Wagestücke des Verstehens – Manuel Bauer untersucht die Genese der modernen Hermeneutik aus der frühromantischen Kunstkritik Schlegels und Schleiermachers
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseFriedrich Schlegel (1772-1829) gilt als der bedeutendste Theoretiker der deutschen Romantik, Friedrich Schleiermacher (1768-1834) als einer der wichtigsten protestantischen Theologen. Darüber hinaus wird ihnen die Begründung der romantischen und damit der modernen Hermeneutik schlechthin zugeschrieben.
Schleiermacher wird die Ausweitung der fachspezifischen, mit einzelnen unklaren Stellen befassten Auslegungslehre zu einer allgemeinen Theorie des Verstehens zugeschrieben, während in Schlegels Überlegungen zur Philologie und zur Literaturkritik zumeist die bedeutendsten Einflüsse auf Schleiermachers Theorie gesehen werden. Noch immer bilden die romantischen Überlegungen zur Textauslegung den Ausgangspunkt der modernen Hermeneutik. Zugleich aber stehen Schlegel und Schleiermacher im Ruf, Vertreter einer frühromantischen „Antihermeneutik“ und Verstehensskepsis zu sein, da sie Unverständlichkeit propagierten und die „Wut des Verstehens“ kritisierten – ein ebenso bemerkenswerter wie paradoxer Befund.
Manuel Bauers Untersuchung setzt sich mit diesen scheinbar unvereinbaren Ansichten auseinander und vergleicht erstmals umfassend die hermeneutischen Leistungen Schlegels und Schleiermachers. „Hermeneutik“ wird begriffen als eine auf Verstehen abzielende Methodenlehre der Textauslegung, die spezifischen text- und interpretationstheoretischen Prämissen verpflichtet ist und sich von anderen Methoden der Interpretation hinsichtlich ihrer Ziele, aber auch Voraussetzungen und Vorannahmen unterscheidet. Die Studie diskutiert frühromantische Philologie, Kritik und Hermeneutik im praktischen Vollzug anhand exemplarischer, teilweise bislang kaum wahrgenommener Texte. Frühe Schriften Schleiermachers werden ebenso beachtet wie Schlegels Spätwerk, so dass ein differenziertes Bild der Literaturkritik und Textauslegung zwischen ca. 1790 und 1830 entfaltet wird. Die Analyse der einzelnen Texte erhebt den Anspruch, die methodologischen Prämissen der untersuchten Autoren an ihrer performativen Umsetzung zu messen. Zu diesem Zweck werden nicht theoretische Einzelaussagen gesammelt und systematisiert, sondern interpretierende Texte in ihrer Uneinheitlichkeit und all ihren Widersprüchen ernst genommen.
Anmerkung der Redaktion: literaturkritik.de rezensiert grundsätzlich nicht die Bücher von regelmäßigen Mitarbeiter / innen der Zeitschrift sowie Angehörigen der Universität Marburg. Deren Publikationen können hier jedoch gesondert vorgestellt werden.
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