One Man Zeitgeist

Caroline Hamilton erklärt die literarische Evolution ,Dave Eggers’

Von Malte Wehr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hierzulande eben erst aus dem Nebel der amerikanischen Gegenwartsliteratur herausgetreten, ist Dave Eggers in den USA schon seit seinem kometenhaften Aufstieg mit „A Heartbreaking Work of Staggering Genius“ im Jahr 2000 einer der tonangebenden Literaten. Wie nachhaltig er diesen Ton selbst steuert, verdeutlicht Hamilton in ihrem eminent wichtigen Beitrag zur Literatursoziologie.

Die australische, an der University of Sydney promovierte Literaturwissenschaftlerin nähert sich dem Komplex Eggers mit den federleichten Schritten eines angelsächsischen Wissenschaftsduktus und einer klar konzipierten Struktur, die Eggers mit Eggers erklärt: In drei Stufen und über etwas mehr als eineinhalb Dekaden produktiven Schaffens folgt sie dem amerikanischen Autor auf seinem selbstbestimmten und die Medien bestimmenden Weg. Man begreift schnell, dass man sich nicht nur auf einem anderen, als dem deutschen Literaturmarkt befindet, sondern das Eggers auch ein Extrem der jüngsten amerikanischen Generation von Literaten darstellt.

Vom Einzeller zur ersten Zellteilung

Noch den elegant einleitenden Schwung aus Hamiltons Vergleich zwischen Dave Eggers und J. D. Salinger im Hinterkopf (Salinger durch Zurückgezogenheit ein passiver Teilnehmer des Literaturdiskurses, Eggers durch seine Mediendialektik diametral dazu), katapultiert uns die Autorin zu den Anfängen des von ihr proklamierten Zeitgeistes – und der liegt ihr zufolge in der kreativen do-it-yourself-Keimzelle der USA: Berkeley in den 1990er-Jahren. Hier fängt nun Eggers’ Zeit als Zeitschriftengründer, Redakteur und Autor an und wenn man so möchte, auch die Zeit der Aufzeichnung dieses literarischen Phänomens, allerdings erst in der autobiografischen Form seines bereits oben genannten Erstlingswerks „A Heartbreaking Work of Staggering Genius“, welches gerade seiner selbstreferentiellen Form nach von Hamilton als die erste Zündstufe eines literarisch-medialen Genies beschrieben wird und welchem die exponentiell in den literarischen Äther aufsteigende Flugbahn bereits eingeschrieben ist.

Die Zeitschrift „Might“ ist der Einzeller in der Eggers’schen Evolution und das literarisch-mediale Experimentierfeld des damals gerade einmal Mitte 20-jährigen Autors, das Hamilton trefflich mit Finding the ‚right reader‘ betitelt. Zusammen mit Freunden bewegt Eggers dieses Magazin im avantgardistischen Gegensatz zu allem was sie umgibt; re-arangiert den Begriff von Medienrezeption, indem er und seine Weggefährten eine Rezeption der Medien auf das Papier drucken:

„Could there really be more to a generation than illiterate, uninspired, flannel-wearing ‚slackers‘? Could a bunch of people under twenty-five put out a national magazine with no corporate backing and no clue about marketing? With actual views about actual issues? With a sense of purpose and a sense of humor? With guts and goals and hope? Who would read a magazine like that? You might.“

Es folgt über eine kurze Verschnaufpause im Magazin-Mainstream „Esquire“ die erste Egger’sche Zellteilung zu einem der Schwergewichte der gedruckten amerikanischen Avantgardekultur: „McSweeny’s“. Noch heute kann man dieses Magazin ausschließlich online über die verlagseigene Homepage beziehungsweise in ausgewählten Buchhandlungen erwerben und noch heute findet man keine Werbung zwischen Cover und Magazinrücken, dafür Autoren wie David Foster Wallace, Zadie Smith, Stephen Elliott und viele andere mehr. Eggers Kredo zu „McSweeny’s“ manifestiert den bereits von „Might“ eingeschlagenen Kurs des Re-arangierens und Neu-definierens:

BECAUSE THERE IS STILL SO MUCH MISUNDERSTANDING, THERE IS:
TIMOTHY
McSweeney’s
QUARTERLY CONCERN.
(FOR SHORT SAY ‚MCSWEENEY’S‘.)
KNOWN ALSO AS ‚GEGENSEIHN‘.
(„Timothy McSweeny’s Quarterly Concern 1“, cover)

Deutlich fügt Hamilton die den Medien zur Hauptsache als ‚a counter media-culture event‘ aufgestoßene „McSweeny’s“-Avantgarde zu einem Teil des literarischen Feldes zusammen, indem sie deren relationalen Begriffspartner ‚Mainstream‘ mit ins Boot holt: „disinterest in the market is an author’s selling point. In this respect „McSweeny’s“ was perfectly fashioned for it’s time“. Pierre Bourdieus kulturelles Kapital wird hier als Eggers Währung eingeführt und das ist gerade im Kontext der mit „A Heartbreaking Work of Staggering Genius“ aufziehenden harten Währung einer der Dreh- und Angelpunkte des One Man Zeitgeist.

Eggers Erfolgsrezept in „A Heartbreaking Work of Staggering Genius“

Innerhalb kürzester Zeit erreichen Eggers autobiografische Aufzeichnungen, in einer Erstauflage von gerade einmal 8.000 Exemplaren und entgegen den Vermutungen des Verlags, Bestsellerstatus. Hamilton macht ein produktives Spannungsverhältnis zwischen den Topoi Narzissmus und ‚Just Like You‘ aus. Das aufklärerische know thyself habe sich um den Parameter ‚self-presentation‘ weiterentwickelt. Eggers Vorgehen belegt sie gründlich als eines das bezüglich seines Narzissmus‘ keine Tabus kennt und gibt dem Leser ein exemplarischen Auszug aus dem vom Eggers wiedergegebenen Interview seiner MTV The Real World-Bewerbung an die Hand:

„Reward me for my suffering.
Excuse me?
Have I given you enough? Reward me? Put me on television. Let me share this with millions. I will do it slowly, subtly, tastefully. Everyone must know. I deserve this. I have this coming. Am I on? Have I broken your heart? Was my story sad enough?
It was sad.
I know how this works. I give you these things, and you give me a platform. So give me my platform. I am owed.“ (A Heartbreaking Work of Staggering Genius)

Doch wenn sich Hamilton anfänglich noch zögerlich gibt, wie mit dieser Selbstinszenierung umzugehen sei, löst sie den Eggers’schen Narzissmus doch nach und nach zu einer ‚nakedness‘ auf, die sie als eine sich zum Wir akkumulierende Ehrlichkeit dechiffriert.

Hier lohnt besonders der Ausflug in Eggers umfangreichen Werkzeugkasten, aus dem die Literaturwissenschaftlerin deutlich dessen Schreibtechniken zu den Katalysatoren seines nakedness-Kredos zusammenträgt.

Kampf den Medien

Das dritte Kapitel in Hamiltons Buch beleuchtet nun den One Man Zeitgeist auf dem beträchtlich größeren Resonanzboden der sich durch „A Heartbreaking Work of Staggering Genius“ eingestellten Medienwahrnehmung. Hier beschreibt die Australierin Eggers als jemanden, der die Kontrolle über das Kontrollieren verliert und mit Restriktionen auf den Zugang zu seiner eigenen Person und auf sein geistiges Erbe reagiert. Den Erlös aus den Taschenbuchrechten in Höhe von 1,4 Millionen Dollar investiert Eggers sogleich in eine neue Ausgabe von„A Heartbreaking Work of Staggering Genius“, die er um den Anhang „Mistakes We Knew We Were Making“ erweitert – ein Positionspapier, das Hamilton als „exhibits a […] angst“ beschreibt. Die Rangeleien mit Journalisten werden von Eggers auf der „McSweeny’s“-Homepage pariert und zu guter Letzt entweicht ein Uncut-Interview aus dieser hermetisch abgeschlossenen Schussbahn und geht als sellout rant in die Eggers’sche Mediendialektik ein.

Die Tür wird geschlossen

„Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister
werd ich nun nicht los.“

Nicht so bei Dave Eggers.

In ihrem vierten Kapitel erklärt Hamilton nun Eggers Synthese. Knappe drei Jahre nach seinem Erstlingswerk kündigt er seinen Roman „You Shall Know Our Velocity“ an. Die Überraschung ist: Das Buch wird Eggers in seinem eigenen, gerade gegründeten Verlag McSweeny’s Books publizieren und die Einnahmen werden in ein ambitioniertes ‚Schreibwerkstatt‘ Projekt Namens 826 Valencia gesteckt.

Die Hermetik des medialen Schlagabtausches sei nun im doppelten Sinne gebrochen:

Zum einen würde sie jetzt das ganze System Eggers vom Autor über den Verleger – und bezüglich der selbstlosen Agenda der Wohltätigkeit – bis hin zum passiven Rezensenten umschließen, also den Parameter Medien quasi auflösen können,

zum anderen sei sie – und das ist Hamilton wichtiger – ihrer inhaltlichen Determination beraubt. Konsequent löst die Literaturwissenschaftlerin jene Geschichte des Protagonisten Will in „You Shall Know Our Velocity“ als Analogie zu Eggers Auseinandersetzung mit den Medien und seiner daraus abgeleitete Ethik auf: Der Transformation der Ware-Währung-Mentalität hin zu einer ‚gift economy‘. Die Vorwürfe des Ausverkaufs tilge Eggers so a posteriori aus seinem Lebenslauf.

Unantastbarkeit

Hamilton beschreibt die Jahre der ‚media cosa nostra‘ als ein abgeschlossenes, aber durchaus notwendiges Kapitel des One Man Zeitgeist. Heute sei Dave Eggers McSweeny’s Books und McSweeny’s Books sei Dave Eggers. Die Stabilität und Autarkie habe Eggers durch seine zwei ‚autobiography-by-proxy‘-Bücher „What is the What: The Autobiography of Valentino Achak Deng“ und „Zeitoun“ zementiert. Ganz im Sinne der gift economy spricht Hamilton von einem Reinvestment im doppelten Sinne: Zum einen fließen die Erlöse der Bücher in die von Eggers selbst gegründeten Stiftungen und ermöglichen so Bildung im Sinne von Ausbildung, zum anderen leistet Eggers kräftige Stimme einen großen Beitrag zur Aufklärung, indem sie jenen Stimmen von Menschen wie Valentino Achag Deng und Abdulrahman Zeitoun einen größeren Wiederhall gibt.

Caroline Hamiltons Fundus

Es verwundert nicht, dass Hamilton den Reichtum ihrer Gedanken und Quellen zum One Man Zeitgeist oft nur anreißen kann. Das kommt dem Buch aber durchaus zugute: So hat man nur selten den Eindruck des Verhaftetseins der Autorin in einem Erklärungsschema wie zum Beispiel der gift economy, das am Ende des vierten Kapitels ein wenig zu stark zur antikapitalistischen Ethik gerät: „Contrary to the popular logic that art and capital must remain diametrically opposed, Eggers’s business demonstrates that the production of books can taken place within the gift economy.“

Zwar hat Hamilton recht, wenn sie vom Eggers’schen One Man Zeitgeist als einem Mikrokosmos spricht und so am Schluss elegant den Bogen von ihren Ausführungen über das Typografie-Design im ersten Kapitel, bis hin zu der ‚trade mark Eggers‘ im vierten Kapitel spannt. Allerdings ist Letztere nicht gefeit vor der Gefahr, in Form einer „McSweeny’s“-Ausgabe lediglich als Mode Accessoire in einer Strand Bookstore-Jutetasche und in weiterer Konsequenz in einem Brooklyner Hipster-Bücherregal zu landen: Das hat dann allerdings mehr mit der Ware-Währung-Mentalität als mit dem ‚passing on‘ der gift economy zu tun.

Hamiltons Wissenschaftsessay ist ein must read für einen jeden Literatur-, Kultur- oder Sozialwissenschaftler mit Interesse an Literatursoziologie sowie jeden Leser amerikanischer Gegenwartsliteratur, der gerne mehr von der ‚Mediagenialität‘ des Protagonisten Eggers aus „A Heartbreaking Work of Staggering Genius“ erfahren möchte – der Mediagenialität des One Man Zeitgeist.

Titelbild

Caroline Hamilton: One Man Zeitgeist. Dave Eggers, Publishing and Publicity.
The Continuum International Publishing Group Ltd, London 2010.
144 Seiten, 76,99 EUR.
ISBN-13: 9781441166968

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