Vermächtnis des Versöhnungskünstlers

Andrzej Szczypiorskis Roman "Feuerspiele"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Die Sache roch meilenweit nach einem Verbrechen", wie eine groß angelegte Brandstiftung bei einer Kunstausstellung. Fürst Kyrill, ein in Paris lebender Exil-Russe, dessen Adlatus Dr. Kovács und der steinreiche Graham Wilson III. planen ihr ohnehin schon beträchtliches Vermögen durch einen Versicherungsbetrug noch zu mehren. Die renommierten Kunstsammler haben ihre wichtigsten Stücke gegen "hervorragende Kopien" ausgetauscht, ehe sie den Brand legen lassen.

Dies ist der eine Teil der "Feuerspiele", der andere ist im Zweiten Weltkrieg angesiedelt. Als Bindeglied lässt der im Mai verstorbene Andrzej Szczypiorski den Gerechtigkeitsfanatiker Jan auftreten.

Nach dem Tod seiner Frau Monika kreisen Jans Gedanken fast ausschließlich um die Vergangenheit und die bestialischen Verbrechen der Nazis nach dem Einmarsch in Polen.

Szczypiorski erzählt alternierend auf zwei Ebenen: In der Gegenwart dreht sich alles um die Kunstausstellung in einem mondänen Kurort auf der historischen Achse begegnen wir dem barbarischen Treiben im Zweiten Weltkrieg. Szczypiorski erzählt diese Passagen ohne moralischen Zeigefinger und klagendes Lamento. Bisweilen erinnern die Einsprengsel schwarzen Humors an Jurek Beckers großen Roman "Jakob der Lügner".

"Andrzej Szczypiorski stellt die Verstrickung des Individuums in das kollektive Geschehen dar und ergreift Partei für den einzelnen gegenüber den Kollektiven", hieß es 1989 bei der Verleihung des Nelly-Sachs-Preises äußerst zutreffend über den bedeutendsten zeitgenössischen polnischen Romancier.

Nur so ist es auch zu verstehen, dass der Protagonist Jan fast völlig frei von Rachegelüsten gegenüber den deutschen Peinigern der Vergangenheit ist. Auf der Kunstausstellung, die Jan gemeinsam mit dem polnischen Galeristen Edek Laski besucht, trifft er ein halbes Dutzend Kriegsverbrecher - darunter den hohen SS-Offizier Baron Kugler.

In diesem Aufeinandertreffen steht die Suche nach einer objektiven historischen Wahrheit im Vordergrund. Doch Erinnerungen und die spätere Lebensläufe divergieren so stark, dass keinerlei Konsens möglich ist. Szczypiorski entpuppt sich als großer Versöhnungskünstler, der all seinen Figuren das Recht auf eine "eigene historische Wahrheit" zubilligt. Ob Kugler, dessen Nazi-Untertanen Ackermann und Westermann oder die steinreichen Brandstifter: Sie alle werden als Individuum respektiert - trotz ihrer Selbsttäuschungen und Lebenslügen.

Am Ende gerät das Feuer bei der Kunstausstellung außer Kontrolle. Jan kann sichdurch die Unterstützung einer gewissen Rita, die sich schon im Zweiten Weltkrieg mit Glück und Geschick aus einem brennenden Haus retten konnte, in Sicherheit bringen. Was aus den Brandstiftern und den ehemaligen Kriegsverbrechern wird, hält Szczypiorski offen.

"Wenn sich nur ein einziger Mensch infolge meiner Bücher von den Gespenstern befreit und den Weg zum inneren Frieden gefunden hat, bedeutet das für mich, die vielen Jahre meiner schriftstellerischen Arbeit nicht vertan zu haben", bekundete Andrzej Szczypiorski in einemGespräch. Die Gespenster, die er meint, sind die Traumata des vergangenen Jahrhunderts - ausgelöst durch die Verbrechen der totalitären Regime der Nazis und der Kommunisten, die der Autor als Insasse des Konzentrationslagers Sachsenhausen und später eines polnischen Internierungslagers am eigenen Leib zu spüren bekam.

Mit seinem letzten Roman "Feuerspiele" hat Andrzej Szczypiorski ein großes künstlerisches Vermächtnis hinterlassen - ein Alterswerk, das ihn noch einmal als großen Humanisten ausweist, seinen Ruf als "nationales Gewissen Polens" festigt und auf eine Stufe zu stellen ist mit seinen eindruckvollsten Romanen "Die schöne Frau Seidenmann" und "Eine Messe für die Stadt Arras".

Titelbild

Andrzej Szczypiorski: Feuerspiele.
Diogenes Verlag, Zürich 2000.
362 Seiten, 20,40 EUR.
ISBN-10: 3257062532

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