „Vorliebe für Ironie, Entmythologisierung, Parodie, Distanziertheit“ in der postmodernen Prosa.

Lazarescu präferiert einen biografischen Ansatz, der dem Lebensumfeld sowie den erklärten Intentionen der jeweiligen Autorin einen wichtigen Platz zuweist, hat aber stets auch die potentielle Wirkung auf den Leser – basierend auf ihrem eigenen Leseeindruck – im Blick. Mitunter hätte man sich gewünscht, dass die Verfasserin die von ihr aufgegriffenen vielfältigen und anregenden Problemstellungen weiterverfolgt. Wie wäre zum Beispiel der Traditionsbezug Puchianus zur Literatur von Wolfgang Borchert, Ernest Hemingway und John Updike zu kennzeichnen? Für die These, Puchianus Gedichte schafften den „Übergang zwischen der ‚großen‘ binnendeutschen und der ‚kleinen‘ rumäniendeutschen Literatur“, fehlt ein dezidierter Nachweis. Eine explizite theoretisch-methodische Verortung der Studien wäre wünschenswert gewesen, da die Arbeit als Vertiefungsmaterial für Studierende gedacht ist. Nicht zuletzt durch ihre essayistischen Passagen dürfte sie ebenso für andere interessierte Leser eine anregende Lektüre sein. Kurzbiografien zu den Autorinnen und eine umfassende Bibliografie ergänzen den Band.

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Mariana-Virginia Lazarescu: "Schau, das Leben ist so bunt". Selma Merrbaum-Eisinger, Karin Gündisch und Carmen Elisabeth Puchianu: Drei repräsentative deutsch schreibende Autorinnen aus Rumänien.
Wissenschaftlicher Verlag, Berlin 2009.
105 Seiten, 17,80 EUR.
ISBN-13: 9783865734457

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