Eine Art Strom

Einige Anmerkungen zur Analyse ‚asymmetrischer‘ Konflikte vom Irak-Krieg im Jahr 1990/91 über ‚9/11‘ bis hin zur Debatte um das Terror-Attentat Anders Behring Breiviks am 22. Juli 2011

Von Jan SüselbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Süselbeck

Was der Krieg sei, welche konkreten Faktoren ihn bedingen könnten und wie er sich möglicherweise weiter entwickeln werde, wird nicht erst seit dem 11. September 2001, oft einfach nur noch „Nine Eleven“ bzw. „9/11“ genannt, immer wieder neu definiert und debattiert. Dabei kann es auch zu esoterisch anmutenden Versuchen einer Systematisierung oder ‚regelhaften‘ Auffassung des Krieges als ‚Naturgesetz‘ kommen: Eine solche Suche nach so etwas wie der ‚Essenz‘ des Kriegs kann mitunter geradezu wahnhaft klingen. So spekuliert Gilles Deleuze in einem – passenderweise „Zwei Systeme von Verrückten“ überschriebenen – Essay aus dem Jahr 1975, in dem er sich unvermittelt auf Carl von Clausewitz’ hinterlassenes, dreibändiges Werk „Vom Kriege“ (1832-1834) bezieht: „Clausewitz spricht von einer Art Strom, den er den absoluten Krieg nennt, der zwar nie im Reinzustand existiert habe, aber nichtsdestoweniger die Geschichte durchziehe, unzerlegbar, singulär, mutierend, abstrakt. Vielleicht hat es diesen Kriegsstrom tatsächlich gegeben, als den Nomaden eigentümliche Erfindung, eine von Staaten unabhängige Kriegsmaschine.“[1]

Mit der „Kriegsmaschine“ klingt hier bei Deleuze schon das später gemeinsam mit Félix Guattari verfasste Werk „Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie II“ (1992) an: „Denn es fällt auf, daß die großen Staaten, die großen despotischen Apparate ihre Macht nicht auf einer Kriegsmaschine gegründet zu haben scheinen, sondern vielmehr auf der Bürokratie und der Polizei“, beobachtet Deleuze. „Die Kriegsmaschine ist immer etwas, was von außen kommt und nomadischen Ursprungs ist: die große abstrakte Mutationslinie.“[2]

Seltsamerweise wird hier eine offenbar als ‚emanzipatorisch‘ bzw. als ‚widerständig‘ gedachte Form des Krieges, welche die „despotischen Apparate“ großer Staaten herausfordere, ausgerechnet unter Berufung auf den preußischen Militaristen Clausewitz mit einem „Reinzustand“ des Kampfs in Verbindung gebracht, wodurch bereits ein vager ideologischer Standpunkt Deleuzes durchscheint, der der poststrukturalistischen Offenheit seines Jargons Hohn spricht: Solche wandelbaren Versuche historischer Kompexitätsreduktion treten immer dann auf, wenn der Krieg seine Form auf verwirrende Weise ändert, und zwar sowohl durch die schwunghafte Modernisierung seiner militärtechnischen Ausführung als auch in seinen darauf reagierenden Darstellungen und Ästhetisierungen. Die Erwägung einer grundsätzlichen ‚Regelhaftigkeit‘ von Kriegen hat demgegenüber offenbar etwas enorm Beruhigendes: Helfen derartige Annahmen doch dabei, die Kontingenz des Krieges mitsamt seiner tödlichen Konsequenzen gedanklich als etwas ‚einzudämmen‘, das nun einmal ‚seit jeher‘ dagewesen sei und deshalb auch immer in der Welt existieren werde.

Eine vergleichbar beunruhigende Situation gewachsener kriegerischer Kontingenz war zu Zeiten Clausewitz’ im 19. Jahrhundert tatsächlich gegeben. Clausewitz setzte sich deshalb intensiv mit dem Für und Wider eines ‚totalen‘ Guerilla-Volkskriegs gegen Napoleon auseinander, während das Zeitalter der ‚eingehegten‘ Kabinettskriege in Europa vorüber war und die Distanzwaffen – namentlich die Fortschritte der Artillerie – die Räumlichkeit des Schlachtgeschehens mehr und mehr ‚entgrenzt‘ hatten: Die totale Enthegung des Kampfes als ‚Volkskrieg‘ war eine offensive Strategie gegen die waffentechnische Überlegenheit der napoleonischen Armee. Vergleichbare Effekte einer ‚Enträumlichung‘ des Krieges sind aber auch in unserer heutigen Zeit wieder Thema, da der sogenannte ‚asymmetrische Krieg‘ in aller Welt eskaliert und nicht nur im ‚Zielgebiet‘ größerer Invasions- bzw. Interventionskriege stattfindet, sondern auch in den Metropolen der kriegführenden Staaten selbst Opfer zu fordern droht – jederzeit, unvorhersehbar, unkontrollierbar und im ‚Herzen‘ zivilen ‚westlichen‘ Lebens.[3]

Vor dem Angriff auf die Twin Towers, der diese neue Gefahr mit seinen im Fernsehen unablässig wiederholten „Infektionsbildern“ (Klaus Theweleit) schockhaft und weltweit spürbar werden ließ, war es unter liberalen und linken Intellektuellen beinahe noch selbstverständlich, die ‚imperialistische‘ USA ganz allein für das Kriegs-Übel in der Welt verantwortlich zu machen. Während des umstrittenen US-Golfkriegs von 1990/91 in Kuwait, den George H. W. Bush gegen Saddam Husseins aggressives irakisches Regime führen ließ, schäumte etwa der zitierte, konsequent ‚antiimperialistisch‘ denkende Philosoph Deleuze in der französischen Zeitung „Libération“: „Unter dem Vorwand strategischer Ziele sterben Zivilisten unter Bombenteppichen, werden, weitab von der Front, die Verkehrswege, Brücken und Straßen zerstört, wird ein wunderbares historisches Erbe bedroht und erschüttert. Heute liegt die Befehlsgewalt beim Pentagon, dem Organ eines Staatsterrorismus, der seine Waffen testet. […] Wenn dieser Krieg nicht gestoppt wird […], dann bedeutet das nicht nur die sich abzeichnende Unterjochung des Mittleren Ostens, sondern auch die Gefahr einer amerikanischen Hegemonie, die kein Gegengewicht mehr hat […].“[4]

Angesichts eines weiteren Irak-Krieges im Jahr 2003 nahm aber nicht nur bei europäischen Intellektuellen, sondern auch in der amerikanischen Linken die Kritik an der ‚Verteidigungspolitik‘ des eigenen Landes zu. So bemerkte die poststrukturalistische Philosophin Judith Butler bereits 72 Stunden nach Beginn der damaligen neuerlichen US-Invasion im Irak und der Bombardements auf Bagdad: „Die USA haben einfach entschieden, ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen auszusetzen. Und solche Entscheidungen hat es nicht nur im Zusammenhang mit diesem Krieg gegeben. Denken Sie an Guantánamo, wo die USA die Genfer Konventionen außer Kraft setzten, oder denken Sie daran, wie die USA den Vertrag zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen kündigten. Überdies haben sich die USA geweigert, den Internationalen Strafgerichtshof zu unterstützen – das ist vielleicht der abscheulichste Ausdruck ihrer Abkehr von der internationalen Gemeinschaft. Die USA haben jetzt also schon eine Weile ihre multilateralen Beziehungen strapaziert und ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen hinweggesetzt.“[5]

Auch nach dem weltweiten Skandal um die fotografierten Geschehnisse im Folterlager von Abu Ghraib[6] und der Abwahl George W. Bushs konnte der demokratische US-Präsident Barack Obama an dieser Situation kaum noch etwas ändern – selbst Guantánamo ist nach wie vor in Betrieb. Trotzdem hat sich Gilles Deleuzes Befürchtung über 20 Jahre nach dem US-Interventionskrieg in Kuwait sowie im Blick auf einige weitere ‚asymmetrische‘ Konflikte in der Welt nicht bewahrheitet. Im Gegenteil: Die strategische Weltlage stellt sich, nicht zuletzt in wirtschaftlicher Hinsicht, mittlerweile weit komplizierter dar als sie 1991, zum Zeitpunkt des Endes der Konfrontation der ‚Blockstaaten‘ des Kalten Krieges, wahrgenommen wurde. Im Unterschied zu dem Bedrohungsszenario einer weltweiten, nicht mehr zu stoppenden US-Hegemonie gab der israelische Militärhistoriker Martin van Creveld 2009 zu bedenken: „Angesichts der Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon sowie anderer Anschläge, die Al-Qaida und ihresgleichen durchführten, besteht kein Zweifel mehr: Der Terrorismus breitet sich in die ‘entwickelte Welt’ aus. Gerade weil so viele seiner Protagonisten imstande sind, in dieser Welt zu operieren, stellt der Terrorismus eine weit größere Bedrohung dar als alle drittklassigen Diktatoren – und das gilt selbst für jene […], die sich bereits Atomwaffen verschafft haben oder entsprechende Programme planen. Entweder schüttelt die ‘entwickelte Welt’, mit den Vereinigten Staaten an der Spitze, endlich ihre Lethargie ab, erkennt das Wesen des Problems […] und lernt, wie sie mit den Terroristen fertig wird, oder die Terroristen werden mit ihr fertig werden. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Wir haben, wie immer, die Wahl.“[7]

Aus der Perspektive Israels hat diese Warnung tatsächlich ihre besondere Berechtigung: Der unter anderem von Seiten des atomwaffentechnisch ambitionierten Iran, der Hisbollah und der Hamas akut bedrohte und immer wieder durch Raketenangriffe aus Gaza bzw. durch perfide Selbstmordattentate palästinensischer Terroristen attackierte kleine Staat muss sich verteidigen, um sein Existenzrecht zu sichern und seine Bürger zu schützen. Die aufrüttelnde Rhetorik eines alles entscheidenden Verteidigungskriegs, die Martin van Creveld wählt, wird jedoch auch in ganz anderen Kontexten verwendet und vermag durch ihre weltweite Tradierung und Verselbständigung in essentialistische Denkweisen umzuschlagen, die wiederum von verschiedensten reaktionären politischen Gruppierungen aufgegriffen werden können.

Seit George W. Bushs War on Terror in Afghanistan und im Irak gebiert diese militärische Beurteilung der Lage ganz neue, umso verstörendere Probleme: Ihre vielfältige Multiplizierung und Diskursivierung durch die Medien wird mitunter von Rechtsextremen in Europa und der ganzen Welt aufgegriffen, um gefährliche, im Ernstfall eskalierende Vorstellungen eines globalen und ‚totalen‘ Abwehrkampfs gegen den Islam zu entwickeln, der selbst terroristisch geführt und ebenfalls in den Zentren der ‚westlichen‘ Welt getragen zu werden droht. Bezeichnenderweise richten sich solche verselbständigten Terrorakte in ihrem angemaßten „Befreiungskrieg“ gegen einen halluzinierten abstrakten Feind oft nach innen, gegen die eigene Gesellschaft, was wiederum ein besonderes Licht auf die Affekte wirft, die hier auf tödliche Weise wirksam werden: Es ist letztlich das ‚Eigene‘ im ‚Fremden‘, das hier auf so mörderische Weise attackiert wird.[8]

Dabei vermischen sich meist antimoderne Ansichten mit verschwörungstheoretischen und rassistischen bzw. antisemitischen Vorstellungen. Die genauen Motivationen der einzelnen Attentäter sind dabei kaum noch auf einen Nenner zu bringen und werden von diesen selbst noch viel weniger stichhaltig begründet: Nach den Briefbombenattentaten des 1996 in den USA verhafteten „Unabombers“ Ted Kaczynski und dem verheerenden Anschlag des Rassisten Timothy McVeigh auf ein US-Regierungsgebäude in Oklahoma, bei dem 168 Menschen umkamen und 800 verletzt wurden, traf es 2011 ein als besonders liberal und tolerant angesehenes europäisches Land: Der norwegische Attentäter Anders Behring Breivik wähnte sich im Juli 2011 als Avatgardist eines beginnenden, 60-jährigen Krieges gegen eine islamische Kolonisierung Europas, stellte ein verworrenes, über 1.500-seitiges rassistisches Pamphlet mit dem Titel „2083: A Declaration of European Independance“ ins Netz und tötete 77 Menschen durch einen Bombenanschlag im Regierungsviertel Oslos sowie einen Amoklauf in einem sozialdemokratischen Jugend-Camp auf der kleinen norwegischen Insel Utøya.[9]

Anders als viele vorschnelle Kommentatoren in der Presse meinten, ist Breivik, der nach seiner Tat unverletzt verhaftet werden konnte, kein ‚Wahnsinniger‘, sondern hatte offenbar gängige emotionalisierende Botschaften einer durch die Medien tradierten kulturellen ‚Untergangs‘- und Kriegspropaganda ganz einfach wortwörtlich genommen, fleißig in seine eigenen Aufzeichnungen kopiert und in einem jahrelangen ‚Bildungsprozess‘ verinnerlicht, radikalisiert und pervertiert, um schließlich selbst als halluzinierter Vorkämpfer des Templer-Ordens für ein ‚weißes‘ Europa einen Massenmord durchzuführen – paradoxerweise vor allem an sozialdemokratischen Jugendlichen seines eigenen Landes, das zu ‚verteidigen‘ er vorgab.[10] Der Literaturwissenschaftler Gerhard Scheit hat argumentiert, dass sich Breivik in seinem Manifest als Antisemit zu erkennen gebe, der expressis verbis die „Holocaust-Religion“ abgeschafft wissen wolle, gleichzeitig aber vorgebe, mit Israel gegen den Islam kämpfen zu wollen, um dies wiederum in einer Form in die Tat umzusetzen, die genau jene Djihad-Kampfform des Amok-Selbstmordattentates kopierte, wie sie terroristische Islamisten seit 9/11 perfektioniert haben.[11] In einem weiteren Artikel stellte Scheit deshalb die These auf, Breiviks Tat sei die Folge eines ‚Neids‘ auf den Islam gewesen, und zwar auf die Radikalität seines antisemitischen Potentials.[12]

Georg Seeßlen wiederum brachte in zwei Meta-Essays über das Phänomen und die Breivik-Debatte mit W. J. T. Mitchell den dazu passenden Begriff des ‚geklonten Terrors‘ in die deutsche Diskussion ein: „Der US-amerikanische Kunsthistoriker W. J. T. Mitchell spricht von einem ‘Klonen’ des Terrors. Der ‘Krieg gegen den Terror’ erzeugt neue Terroristen infolge einer ‘Autoimmunerkrankung’ (Derrida) der neoliberalen, globalökonomischen Gesellschaften. Die einzelnen Zellen sind nicht über eine Zentralmacht oder einen Masterplan miteinander verbunden, sondern durch ihre Ähnlichkeit untereinander. Die Voraussetzung für das grausige Funktionieren des globalen Terrors ist es, dass diese Zellen nach genau gleichen Vorstellungen, Strategien, Absichten und inneren Verfassungen agieren. Dieser geklonte Terror benötigt schließlich nicht einmal mehr ein gemeinsames Interesse, ein Milieu, eine ‘Überzeugung’ im klassischen Sinne. Die Metastasen bilden sich an vollkommen überraschenden Stellen (jedenfalls wenn man an einem traditionellen Bild von ‘Freund’ und ‘Feind’ festhält); zuerst durfte man nur staunen über das rasche Auftreten von ‘Konvertiten’ des ‘islamistischen Terrors’, nun ist klar, dass sich geklonter Terror auch im tiefsten Inneren der ‘Gegenseite’ nach dem vollkommen gleichen Muster vollzieht.“[13]

Bemerkenswert ist das Bestreben solcher Täter wie Breivik, ihre ‚kriegerisch‘ aufgefassten Taten mit voluminösen Schriften zu flankieren, deren ‚Bedeutung‘ für die Öffentlichkeit durch die Monstrosität des begangenen Massakers automatisch stark ansteigt und trotz aller Verworrenheit und offensichtlichen Sinnlosigkeit der ‚Argumentation‘ solcher Texte zu erregten Pressedebatten führen kann. Das extrem emotionalisierende ‚Kommunikationsmittel‘ beziehungsweise die ‚Botschaft‘ des Attentats wirkt hier so stark, dass sich seine schockierende und furchteinflößende Wirkung auf die Wahrnehmung paralleler schriftlicher Darlegungen unmittelbar zu übertragen scheint.

Ähnlich wie der „Unabomber“ Kaczynski, der ein 35.000 Wörter umfassendes, antimodernes Manifest mit dem Titel „Industrial Society and its Future“[14] verfasst hatte und an verschiedene Zeitungen in den USA verschickte, damit sie es veröffentlichten, schrieb auch Breivik gewissermaßen weiter an jenen „vielhundertseitigen Konzepten zur völkischen Rekonstruktion des Volkes aus Blut und Boden“, wie sie Ulrike Haß bereits in den Schriften der deutschen konservativen Revolutionäre nach dem Ersten Weltkrieg erkannte. Das ‚messianische‘ Sendungsbewustsein solcher Autoren vermag ihren Schriften in dem Moment, in dem sie mit konkreten mörderischen oder selbstmordattentäterischen Taten ‚beglaubigt‘ werden, offensichtlich mit einer geradezu ‚numinosen‘ Aura zu versehen, die sie gegen ihre tatsächliche absolute Unsinnigkeit und argumentative Mangelhaftigkeit zu ‚imprägnieren‘ beginnt. Anders gesagt: Der Akt des Krieges vermag in seiner emotionalen Überwältigungskraft noch so nichtigen Autoren oder auch Politikern den Anschein von Bedeutung und Macht zu verleihen und ist deshalb ein Phänomen, das besonders in krisenhaften, als problematisch empfundenen gesellschaftlichen Situationen als Wahl beziehungsweise als ‚Lösung‘ attraktiv zu erscheinen beginnt. Besonders gefährlich und unkontrollierbar aber sind die Folgen dieses Effekts, wenn durch ihn ‘individuelle’ Täter aus dem Nichts heraus ‘aktiviert’ werden.

Die Radikalisierung der kulturpessimistischen Idee eines imaginären Abwehrkamps gegen fremde ‚Eindringlinge‘ ließ Breivik zu einem jener von gewissen Gruppen bewunderten und verehrten „terroristischen out-laws“ werden, wie sie bereits in den 1920er-Jahren in Deutschland „gegen den Leviathan der neuen Zeit zu Feld“ zogen, um ihn „mit Sprengsätzen stoppen, die sie selber“ waren.[15] So gesehen lag sogar Götz Aly ausnahmsweise einmal richtig, als er kurz nach Breiviks Massenmord in der „Frankfurter Rundschau“ in einem Kommentar schrieb: „Breivik ist kein Wahnsinniger, sondern ein spätes, deshalb seltsam erscheinendes Exemplar jener Weltanschauungskrieger, die das Europa des 20. Jahrhunderts zu Millionen hervorgebracht hat. […] Die Anführer versprachen ihren angeblich hochstehenden Rassen, Klassen oder Völkern eine herrliche Zukunft – zuvor aber sei ein notfalls opferreiches letztes Gefecht zu bestehen, ein Endkampf, um die Feinde zu vernichten. Dafür mussten zunächst die inneren Reihen fest geschlossen, die Verräter, die Angehörigen der fünften Kolonne des Feindes vernichtet werden, die Weichredner und die Wehrkraftzersetzer.“[16]

Anm. der Red.: Bei dem Beitrag handelt es sich um einen kleinen, auszugsweisen ‚Preview‘ auf das Vorwort zu dem im Juni 2012 im Göttinger Wallstein Verlag erscheinenden Sammelband von Søren Fauth, Kasper Green Krejberg und Jan Süselbeck (Hrsg.): Repräsentationen des Krieges. Emotionalisierungsstrategien in der Literatur und in den audiovisuellen Medien vom 18. bis zum 21. Jahrhundert.

[1] Gilles Deleuze: Zwei Systeme von Verrückten. In: Ders., Schizophrenie & Gesellschaft. Texte und Gespräche 1975-1995. Herausgegeben von Daniel Lapoujade. Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer, Frankfurt am Main 2005, S. 12-17. Hier: S. 13.

[2] Ebd.

[3] Vgl. dazu vor allem Herfried Münkler: Die neuen Kriege, Frankfurt am Main / Wien / Zürich 2002 sowie Ders.: Über den Krieg. Stationen der Kriegsgeschichte im Spiegel ihrer theoretischen Reflexion, Weilerswist 2011.

[4] Gilles Deleuze: Der widerwärtige Krieg. In: Ders., Schizophrenie & Gesellschaft, a.a.O., S. 357-358. Hier: S. 357f.

[5] Judith Butler: Krieg und Affekt, Zürich 2009, S. 76f.

[6] Vgl. dazu die Analysen in dem Band: Angela Krewani / Karen A. Ritzenhoff (Hrsg.), Leiden, Trauma, Folter: Bildkulturen des Irakkriegs. In: Augenblick. Marburger Hefte zur Medienwissenschaft 48/49 (2011).

[7] Martin van Creveld: Gesichter des Krieges. Der Wandel bewaffneter Konflikte bis heute. Aus dem Englischen von Norbert Juraschitz, München 2009, S. 326.

[8] Vgl. dazu etwa Jens Jessen: Unsere Kreuzritter. Zehn Jahre nach dem Anschlag auf das World Trade Center und zwei Wochen nach dem Massaker in Oslo ist klar: Der Feind lauert im Herzen des Westens. In: „Die Zeit“, 04.08.2011. Online abrufbar unter: http://www.zeit.de/2011/32/Norwegen-Debatte/komplettansicht (letzter Zugriff: 9.8.2011).

[9] Breiviks Pamphlet taucht seit dem Attentat im Netz immer wieder an unterschiedlichsten Stellen auf, wird gelöscht und neuerlich online gestellt, u.a. auch von Seiten rechtsextremer und antisemitischer Hetzer, die Breivik unumwunden als „Helden“ verehren. Siehe u.a. die Nazi-Website: http://ironyouthparty.wordpress.com/2011/07/27/2083-a-declaration-of-european-independence-anders-behring-breiviks-manifesto/ (letzter Zugriff: 28.07.2011). Dort steht zu lesen: „Anders Behring Breivik was a hero, he saw the cultural decadence of his country (Norway) and the destruction of Marxism and Multiculturalism, and did something about it. Apparently ‘Anonymous’ is trying to shutdown all sites carrying downloadable copies of it or something equally retarded, so in spirit of defiance against Marxists, Zionists and other scum we provide it here as a download.“

[10] Noch absurder wird es, wenn die Schuld an dieser Tat wiederum mit einer offen antisemitischen Rhetorik, wie sie zumal der ‚antiimperialistischen‘ Linken oft eigen ist, ausgerechnet Israel in die Schuhe geschoben wird: „Wenige Tage vor dem Massaker im Feriencamp der norwegischen Jungsozialisten, das am Freitag voriger Woche die Öffentlichkeit weltweit schockierte, wurde der Außenminister Jonas Gahr Store dort mit ‚Boykott Israel‘-Transparenten empfangen – und pflichtete der Forderung unter Applaus bei. Was wiederum die Professorin María José Lera auf der linken spanischen Internetplattform Rebellión hinsichtlich des Oslo-Attentats vermuten ließ, dass ‚die Tentakel des israelischen Staates gar nicht so weit von dem Blutbad entfernt sind‘“. Vgl. Thorsten Mense: Die anizionistische Internationale. In: Jungle World, 28.07.2011. Siehe auch: http://jungle-world.com/artikel/2011/30/43663.html (letzter Zugriff: 31.07.2011). Vgl. dazu außerdem den Folgeartikel von Bernhard Schmid: Der Mörder ist immer der Mossad. Die Rechtsextremisten in Europa reagieren unterschiedlich auf den Terroranschlag. Auch Verschwörungstheorien kursieren. In: Jungle World, 4.08.2011. Online abrufbar unter: http://jungle-world.com/artikel/2011/31/43715.html (letzter Zugriff: 09.08.2011).

[11] Vgl. Gerhard Scheit: Die Methode Breivik. In: Lizas Welt. Ansichten zu Politik & Fußball. Online abrufbar unter: http://lizaswelt.net/2011/08/02/die-methode-breivik/ (letzter Zugriff: 03.08.2011).

[12] Gerhard Scheit: Es gibt keine Islamophobie. Der Begriff verschleiert nur, worum es tatsächlich geht, nämlich um Antisemitismus. In: Jungle World, 11.08.2011. Siehe auch: http://jungle-world.com/artikel/2011/32/43769.html (letzter Zugriff: 12.08.2011).

[13] Georg Seeßlen: Der explodierende Kreuzritter. Das Problem des „islamistischen“ und „anti-islamistischen“ Terroristen ist das gleiche: Es ist der eigene Körper. Anmerkungen zum Terror und seinen Bildern. In: Jungle World, 11.08.2011. Siehe auch: http://jungle-world.com/artikel/2011/32/43775.html (letzter Zugriff: 12.08.2011). Siehe außerdem Ders.: Angriff der Klonkrieger. Von Ground Zero über Abu Ghraib nach Oslo – ein Versuch, den Terror zu verstehen. In: Konkret 9/2011, S. 44-47.

[14] Das Manifest ist sogar in deutscher Übersetzung als pdf-Dokument online abrufbar unter: http://www.equinox-net.de/wp/wp-content/downloads/unabomber.pdf (letzter Zugriff: 28.07.2011).

[15] Ulrike Haß: Militante Pastorale. Zur Literatur der antimodernen Bewegungen im frühen 20. Jahrhundert, München 1993, S. 13.

[16] Götz Aly: Breiviks Weltsicht, in: Frankfurter Rundschau, 26.07.2011. Siehe auch: http://www.fr-online.de/politik/meinung/breiviks-weltsicht/-/1472602/8710188/-/index.html (letzter Zugriff: 27.07.2011).