Zwei Filme, ein Thema: Max Frisch

Zur Neuauflage der Filme „Journal I-III“ und „Gespräche im Alter“

Von Natalia Blum-BarthRSS-Newsfeed neuer Artikel von Natalia Blum-Barth

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Neben vielen Bucherscheinung zum 100. Jubiläum Max Frischs sei besonders auf die bei filmedition suhrkamp erschienene Doppel-DVD mit zwei seit langem vergriffenen Filmen hingewiesen: Philippe Pillods „Max Frisch. Gespräche im Alter“ und Richard Dindos „Max Frisch. Journal I-III. Eine filmische Lektüre der Erzählung ‚Montauk‘ (1975) unter Anlehnung an das ‚Tagebuch 1946-1949‘ und das ‚Tagebuch 1966-1971‘“. Es sind keine Neuproduktionen, beide Filme entstanden 1981 bzw. 1985 und 1986. Sie sind Bestandteil der vierbändigen „Max-Frisch-DVD-Box zum 100. Geburtstag“ und stellen mit 262 Minuten fast die Hälfte von deren filmischem Material dar. Trotz vieler Unterschiede ergänzen sich „Journal I-III“ und „Gespräche im Alter“ thematisch und zeichnen ein umfassendes Bild von Max Frisch.

Richard Dindo versteht seinen Film als „eine Annäherung beim Lesen“ von Frischs Texten. In einem Begleitheft aus dem Jahr 1981 verweist er darauf, dass die „komplexe Struktur“ seines Filmes „vom Zuschauer selber eine Lektüre-Arbeit verlangt“. Der Film besteht aus drei Kapiteln – „Warum reisen wir?“, „Wie viel Heimat brauchen Sie?“, „Wir leben mit Toten“ – und entführt den Zuschauer an die „tatsächlichen Schauplätze“ der Montauk-Reise: das Hotel in der 24 Fifth Avenue, die kleine Trattoria, das Fischrestaurant Sweet und vor allem den Strand in Montauk, wo Frisch im Mai 1974 ein Wochenende mit der jungen Verlagsangestellten verbrachte, die als Lynn in „Montauk“ verewigt wurde. Im Unterschied zu „Gesprächen im Alter“, wo Max Frisch selbst spricht und durchgehend zu sehen ist, lässt Dindo Frischs Texte zu Wort kommen. Sie werden von Hugo Leber vorgetragen und verlangen vom Zuschauer maximale Konzentration. Dies gilt auch für den Aufbau des Films selbst, denn der Regisseur führt gleich im ersten Kapitel alle Materialien ein, um sie dann in den nächsten zwei Kapiteln durch „Wiederholen und Weiterentwickeln“ zu fokussieren.

Während Lynn nur kurz zu sehen ist und für den Zuschauer eine geheimnisvolle Figur aus der Erzählung „Montauk“ bleibt, werden viele in Rom aufgenommene Filmsequenzen mit Ingeborg Bachmann gezeigt. Das gleiche gilt auch für Marianne, deren Fotos nur kurz zu sehen sind, während der „jüdischen Braut“ ungleich mehr Filmmaterial gewidmet wird. Dindos unterschiedliche filmische Umsetzung dieser Frauenfiguren fällt im Hinblick auf den relativ gleichmäßigen Umfang der zitierten Texte, in denen Frisch sich mit diesen Frauen auseinerdersetzt, besonders auf. Neben der Beziehung zu Frauen werden in Dindos Film auch das Thema Heimat und ihre Bedeutung, Frischs Reisen, insbesondere in die USA und nach China, sowie seine Freundschaft mit Bertolt Brecht exponiert. Der Film „Journal I-III“ ist ein wichtiges Zeugnis der Max Frisch-Rezeption zu Lebzeiten des Autors und ein besonders experimentierfreudiges Beispiel des Schweizer Dokumentarfilms.

Der zweite Film, „Gespräche im Alter“, ist eine der sechs Folgen, die zum 75. Geburtstag Max Frischs anhand des fast 30-stündigen Filmmaterials entstand. Dieses Filmprojekt verdanken wir Philippe Pilliod, dem Übersetzer, Regisseur und Freund des Schriftstellers. Das hauptsächlich in Berzona stattgefundene Interview mit Frisch zeichnet sich durch eine enorme Auskunftsfreude und Offenheit des Autors aus. Eigentlich ist es kein Interview, denn Polliods Fragen sind viel mehr Impulse, die Frisch zum Referieren über das jeweilige, durch die Fragen akzentuierte Thema veranlassen.

Das thematische Spektrum des Films umfasst Altern und Tod, politische Utopien und gesellschaftliche Ordnungen, politisches Engagement des Schriftstellers und seine Nicht-Parteizugehörigkeit, die Rolle der Intellektuellen in der Gesellschaft, das Schreiben, das Frisch als „Notwehr“ bezeichnete, den Bereich Männer – Frauen – Liebe und zum Schluss wieder den Tod. Dabei zeigt sich Frisch als Weltbürger, der Europa und Amerika, die Schweiz und die BRD vergleicht und dabei seine kritische Anmerkungen nicht ausspart. Er berichtet von seinen Erlebnissen und Erfahrungen in den USA, erläutert den sogenannten „kalifornischen Faschismus“ und erinnert sich mit anhaltendem Lob als „Empfang beim König“ an das Schriftsteller-Gespräch mit Bundeskanzler Helmut Schmidt, zu dem er im Oktober 1977 neben Böll, Grass und Lenz eingeladen war. Dieses Treffen fand im Hintergrund der dramatischen Entführung des Flugzeugs Landshut statt. Bemerkenswert ist auch Frischs Reaktion auf das Zitat aus dem Roman „Stiller“, in dem es um das Schreiben als „Häuten“, als „Kommunikation mit dem Unaussprechlichen“ geht. Der in diesem Kontext zitierte Satz „Wir haben Sprache, um zu verstummen“ veranlasste Frisch zur Erörterung seiner Rolle als Schreibender in seinen Werken. Für Literaturwissenschaftler ist diese Filmsequenz eine Goldgrube für die Interpretation seiner Werke.

Wie kaum ein anderer Schriftsteller setzte sich Max Frisch mit dem Tod auseinander. Seine Erinnerungen an Peter Noll, mit dem er befreundet war, den er bis zu seinem Tod begleitete und dessen Totenrede er später hielt, können den Zuschauer nicht unberührt lassen. Der im Film zu sehende Sensenmann, den Frisch vor seinem Haus in Berzona aufstellte, war für den Schriftsteller, der „nicht sehr alt werden wollte“ ein stilles Mahnmal an das Unvermeidliche. Frischs Erörterungen ermöglichen dem lauschenden Zuschauer den Einblick in seine Gedankengänge, so dass man hin und wieder den Eindruck hat, dem Schriftsteller persönlich gegenüber zu sitzen: manchmal als Gast, oft als Schüler.

Das Begleitheft zur Doppel-DVD beinhaltet informative Zusatzmaterialien und Erläuterungen der Regisseure sowie Interviews mit ihnen zur Entstehung dieser beiden Filmklassiker zu Max Frisch. Die Neuauflage dieser Filmproduktionen zum 100. Jubiläum des Schriftstellers war eine kulturelle Pflicht. Nun sollte sich der interessierte Frisch-Leser diese Filme nicht entgehen lassen.

Titelbild

Max Frisch: Journal I-III/Gespräche im Alter. Zwei Filme von Richard Dindo und Philippe Pilliod.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2011.
122 Min; 140 Min, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783518135242

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