Ein Kreis schließt sich

Der Reichstagsbrand und kein Ende – über neue Publikationen von Marcus Giebeler und Fritz Tobias

Von Jürgen SchmädekeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jürgen Schmädeke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine Diskussion kann man es nicht nennen – vielleicht einen Streit, der sich im Kreise dreht: Nennen wir es neutral mit einem Fremdwort, wie der Autor Marcus Giebeler, eine Kontroverse: Zündeten die Nazis am 27. Februar 1933 den Reichstag an, oder war der Holländer Marinus van der Lubbe der alleinige Brandstifter? 2013 stehen mehrere 80. Jahrestage an, beginnend mit der „Machtergreifung“ Hitlers und dem Reichstagsbrand als Vorwand für die volle Entfaltung des Terror-Regimes. Das lässt sich nicht ignorieren. Deshalb seien hier zwei neue Publikationen betrachtet, die – wieder einmal – zu gegensätzlichen Resultaten kommen.

Marcus Giebeler, Doktorand an der Mainzer Universität, hat mit einer verdienstvollen Arbeit über den Reichstagsbrand seinen Magistertitel erworben. Es ist eine Fleißarbeit, die mit bisher nicht erreichter Akribie die von 1933 bis zur Gegenwart anhaltende Kontroverse aufzeichnet und analysiert. Kritisch wägt er die Argumente beider Seiten gegeneinander ab, rügt die hier wie dort oft überbordende, bis in persönliche Diskriminierungen gehende Polemik, scheut am Ende ein unumstößliches Urteil über die konkrete Täterschaft. Er kommt aber doch zu dem Schluss, dass insbesondere die neueren Forschungen so viele Fragwürdigkeiten und „sinnentstellende Verzerrung von Quellen“ in den Argumenten für die Einzeltäterschaft nachgewiesen haben, dass diese „faktisch nicht möglich war“. Zu dieser Erkenntnis haben nach der politischen „Wende“ von 1989/90 auch die originalen, in der DDR verwahrten Polizei- und Gestapo-Akten sowie Gerichtsprotokolle von 1933 beigetragen.

Eine Antriebskraft für die Erbitterung dieser Kontroverse sieht Giebeler dabei zu Recht in dem Streit zwischen „Intentionalisten“ und „Strukturalisten“, die das NS-System bis hin zum Holocaust entweder als Ergebnis zielgerichteter Planung, zu der auch der Reichstagsbrand gehörte, oder als Resultat einer „kumulativen Radikalisierung“ unter einem eigentlich „schwachen Diktator“ Hitler sahen, der den „Zufall“ des Brandes nur geschickt ausnutzte. Heute hat die Einsicht in ein Sowohl-Als-auch längst das Entweder-Oder ersetzt. Nur beim Reichstagsbrand ist eine Seite – vom „Spiegel“, in dem Fritz Tobias 1959/60 seine These erstmals ausbreitete, und Hans Mommsen, der sie 1964 scheinbar wissenschaftlich bestätigte, bis Sven Felix Kellerhoff, der sie 2009 neu zu belegen versuchte – auf dem Erkenntnisstand von 1960/64 stehen geblieben, wie Giebeler, eine frühere Rezension des hiesigen Rezensenten zitierend, schreibt.

Zu kurz kommt bei Giebeler ein anderer, vom Rezensenten schon 1999 mit Alexander Bahar und Wilfried Kugel (die beide 2001 gemeinsam die bisher umfangreichste neue Analyse zum Reichstagsbrand veröffentlichten) in der „Historischen Zeitschrift“ angesprochener Aspekt: dass die 1933 mutmaßlich an der Planung und nach dem Brand an den Ermittlungen Beteiligten, soweit sie das Kriegsende 1945 überlebten, allen Grund hatten, ihre Handlungen zu vertuschen, um einer Bestrafung zu entgehen und ihren Wiederaufstieg im Nachkriegs-Deutschland zu ermöglichen. Das begann schon mit Hermann Göring im Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozess, setzte sich fort mit dem ersten Gestapo-Chef Rudolf Diels und seinem Mitarbeiter Heinrich Schnitzler und gilt insbesondere für den Polizeikommissar und späteren SS-Sturmbannführer Walter Zirpins, der 1933 als erster van der Lubbe ausführlich vernahm, 1953 als „Kommissar X“ behauptete, schon immer von dessen Alleinschuld überzeugt gewesen zu sein, und danach der Hauptzeuge von Fritz Tobias wurde. Damals war er schon wieder zum Chef der Kriminalpolizei in Hannover aufgestiegen, Tobias arbeitete im Verfassungsschutz.

Das wirkt bis heute nach, wie eine gekürzte, überarbeitete, im Detail umgeschriebene und um einige Beiträge ergänzte Neuauflage des 1962 erschienenen Reichstagsbrand-Buches von Fritz Tobias zeigt. Sie ist kürzlich im für sein rechtsextremes Schrifttum bekannten und vom Verfassungsschutz beobachteten Grabert-Verlag erschienen. Tobias, der 2011 am Neujahrstag 98-jährig gestorben ist, hatte sie noch im Einvernehmen mit dem Ko-Autor Fred Duswald vorbereitet. Duswald, Jahrgang 1934, ist „Alter Herr“ der rechten Münchener Burschenschaft Danubia und war in den 1970er-Jahren führendes Mitglied der neonazistischen „Nationaldemokratischen Partei“, auch ist er Autor der rechtsextremen österreichischen Zeitschrift „Die Aula“, für die er Tobias zu seinem 95. Geburtstag interviewte. Tobias’ Tod wurde auf der Facebook-Seite des Holocaust-Leugners David Irving mit den Worten „We regret to announce the death of our old friend, Fritz Tobias of Hannover“ gemeldet; schon 1998 hatte Tobias einen Artikel zu einer Festschrift für Irving geliefert. Viel Beifall hatte Tobias auch immer wieder von der rechtsextremen „Deutschen Nationalzeitung“ erhalten. Davon, dass Tobias sich gegen diese „rechte“ Inanspruchnahme gewehrt hätte, ist nichts bekannt. In Schweigen hüllen sich bis jetzt auch die Protagonisten der Fraktion der Alleintäterschaftsthese, allen voran Hans Mommsen und der „Welt“-Historiker Kellerhoff, für die Tobias’ Buch die Basis ihrer Deutung bleibt.

Auch Duswalds Überarbeitung und seine Interpretation der Kontroverse bieten keine neuen Aspekte. Ausgehend von der vorgeblich unbezweifelbaren Erkenntnis, dass van der Lubbe als Alleintäter agierte, wird, was nicht in diese Linie passt, entweder als nicht relevant betrachtet, wie die umfangreichen, Tobias seinerzeit mit wenigen Ausnahmen noch nicht bekannten Vernehmungs- und Gerichtsprotokolle von 1933, oder es wird summarisch zur „Fälschung“ erklärt. Detaillierte Widerlegungen einer exemplarischen Auswahl von Fälschungsbehauptungen, wie sie der Rezensent schon 1986 im „Tagesspiegel“ und später, erweitert, im Internet-„Reichstagbrandforum“ veröffentlicht hat, werden nicht zur Kenntnis genommen. Zwei dort nicht behandelte angebliche „Fälschungen“ werden von Duswald nun sogar im Dokumentenanhang abgedruckt, während andere Dokumente, wie Zirpins’ eine Mehrtäterschaft (allerdings der Kommunisten) behauptender Abschlussbericht vom 3. März 1933 dort gestrichen wurden. Doch handelt es sich bei den nun eingefügten zwei „Fälschungen“ zum einen um eine Namens- und Datums-Verwechslung, die Echtheit der anderen wird durch ihre Überlieferung aus zwei verschiedenen Quellen bestätigt. Davon abgesehen, sind alle jene vorgeblichen „Fälschungen“, seit die Original-Akten von 1933 wieder zugänglich sind, für die Klärung der Täterschaft nicht mehr von ausschlaggebender Bedeutung.

Was bleibt? Die Verteidiger der These von der Schuld van der Lubbes können für dessen Alleintäterschaft außer seiner Selbstbezichtigung bis heute keine stichhaltigen Beweise vorlegen, müssen sich vielmehr umfangreiche Manipulationen von Dokumenten und Zeugenaussagen durch Tobias nachweisen lassen. Dass ein Einzelner diesen Großbrand binnen kürzester Zeit nicht entfachen konnte, haben Brandfachleute seit 1933 vielfach nachgewiesen, und bis heute hat sich kein Sachverständiger gefunden, der dies widerlegt hätte. Es muss also, dafür sprechen alle damals wie heute nachweisbaren Indizien, eine Gruppe von Brandstiftern mit Brandbeschleunigungsmitteln, wie Petroleum, Benzin, Phosphor, am Werke gewesen sein. Mehr ist zweifelsfrei nicht zu sagen, die Namen der realen Täter sind nicht (mehr) festzustellen. Den Nutzen aber hatten zweifellos die Nationalsozialisten, die noch in der Brandnacht – und eine knappe Woche vor den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 – die große Hetzjagd auf ihre Gegner begannen.

Titelbild

Marcus Giebeler: Die Kontroverse um den Reichstagsbrand. Quellenprobleme und historiographische Paradigmen.
Martin Meidenbauer Verlagsbuchhandlung, München 2010.
320 Seiten, 45,90 EUR.
ISBN-13: 9783899757316

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Fred Duswald / Fritz Tobias: Polit-Kriminalfall Reichstags-Brand. Legende und Wirklichkeit.
Grabert Verlag, Tübingen 2011.
446 Seiten, 24,80 EUR.
ISBN-13: 9783878472643

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