Weder Fisch noch Fleisch

Lucía Puenzos Roman „Das Fischkind“ präsentiert sich als konturenloses literarisches Allerlei

Von Antonia FéretRSS-Newsfeed neuer Artikel von Antonia Féret

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die dem Roman zugrunde liegende Idee klingt eigentlich vielversprechend: Die Tochter eines reichen und berühmten argentinischen Autors verliebt sich in eine paraguayische Hausangestellte. Die beiden Mädchen träumen von einem neuen Leben mit einem Haus am See in der Heimat der Paraguayerin Lin, und um diesen Traum zu verwirklichen, stehlen sie Geld, versetzen Möbel und Kunstgegenstände, während die Familie zerbricht. Die Mutter setzt sich nach Indien in ein buddhistisches Kloster ab, der mit Drogen dealende Bruder wird verhaftet, der depressive Vater vergeigt einen halbherzigen Selbstmordversuch nach dem anderen.

Nach dem Weggang seiner Frau beginnt er eine halb erzwungene, halb freiwillige Affäre mit Lin, bis ihn seine Tochter Paula, genannt Lala, mit einem Glas vergifteter Milch ins Jenseits befördert. Doch während Lala sich ihrem Ziel vom gemeinsamen Leben mit Lin nun ganz nah glaubt, in Ypacaraí ein Grundstück kauft und den Hausbau in Auftrag gibt, wird Lin für den Mord an Vater Brontë verhaftet und in eine Jugendstrafanstalt gesteckt. Als Lala zwei Monate später erfährt, was ihrer Freundin zugestoßen ist, setzt sie alles daran, sie zu befreien, und geht dafür bereitwillig über Leichen.

Erzählt wird all das von Lalas potthässlichem Hund Serafín, der so gar nichts mit seinem Namen gemein hat. Mit bitterbösem Humor und Zynismus schildert er die Ereignisse in seiner Umgebung und gelangt dabei zu tierischen Einsichten: „In der Welt der Menschen gewinnt, wer einen Aufstand macht.“

Gerade auf den ersten Seiten des Buches gerät man dadurch in Versuchung, die eigentlich ernsten Themen wie Mord, Vergewaltigung, Inzest, Zwangsprostitution und Selbstverstümmelung auf die leichte Schulter zu nehmen, doch weit gefehlt: Puenzos Roman ist multiperspektivisch, und dass die Geschehnisse an den einzelnen Figuren nicht spurlos vorüber gehen, erkennt man spätestens dann, wenn für kurze Zeit ihre Sicht der Dinge geschildert wird.

Leider erfolgt der Wechsel der Perspektiven so schnell und unangekündigt, dass man schon mal den Überblick verlieren kann, was ganz besonders in den miserablen Dialogen nicht zu übersehen ist. Hier offenbart sich eine echte Schwäche des Buches: Die Dialoge sind schwer nachvollziehbar, wirken konstruiert und hölzern. Psychologische Plausibilität vermisst man vielerorts völlig.

Schwach sind auch die Figuren der Protagonistinnen; in einer Geschichte, die sich fast ausschließlich um sie dreht, bleiben sie weitgehend konturenlos. Während die skrupellose Lala, die zu Beginn einen Wachmann erschießen lässt, nur weil er mit der „Guayi“ (wie der Hund Lin nennt) im Bett war, die Rolle der eifersüchtigen femme fatale einnimmt, verwässert ihre Figur im Verlauf immer mehr zum weinerlichen Sensibelchen. Spielt sie anfangs noch russisches Roulette mit ihrem Vater und der vergifteten Milch, plagen sie plötzlich Gewissensbisse, als jemand anderes für ihr Verbrechen verurteilt wird. Dieser Sinneswandel von einer kalt berechnenden Mörderin zum Menschen mit Gerechtigkeitssinn ist einfach zu abstrus. Und die Guayi bleibt während des ganzen Handlungsverlaufs in der ihr zugedachten Rolle der geheimnisvollen Schönheit stecken, die überhaupt keinen fassbaren Charakter zeigt.

Möglicherweise ist beabsichtigt, dass die beiden Hauptfiguren so ungreifbar bleiben – aber „Mörderinnen aus Liebe“, wie sie auf dem Cover angepriesen werden, das klingt doch nach mehr Leidenschaft, als die beiden an den Tag legen. Von der angeblichen „Liebe“ ist kaum etwas zu spüren – wie überhaupt die Emotionalität der Story, die so wichtig für einen bleibenden Leseeindruck gewesen wäre, unterentwickelt bleibt.

Und das, obwohl Puenzo durchaus auch anders kann: Ihr Stil ist tabu- und kompromisslos, ihre zeitweilige sprachliche Eleganz drückt sich in stimmungsvollen Metaphern und Vergleichen aus, beispielsweise: „Schließlich begann sie auf die Mitte des Sees zuzupaddeln, und jeder Paddelschlag glich einem Schnitt, als wäre das Paddel ein Messer und das Wasser ein Stück Fleisch.“

Bedauerlicherweise werden diese seltenen Stellen sprachlicher Schönheit durch die Plumpheit des größeren Teils des Textes überlagert, wie wenn es zum Beispiel von Lin heißt: „In dieser ganzen Zeit war die Guayi kein einziges Mal sauer gewesen. Besser gesagt: wütend gewesen. Allerdings auf den Richter, auf ihren Anwalt, auf Brontë, auf sich selbst, auf alle – alle, außer auf Lala.“

„Einheitlichkeit“ ist kein Schlagwort für „Das Fischkind“. Der groß angekündigte Humor versiegt zusehends, das einzige magische Element – der kleine Junge mit den Schwimmhäuten zwischen den Fingern – wird nach seinem einmaligen Auftritt in der Mitte des Buches links liegen gelassen, und die Handlung, in der kein Leitfaden auszumachen ist, stolpert ziemlich hastig voran. Als „temporeich“ wird so was vom Klappentext betitelt. Hätte man dieses Adjektiv durch „übereilt, wenig entwickelt und ohne jede Spur von echter Emotion“ ersetzt, wäre das wohl nachvollziehbarer gewesen.

Der Schluss ist der mit Abstand stärkste Teil des Buches, vor allem weil er offen bleibt. Für den anspruchsvolleren Leser mag dies ein kleiner Trost sein.

Titelbild

Lucia Puenzo: Das Fischkind. Roman.
Übersetzt aus dem argentinischen Spanisch von Rike Bolte.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2009.
156 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783803132208

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