Untergang mit Zuschauer

James Sallis zeigt sich wieder einmal als großer Autor. In „Der Killer stirbt“ schaut er einem Mann dabei zu, wie er seinen letzten Job zu erledigen versucht und an der Dankbarkeit scheitert

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Mann hat einen Auftrag, wie er viele Aufträge hatte, und er ist gewohnt, ihn präzise zu erfüllen. Nur dass vor seinen Augen seine Zielperson Opfer eines Attentats wird, das zwar misslingt, aber die Frage bleibt: Wer will jemanden umbringen, den umzubringen er den Auftrag hat? Normalerweise konkurrieren Killer am Ende ihrer Karriere nicht mit anderen Killern um ihre Opfer, sondern müssen sich ihrer erwehren. Immer ist da jemand, der es auf sie abgesehen hat, weil sie zuviel wissen, weil sie einmal den Falschen erwischt haben, oder den Richtigen, aber der hat nun mal Familie oder sonstwen, der sich rächen will.

Sallis inszeniert das Ende des Killers anders. Christian, wie er ihn nennt, ist nur ein Schatten. Ein unauffälliger älterer Mann, der ein wenig kränklich wirkt und den niemand auch nur wahrnehmen würde. Seine letzten Job nimmt ihm jemand vor der Nase weg, und um herauszubekommen weshalb, macht er sich auf die Suche.

Dass es seine letzte Suche sein wird, ist ihm mehr als klar, denn Christian stirbt. Er stirbt sichtlich. Er schleppt sich nur noch langsam voran. Er verliert zeitweise die Sehfähigkeit. Er wird bei einer Observation sogar einmal ohnmächtig und wacht – wie kanns geschehen – im Krankenhaus auf, aus dem er flieht.

Eine rätselhafte Geschichte, an der freilich nicht nur Christian beteiligt ist, sondern die auch von zwei Polizisten und einem unbekannten vierten Mann geschrieben wird. Sie alle sind keine besonderen Helden, sondern Demontierte, Männer im Niedergang und ohne Perspektive. Sallis widmet sich ihnen allerdings nicht mit der deprimierenden Schnoddrigkeit, mit denen sonst das Genre mit seinen Antihelden umzugehen pflegt. Stattdessen ist sein Umgang von einer angenehmen Freundlichkeit. Auch wenn die Genregesetze für ihn nicht außer Kraft gesetzt werden, ist das, was er tut, außergewöhnlich – freundlich?

Vielleicht ist er aber einfach nur ein bisschen genauer und sorgfältiger als die meisten seiner Kollegen und nicht darauf aus, eine Monstrosität auf die nächste folgen zu lassen. Ein ungewöhnlicher Plot, eine intelligente Figurenführung, eine Erzählung, die auf Nähe und nicht auf Entsetzen setzt, das ja immer mehr fordert, um überhaupt noch angelockt werden zu können. Sehr angenehm, einmal so viel understatement am Werk zu sehen, das Überbietung schlicht nicht nötig hat, um wirksam zu sein.

Ein Killer am Ende seiner Karriere hat immerhin mehr verdient als einen großen Abgang. Er ist eine mythische Gestalt, deren Untergang noch einmal alles herbeizitiert, was je durch sie auf den Weg gebracht wurde oder dessen Weg durch sie beendet wurde. Jetzt, wo sie selbst aus der Welt verschwindet, verschwinden auch ihre Taten. Und das hat Zeugen verdient. Und der vierte Mann ist der Zeuge, um den es hier geht. Die Opfer des Killers waren vorgeblich unbescholtene Männer. Niemand kann sich erklären, weshalb sie getötet werden mussten. Aber dass es sich dabei um eine professionelle Arbeit handelt, ist an allen Elementen der Tat zu erkennen.

Wenn aber ein Profi auf diese Tat angesetzt ist, dann ist der Einsatz hoch. Der Anlass muss deshalb von Bedeutung sein. Denn auch wenn der Tod vielleicht nur ein gewöhnliches Ende ist, ihn professionell herbeizuführen, ist ein Investment, das sich lohnen muss, auch in jenem Haushalt, der vom Mythos gebildet wird. Wenn der Mythos ein vorrationales oder unterkomplexes Erklärungsmuster ist, warum sollte er nicht auch so etwas wie eine Ökonomie haben, in der sich Einsatz und Ertrag ausgleichen müssen, in der es einen Mehrwert geben muss?

Der Zeuge nun steht für diesen Einsatz ein. Er gibt der Tat ihren Grund, ihre Legitimation, die das gesamte Leben des Killers in einem anderen Licht erscheinen lässt. Derjenige, der den Tod bringt, ist so etwas wie ein Bote, der Gerechtigkeit einfordert, die Balance wiederherstellt, die von der Gewalt immer wieder aus dem Lot gebracht wird.

Die Polizisten wiederum sind das Publikum des Zeugen. Zu ihnen spricht er, damit sein Zeugnis selbst nicht verloren geht, sondern auf offene Ohren trifft. Denn die Polizisten sind die Agenten der Heuristik: Sie sind die Welterklärer, die die einzelnen Elemente an ihrem richtigen Ort platzieren. Ordnung und Deutung bedingen einander, auch hier. Und sie sind zugleich die Bedingung dafür, dass dies alles niedergeschrieben wird.

Selbstverständlich, auch „Der Killer stirbt“ ist nichts anderes als ein fiktionaler Text, ein Roman, der seinen eigenen, an den unsrigen erinnernden Kosmos entwirft, um wirksam zu sein. Ein Krimi zudem, in de es ein Verbrechen gibt, Akteure, die es verübt haben, Motive, auf dies es zurückzuführen ist, und Leute, die wissen wollen, wie das Ganze zusammenhängt. Ein Krimi eben.

Und dennoch, „Der Killer stirbt“ zeigt, dass es dabei immer noch ein bisschen anders geht als gewohnt.

Titelbild

James Sallis: Der Killer stirbt. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Jürgen Bürger und Kathrin Bielfeldt.
Liebeskind Verlagsbuchhandlung, München 2011.
250 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783935890786

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