Schwabing vor dem Untergang

Gerhard Köpf hat mit seiner Erzählung „Als Gottes Atem leise ging“ eine wehmütig-vergnügliche Erinnerung an Eduard von Keyserling verfasst

Von Klaus HübnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hübner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zu den gar nicht mal so wenigen deutschen Schriftstellern, die vor einem Vierteljahrhundert enthusiastisch gelobt und mit großen Vorschusslorbeeren bedacht wurden, bevor sie nach und nach in der Versenkung verschwanden, gehört Gerhard Köpf. Sein Debütroman „Innerfern“ (1983) galt als Sensation, „Die Strecke“ (1985) und „Die Erbengemeinschaft“ (1987) wurden von der Kritik gefeiert, und noch „Eulensehen“ (1989) fand einige Aufmerksamkeit. Dann aber wurde es still um diesen raffinierten Erzähler, der lange Jahre hindurch als Literaturwissenschaftler in Duisburg lehrte. Obwohl Köpf nach wie vor lesenswerte Prosabände vorlegte und funkelnde Essays schrieb, wurde er immer weniger beachtet. Nun ist er beim Allitera Verlag angekommen, und seine jüngste Erzählung passt vorzüglich ins Programm dieses kleinen Münchner Hauses. Ob sie aber auch endlich einmal wieder gebührend beachtet wird?

Der vielen Literaturfreunden nicht unbekannte Schüttelreim „Als Gottes Atem leiser ging / schuf er den Grafen Keyserling“ stammt aus einem Spottgedicht von Emil Preetorius. Es bezog sich ursprünglich nicht auf den meist dem literarischen Impressionismus zugerechneten Erzähler Eduard Graf von Keyserling (1855-1918), sondern auf Hermann (1880-1946), den Philosophen aus diesem Adelsgeschlecht. Bald aber meinte, wer diesen Reim zitierte, auch den auf einem Gut im heute lettischen Kurland geborenen Dichter. Dieser sonderbare Eduard, der 1895 in das fünf Jahre zuvor Teil der Stadt München gewordene Schwabing zog und dort bis zu seinem Tod von gleich drei seiner Schwestern umsorgt wurde, galt zeitlebens als geistreiches, leicht kauziges und bis zur Sturheit eigensinniges Künstleroriginal. Seine bedeutendsten Erzählungen und Romane hat er in München vollendet, „Schwüle Tage“ zum Beispiel (1904) oder „Bunte Herzen“ (1909), den meisterlichen Roman „Wellen“ (1911) und die späten „Fürstinnen“ (1917).

Diesem womöglich immer schon älteren Herrn setzt nun Gerhard Köpf ein bewegendes Denkmal, ein nicht ganz unkompliziert aufgebautes und doch leicht zu lesendes Sprachkunstwerk, das zugleich eine Liebeserklärung an Münchens einstiges Künstlerviertel ist – Franziska Gräfin zu Reventlow hat es mit dem Namen „Wahnmoching“ unüberholbar treffend charakterisiert. Erzählt wird die Geschichte vom früheren Sekretarius des sterbenskranken Grafen, dem Ministerialrat Dr. Gustav Loiblfing, der von sich sagt: „Meine große Zeit ist die zwischen 1900 und 1914 gewesen. Diese glückliche Epoche meines Lebens möchte ich noch einmal schraffieren“.

Und wie er sie schraffiert! Auf den klapperigen, gleichwohl fast täglich im Trubel der Schwabinger Bohème steckenden Grafen war der junge Mann durch seinen Studienfreund Hans Carossa aufmerksam gemacht worden. Schnell erliegt er seinem Charme – und dient ihm, bis er 1914 in den Krieg ziehen muss. Auf seinen allmählich erblindenden Grafen, der wider jeden ärztlichen Rat auch trank, ja sogar „soff“, wie es einmal heißt, lässt Loiblfing nichts kommen: „Wir armseligen Bajazzos mit unseren pseudomondänen Neigungen wissen gar nicht mehr, was das ist: Noblesse, Stil, Eleganz. Wir denken dabei an Mode und törichte Accessoires. Für den Grafen aber waren es die Grundelemente seines Herzens- und Geistesadels“.

Auch Gerhard Köpf, der sich mehrfach als scharfsinniger Verächter seiner als geist-, manieren- und stillos empfundenen Gegenwart zu erkennen gegeben hat, lässt auf Keyserling nichts kommen. Seine zart und liebevoll daherkommende Schraffur entfaltet ein facettenreiches Panorama der Münchner Kulturgeschichte vor dem Ersten Weltkrieg. Die kriegsbegeisterten Schriften, mit denen sich Keyserling um 1914 hervortat, verschweigt Köpf nicht – seine Mutmaßungen, wie es dazu kommen konnte, sind klug und einleuchtend, ohne die Sache zu verharmlosen. Am Ende aber mündet seine durch und durch sympathische Erzählung in ein apokalyptisches Szenario: „Mein Graf beschrieb eine im Verschwinden, eine im Untergehen begriffene Welt, und ich bin der unerschütterlichen Überzeugung, ein derartiges Verschwinden, ein derartiger Untergang steht erneut bevor: diesmal in noch viel schrecklicherem Ausmaß. Außerdem glaube ich daran, nein, ich weiß es, dass es diesmal keine Rettung geben wird“. Sagt der alte Loiblfing. Sagt der große Erzähler Gerhard Köpf.

Titelbild

Gerhard Köpf: Als Gottes Atem leiser ging. Eine Erzählung.
Lyrikedition 2000, München 2010.
100 Seiten, 11,90 EUR.
ISBN-13: 9783869060941

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