Das Eigenleben der Bilder

Barbara Filsers Dissertation über Chris Marker und die „Ungewissheit der Bilder“

Von Andreas HudelistRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andreas Hudelist

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Barbara Filser beschäftigt sich in ihrem Buch grundsätzlich mit der Dekonstruktion der Natürlichkeit von Bildern. Dabei legt sie ihren Fokus auf vier Filme aus vier unterschiedlichen Jahrzehnten des französischen Filmemachers Chris Marker. Darunter beschäftigt sie sich mit „La Jetée“ (1962), „Le Fond de L’air est rouge“ (1977), „Sans soleil“ (1982) und „Level Five“ (1996). Anhand der verschiedenen Filme zeigt sie mehrere Möglichkeiten auf, wie Marker seine Filme und ihre Darstellungen innerhalb des gezeigten immer wieder thematisiert. Nach Marker zeigen die Bilder immer wieder ohne sein zu Tun ein gewisses Eigenleben, welches die Thematik und sein künstlerisches Vorhaben stärken. Filser schreibt diesbezüglich: „Mit dem Markieren der Bilder als Bilder in Chris Markers Filmen verbindet sich grundsätzlich die Andeutung einer Materialität auch der flüchtigen und substanzlosen Gebilde, die sich in der Projektion formieren. Damit wird jener Effekt medialer Transparenz, der dem Film oft zugesprochen wird, von vornherein durchkreuzt.“

Bilder enthüllen somit ihre Konstruktion, sie zeigen, dass sie durch den Blick der Kamera gemacht wurden. So wird, nach Filser, in „La Jetée“ durch die Verwendung von Fotografien deutlich gemacht, dass es sich um gemachte Bilder handelt. Die erstarrte Bewegung und die narrative Stimme erzählen uns eine Geschichte, welche nicht nur die Geschichte Markers einzigen Spielfilms betrifft, sondern auch die Thematisierung von Gesehenem und Konstruktion des Gesehenem. Dies wird im Film bereits zu Beginn deutlich als der Protagonist seinen eigenen Tod vor dem Dritten Weltkrieg beobachten kann.

In „Le Fond de L’air est rouge“ thematisiert Marker wieder den Dritten Weltkrieg, diesmal jedoch als etwas Vergangenes. So fügt er in seiner filmischen Struktur zahlreiche politische Unruhen aneinander und stellt somit die eigene Konstruktion seines Filmes in den Vordergrund. Markers Intention folgt hier einer Politik der Repräsentation, so Filser. Gleichzeitig wird durch die Polyphonie der Kommentarstimmen keine Bedeutungshoheit beansprucht und verschiedenen Diskursen wird die Möglichkeit gegeben nebeneinander zu existieren. Ebenso entschlüpft die auf den ersten Blick normal aussehende Dokumentation dem dokumentarischen Genre, indem auch Szenen aus bekannten Spielfilme verwendet werden.

Eine Filmreise erlebt der Zuseher in „Sans Soleil“. So stehen zum Beispiel das Erinnern in den diversen Städten genauso im Vordergrund wie die vielfältigen Blicke auf die Städte und das Blicken wie Schauen selbst. Reales und Irreales geraten dabei aneinander und lassen sich nicht mehr unterscheiden. Das Spiel mit dem daraus folgendem Virtuellen zeigt die aufgelöste Differenz zwischen Konstruiertem und Realem. Unterstützt wird dies wiederum von der Polyphonie der Stimmen, welche aus dem Off Briefe vorliest, monologisiert oder gezeigtes unterstützt. Insgesamt stellt sich der Film als ein archivarisches Museum vor, welches nur reproduzieren kann. Filser schreibt dazu: „Dieses Gedächtnis ist ein verselbstständigtes, ,unerbittliches Gedächtnis‘, das Gedächtnis als ständig wieder abspielbares Videoband, ein totales, totes Gedächtnis, das Erinnern nur mehr als Wiederholung möglich erscheinen lässt.“

Das Dokumentarische im Rahmen der Fiktion erscheint auch in „Level Five“. Schauplatz des Geschehens ist Okinawa, jedoch nicht in der Realität, sondern in einem Computerspiel. Die Protagonistin, welche das Werk ihres verstorbenen Geliebten fertig zu stellen versucht, ist immer vor oder neben den Bildschirm zu sehen, wobei hier schon bereits auf die mehreren konstruierten Wirklichkeiten hingewiesen wird. Hier gibt es einige Parallelen zu „Sans Soleil“. Unter anderem ist es wieder eine weibliche Hauptfigur, welche Erinnerungen zusammen zu tragen versucht. Waren es in „Sans Soleil“ noch Briefe, ist es hier ein Computerspiel, welches die Schlacht zwischen Amerikanern und Japanern auf der Insel zu rekonstruieren versucht und somit Erinnerungen ins Leben gerufen werden.

Filser resümiert: „Das Filmschaffen Chris Markers wird in seinem essayistischen Gestus von dem Anliegen motiviert, Bilder zu befragen: die Arbeiten Markers reflektieren den Film, dessen Bilder und ihren Sinngehalt, in einem ,theoretischen Blick‘, der die Ungewissheit der Bilder enthüllt.“

In ihrem Buch zeigt die Autorin die Konstruktion von Bildern. Damit unterstützt sie die Loslösung des Genres der Dokumentation von der Annahme, es sei ein Genre, welches rein auf Fakten und Daten beruhen würde. In ihrer theoretischen Einleitung zeigt sie mit Siegfried Kracauer und André Bazin theoretische Probleme des Dokumentarfilms auf. Dabei bespricht sie verschiedene Konzepte des Genres und hebt den Essayfilm als stark verwandte Filmart hervor. Später bringt sie damit Chris Marker in den Zusammenhang und lässt erahnen, was später in ihren Analysen folgt. Dazwischen schreibt sie einen kurzen Exkurs über Gilles Deleuzes Verständnis von audio-visuellen Bildern und schlägt damit die Brücke von ihrer theoretischen Einführung zu ihrem praktischen Analysematerial, welches den Kern der Arbeit ausmacht.

Mittels Chris Markers Filmen, welche verschiedene Medien wie Fotografie, Film, Video und Computer im Film thematisieren, zeigt Filser das Fiktionale als illusorische Realität, woraus die Ungewissheit der Bilder entsteht. Sie schreibt: „Auf diesen ungewissen Bild-Status des Filmbildes in der Projektion erweist die in der Analytik und Pädagogik hervortretende Ungewissheit der Bilder zwischen Dokumentarität und Fiktionalität in Marker Filmen immer zurück, in sofern sie sich auf dieser gleichsam primären, originären Ungewissheit aufrichtet und deren Implikationen in ihrer jeweiligen Ausprägung als spezifisches Potenzial zum Einsatz bringt.“

Nicht immer liest sich das Buch so sperrig. Im Gegenteil, der überwiegende Teil ist flüssig geschrieben und macht Lust auf Chris Markers Filme. Trotzdem muss am Schluss erwähnt werden, dass die Analysen – die gut gelungen sind – sich nur innerhalb der jeweiligen Filme bewegen und nichts über die sozialen Wirklichkeiten oder Konstruktionen der Zeit der Produktion aussagt. Da die Auffassung, Dokumentarfilme bildeten keine Wirklichkeit ab, nicht gerade neu ist, wäre zum Beispiel eine genauere Betrachtung des Phänomens Chris Marker interessant gewesen. Denn dieser verschickt auf Anfrage nach einem Foto mit Vorliebe ein Bild einer Katze und konstruiert somit ein besonders eigentümliches Bild von sich selbst. Die Präsentation von sich selbst, der Wirklichkeit und der Bilder beschäftigt Marker also auch außerhalb seiner Filme. Hier scheint auch eine Parallele zu den Filmanalysen hervor. Es geht nämlich nicht darum, sich Vergangenes zu vergegenwärtigen, sondern Erinnerungen zu erschaffen.

Titelbild

Barbara Filser: Chris Marker und die Ungewissheit der Bilder.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2010.
515 Seiten, 68,00 EUR.
ISBN-13: 9783770548835

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