Auf dem richtigen Weg

Martijn van Praagh im Labyrinth seiner Geschichten

Von Saskia SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Saskia Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Liebenden begegnen sich zufällig. Während die beiden sich noch überrascht mustern, weiß die weise Erzählerfigur schon längst, dass der vermeintliche Zufall in Wirklichkeit Schicksal ist. Denn wahre Liebe soll immer schicksalhaft, beispielhaft sein. In "Der Wind im Feuer des Auges", einer von sieben Erzählungen des Niederländers Martijn van Praagh, sind die jungen Liebenden erst das Vorzeigepaar und dann die Sündenböcke ihres Dorfes. Bewunderung schlägt in Neid um - und das Schicksal schlägt zu.

Erzählt wird von Menschen und ihren Begegnungen - mit einem imaginären Miles Davis, einer noch unbekannten Geliebten im Traum, dem personifizierten Vorurteil gegen Schwule, einer unbekannten Krankheit und dem eigenen, abgründigen Ich. Die Charaktere sind meist eigenartig und manchmal liebenswürdig. So etwa Sarah und Aljoscha, die sich im kalten St. Petersburg gegenseitig die Herzen wärmen; sie eine dürre, immer essende Theaterschneiderin, er ein mit Gräbern redender Fahrradkurier. Ihre Liebe ist ein Labyrinth, aus dem sie sich einen Weg zurück in die Realität suchen - in das Labyrinth der Straßen ihrer Stadt.

Die außergewöhnlichen Grundideen einer jeden Geschichte spiegeln sich in der Sprache wider. Im ganzen Band stechen bizarre Bilder hervor, gibt es wundersame Wendungen und Menschlich-Abgründiges wird als Handlungsmotiv entlarvt. Van Praagh zeigt sich als junger, unverbrauchter und origineller Autor. Vor allem in der Erzählung "Der Mann im Tropenhaus" zeigt er, was er kann: Mit dem Ort wird die Atmosphäre gewechselt, das Grau der Stadt in das Grün des Urwalds eingetauscht und die Gefühlskälte der Hauptfigur dahingeschmolzen im tropischen, feucht-heißen Dampf. Der ehemals mächtige Mann wird durch einen Parasiten zum Leben in der Natur gezwungen und muss nun mit sich selbst kämpfen, gegen Eindringlinge - und gegen den Tod.

Trotz aller Originalität wirken die Texte unausgegoren, als seien sie noch im Stadium der Überarbeitung. Die Wechsel von Beschreibungen und Szenischem wirken unkoordiniert, die Erzählungen kommen selten richtig in Schwung. Zudem bremsen Wiederholungen den Text ab. Der Autor beherrscht die Kunst des Auslassens noch nicht, der Andeutungen, der Nuancen. Die Sprache wirkt manchmal unbeholfen, dann wieder ist sie unerhört gut; eine Mutter "atmet" Schweigen in die Telefonleitung, eine Sekretärin ist so "entbehrlich wie ein Blinddarm", ein Traum verschwindet durch das offene Fenster und wird "vom Straßenlärm verschluckt". Doch dann finden sich auch unstimmige Bilder, die zeigen, dass van Praagh die eigene und eigenwillige Sprache noch nicht mit Präzision zu verwenden weiß.

Die vorliegenden Texte sprechen vom großen Potential des jungen Autors. Leider wird seine literarische Mahlzeit serviert, bevor sie richtig gar gekocht ist.

Titelbild

Martijn van Praagh: Das blaue Labyrinth.
Hainholz Verlag, Göttingen 2000.
150 Seiten, 15,20 EUR.
ISBN-10: 3932622677

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