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In Simon Urbans Romanerstling regiert Egon Krenz die DDR im Jahre 2011 –doch aus der ist auch im zweiten Anlauf nicht viel geworden

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was für eine verrückte Welt! Elfriede Brüning, Christa Wolf und Luc Jochimsen sitzen zusammen im Altenheim der SED. Nach Peter Hacks wurde ein sozialistisches Kombinat benannt. Der „VEB Behindertenwerkstätten“ trägt mit Stolz den Namen des letzten Volkskammerpräsidenten der DDR Horst Sindermann. Derweil steht Claus Kleber dem „Spiegel“ vor, Oskar Lafontaine als Bundeskanzler der BRD, Egon Krenz der DDR und Otto Schily (!) – nach seiner Flucht in den Osten – dem Ministerium für Staatssicherheit. Was einst Millionen dazu brachte, aus voller Brust „Wahnsinn!“ zu rufen und in die westliche Bananenrepublik zu stürmen, ist längst passé. Nach dem Exodus von ein paar Hunderttausend Unzufriedenen wurde die Mauer wieder hochgezogen. Statt „Wiedervereinigung“ heißt die Parole nun „Wiederbelebung“. Allein was da in etwas gemäßigter Form auferstanden ist, hat immer noch die gleichen Probleme. Dumme Parolen, Stasi und Sättigungsbeilagen, die nicht satt machen – in Simon Urbans Romanerstling praktiziert man auch beim nächsten Versuch Sozialismus as usual. Nichts hat sich wirklich geändert.

Der Roman „Plan D“ spielt zwischen dem 19. und dem 29. Oktober 2011 – es sind Schicksalstage für die beiden deutschen Staaten. Nach wie vor braucht die DDR Devisen, während der Bundesrepublik die Rohstoffe ausgehen. Fließt nicht bald Westgeld Richtung Osten, kann man den maroden sozialistischen Laden ein weiteres Mal dichtmachen. Deshalb versuchen die Berliner Politbüro-Strategen, die auf Menschenrechte bedachten Politiker jenseits der Mauer möglichst wenig mit Aktionen zu erzürnen, die beweisen, dass es mit der Rechtsstaatlichkeit zwischen Oder und Elbe nicht so weit her ist, wie der Krenz-Staat immer tönt. Also bitte keine Stasimorde oder ähnliche Geschmacklosigkeiten, die die Verhandlungen über einen Gasdeal, der die Bundesrepublik mit Energie aus dem Osten versorgen würde, torpedieren könnten. Doch da hängt plötzlich an einer Pipeline in den Berliner Wäldern die Leiche eines ehemaligen Politbüro-Beraters. Und alle Umstände deuten darauf hin, dass es sich hier um einen Ritualmord handelt, der in der Normannenstraße in Auftrag gegeben wurde.

Herrlich wild ist der Mix, den der gelernte Werbetexter Simon Urban seinen Lesern bietet. Irgendwo zwischen Nachwenderoman – wobei der Begriff „Nachwende“ hier eine ganz neue Dimension erhält – und Thriller ist das Ganze angesiedelt. Reizt mal zum Lachen, mal zu Nachdenklichkeit. Und ist doch unterm Strich nichts weniger denn eine Abrechnung mit all jenen Systemen, die nicht gewillt sind, Alternativen neben sich zu dulden, und ihren Bürgern das Himmelreich auf Erden versprechen, egal ob die das wollen oder nicht. Das 20. Jahrhundert war voll von diesen „Ismen“, die Selbstgefälligkeit mit Ignoranz, plakativ zur Schau getragene Menschenliebe mit zynischer Brutalität, rosige Zukunftsvisionen mit rostigem Stacheldraht so lange vermischten, bis man in den diese Gesellschaften steuernden Gremien und Apparaten die Übersicht verlor. Dann freilich brauchte es weder Ochs noch Esel, um binnen historisch kürzester Zeit jene Transformationsprozesse in Gang zu bringen, in denen wir uns immer noch befinden.

„Plan D“ nun lässt einen letzten „Ismus“ Anlauf auf eine der gleichmacherischen Ideen längst müde gewordene Menschheit nehmen, den „Posteritatismus“. Darunter hat man sich ein System vorzustellen, das gelernt hat aus den Fehlern seiner vielen Vorgänger, so dass es, erst einmal installiert, durch nichts mehr zu erschüttern sein wird. Allein seine Feinde sind die Etablierten in Ost wie West. Denn es droht nicht nur, den laschen Sozialismus Krenz’scher Prägung in den Abgrund zu befördern, sondern auch seinen historischen Antipoden, der, sieht man genauer hin, auf nicht weniger tönernen Füßen steht. Doch es bedarf einer Intrige, die das deutsch-deutsche Verhältnis auf lange Zeit vergiftet, um einschwenken zu können auf diesen dritten Weg. Nur wenn sich die beiden deutschen Staaten in die Haare geraten statt die angestrebten guten Geschäfte miteinander zu machen, wäre das Ende der DDR aus Devisen-, das der BRD aus Rohstoffmangel beschlossene Sache. So stellt der tote Mann an der Gasleitung nur den ersten Zug in einem hinterhältigen Spiel dar, dem zwei Polizisten in der Thrillerhandlung auf den Grund zu kommen suchen.

Martin Wegener von der Kripo Köpenick und der Westberliner Sonderermittler Richard Brendel sind Urbans Helden. Mal auf getrennten Wegen, mal gemeinsam machen sie sich daran, den scheinbaren Stasimord aufzuklären und das Verhältnis der beiden deutschen Staaten zu deren zukünftigem Wohl wieder geradezurücken. Dass der Ostkommissar dabei gegen die eigene Mischpoke zu ermitteln hat, macht seine Mission besonders heikel. Zumal er im Laufe der Nachforschungen nicht nur mit seiner Ex-Geliebten Karolina konfrontiert wird, die inzwischen im Energieministerium Karriere macht und mehr zu wissen scheint, als sie zugibt, sondern zusätzlich auch mit grundsätzlichen Zweifeln an dem System, in dem er groß geworden ist.

Simon Urbans Debüt ist Agentenroman und Sozialismuspersiflage gleichzeitig. Ein in ähnlicher Weise von Ideen überschäumendes literarisches Debüt voller herrlicher stilistischer Eskapaden hat es lange nicht gegeben. Da stört es dann nur wenig, wenn hin und wieder mal der Werbetexter Urban allzu deutlich durchschimmert. Mit der Beschreibung des geheimsten aller Stasi-Gefängnisse oder eines Trabi- Schrottplatzes mitten im märkischen Wald versöhnt der Autor seinen Leser sofort wieder. Und wenn Margot Honecker Biermann-Balladen anstimmt und eine „frustrierte Frau mit Prinz-Eisenherz-Frisur“ als „Physik-Nobelpreisträgerin Angela Kasner“ vorgestellt wird, kann man es kaum noch erwarten, was Simon Urban alles einfallen wird, wenn er seinen Titelhelden in ein weiteres Abenteuer schicken wird.

Titelbild

Simon Urban: Plan D. Roman.
Schöffling Verlag, Frankfurt a. M. 2011.
552 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783895611957

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