Ex-böser Bube

Walter Mosleys Krimi „Manhattan Karma“ ist ein schön erzähltes Gedankenexperiment

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ausstiegskrimis haben ihren besonderen Reiz. Sie müssen die Vorbelastung ihrer Helden bedenken, die in dem Leben, das sie bisher führten, keineswegs vorbildlich gewesen sind und eigentlich Strafe verdient hätten, zumindest nach zivilisatorischen Basisannahmen. Sie müssen zudem berücksichtigen, dass kriminelle Kreise im Wesentlichen nach den Regeln archaischer Gesellschaften leben, die den Verräter immer bestrafen, weil er vom wahren und rechten Glauben abgefallen ist, und die als Strafe zudem immer ans Leben geht.

Wer also aussteigen will, riskiert was. Als Lösung gibt es meist schließlich zwei Alternativen: Entweder der Aussteiger kann seine Widersacher in beiden Lagern davon überzeugen, dass sie etwas davon haben, wenn sie ihn in Ruhe lassen (zum Beispiel zu überleben), oder er beseitigt alle, was meist keine echte Alternative ist.

Die Flucht allein ist jedenfalls keine Lösung, wie das Ende des Films „Leon der Profi“ zeigt. Man kann nicht einfach hinausgehen. Der Killer gießt nicht einfach nur noch Blumen. Der Buchhalter kann nicht einfach aufhören, Geld zu zählen und zu waschen. Der Laufbursche bleibt nicht einfach stehen. Selbst die Bosse enden in der Regel nicht im Bett. Einfach tot sein, reicht nicht, das wäre zu wenig und zu riskant.

Stattdessen also der radikale Schlussstrich, also das Ende für den Aussteiger, oder eben die mühevolle Konstruktion eines Ausstiegsszenarios, in dem die Vorteile für die ehemaligen Brüder im Verbrechen groß genug sind.

Als Variante kann sicherlich das Szenario verstanden werden, das Walter Mosley in „Manhattan Karma“ vorführt. Sein Held, ein schwarzer Privatdetektiv namens Leonid McGill, hat eine semikriminelle Vergangenheit. Sein Job: Leuten gefälschte Beweise unterzujubeln, um sie in den Knast zu bringen. Das nützt dem einen oder anderen und geht eine Weile gut, bis sich die Tochter eines seiner Opfer an ihm zu rächen versucht und dabei umkommt.

Seitdem quälen ihn Gewissensbisse, unterlegt durch einschlägige Alpträume. Seine Konsequenz: Er zieht sich aus der Szene zurück und nimmt keine Aufträge mehr aus dem Milieu an. Stattdessen heißt es, ganz normal Leute suchen oder vielleicht Ehemänner auf Abwegen aufspüren. Außerdem lebt er zur Strafe mit seiner untreuen Frau zusammen, die umständehalber wieder zu ihm zurückgekehrt ist (der neue Mann musste schleunigst das Land verlassen). Das Paar ist sich seit Jahren gleichgültig, zwei der drei Kinder sind nicht von Leonid, aber es gilt nun mal, diese Familie zu ernähren, weshalb Leonid, dessen Vater Gewerkschaftsaktivist war (daher der Vorname) eben versucht, weiter das notwendige Geld nachhause zu schaffen. Die Strafe ist hart und lebenslang, könnte man sagen.

Was Leonid am Leben hält, ist seine Bekanntschaft mit einem – gleichfalls ehemaligen – Killer, dessen Bekanntheitsgrad auch nach Ende seiner Karriere groß genug ist, ihm und seinen Günstlingen die Häscher vom Hals zu halten. Kein Versuch, alte Mitwisser auszulöschen, kein Branchenneuling, der seine Qualität dadurch beweisen muss, dass er einen der Großen der Branche zur Strecke bringt, keine späte Revanche eines alten Kunden – das war ja auch am Beispiel McGills abgehandelt, McGill übernimmt in dieser Situation den relativ einfachen Auftrag, die richtigen Namen von vier Männern herauszufinden, die anscheinend in jungen Jahren gemeinsam um die Häuser gezogen sind. Der Job ist schnell erledigt; allerdings stellt McGill fest, dass die Männer kurze Zeit später ermordet werden. Als er den Auftraggeber aufspürt – ein Kollege –, ist der auch schon tot.

Ein Aussteiger, der endlich ehrlich werden will, aber vier Männer ans Messer liefert, auch wenn zwei von ihnen eine kriminelle Karriere eingeschlagen haben? Das klingt nicht ganz nach dem Weißwaschprogramm, das McGill anvisiert hat.

Statt nun sich darauf zurückzuziehen, dass er immerhin keinen der Männer getötet hat, beginnt McGill zu ermitteln – und damit beginnt die Geschichte, die sich in etwa auf dem konstruktiven Niveau Chandlers’ und seiner besseren Nachfolger bewegt. Auch die Ausstattung ist vergleichbar: Wir schauen einmal wieder in das Leben der Reichen und Unglücklichen, denen wenig Grenzen gesetzt sind und die entsprechend skrupellos sind, zumindest meistens.

Auch in der sonstigen Ausstattung reicht Mosleys Roman an die Genrestandards heran: Sein Held ist ehemaliger Boxer, weiß also eine Menge einzustecken und teilt auch gern mit dem Maul und den Fäusten aus. Das liest sich kurzweilig, weil die dummen Sprüche, die McGill reißt – bevorzugt in ausweglosen Situationen, wie es sich gehört –, von seinem Witz zeugen und weil Mosley seinem Krimi eine wunderschöne Balance zwischen Komplexität und Enthüllung gibt. Dem folgt man gern.

Titelbild

Walter Mosley: Manhattan Karma. Ein Leonid-McGill-Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2011.
388 Seiten, 9,95 EUR.
ISBN-13: 9783518462553

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