Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm!

Ein von Maximilian Bergengruen und Christine Weder herausgegebener, interdisziplinärer Sammelband thematisiert Luxus als ambivalentes Phänomen.

Von Manuel BauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manuel Bauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zwar ist der Luxus keine Folgeerscheinung oder gar Erfindung des Kapitalismus – eher ist das Gegenteil der Fall –, wohl aber gibt es scheinbar wesensmäßige Zusammenhänge zwischen Verschwendung, Überfluss und kapitalistischen Produktionslogiken. Obgleich Luxus allerorten als erstrebenswert gilt, ist sein Leumund in Krisenzeiten, in denen Gewinne privatisiert und Verluste vergemeinschaftet werden, nicht eben der Beste. Politiker sprechen gerne von „spätrömischer Dekadenz“, wenn sie sich die Aura kulturhistorischer Bildung verleihen wollen, können damit aber sogar Arbeitslose meinen, die ihrer Ansicht nach faul sind und der Verschwendungssucht anheim gefallen sind. Dennoch ist es gerade die Omnipräsenz der Krisenrhetorik und der Rezessionsangst, die hinterrücks dem Luxus eine ökonomische und soziale Legitimation verleiht. Wird im Übermaß konsumiert, mag das zwar für die verstörend wirken, die tatsächlich kaum genug zum Leben haben. Gesamtwirtschaftlich aber erweist es sich wenn nicht als Notwendigkeit, so doch als willkommene Anregung, da der übersteigerte und vermeintlich überflüssige Konsum die Auftragsbücher füllt und die Umverteilung und die Zirkulation des Kapitals im Fluss hält.

Die Beurteilungen des Verhältnisses von Bedürfnis und Verschwendung, von Mangel und Schwelgerei, von Subsistenz und Überfluss sind notorisch unsicher und korrespondieren mit wandelbaren wirtschaftlichen und politischen Ordnungsvorstellungen oder religiösen Dogmen. Diese Spannung, die das Phänomen Luxus zwischen moralischer und ökonomischer Bewertung generiert, nimmt der von Christine Weber und Maximilian Bergengruen herausgegebene Sammelband „Luxus. Die Ambivalenz des Überflüssigen in der Moderne“ in den Blick, indem literarische und soziologische Thematisierungen eines schillernden Begriffs und Sachverhalts diskutiert werden.

Die Einführung der Herausgeber skizziert die wechselhafte Geschichte der Diskussionen über den Luxus seit 1700 und lässt dabei wirtschaftstheoretische Autoritäten wie Adam Smith oder Jean-Baptiste Say ebenso zu Wort kommen wie Klassiker der philosophischen Anthropologie von Immanuel Kant bis Hans Blumenberg. Zudem wird die Frage angerissen, wie es um die Affinität von Kunst und Luxus bestellt ist. Daran anschließend veranschaulichen Beiträge von Alexander Honold, Dominik Schrage und Ute Tellmann die historische Variabilität der Bewertungen des Luxus und des Überflüssigen. Den Schwerpunkt des Bandes bilden literaturwissenschaftliche Beiträge, die ihrerseits zumeist kulturwissenschaftlich ausgerichtet sind. Je drei Aufsätze sind dem 18., dem 19. und dem 20. Jahrhundert gewidmet, so dass eine große literarhistorische Spanne, wenn auch exemplarisch, abgedeckt wird.

Die untersuchten Autoren und Gegenstände reichen von Darstellungen des Schlaraffenlands um 1700 und Versepen des Rokoko über Karl Philipp Moritz, Heinrich Heine und Honoré de Balzac bis hin zu Robert Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“ und Italo Calvino. Besonders hervorzuheben ist dabei Heinz Drüghs Lektüre von „Wilhelm Meisters Lehrjahre“, die plausibel macht, dass Goethe Luxus nicht nur als bloßen Irrweg in der Entwicklung des Protagonisten inszeniert, sondern nachgerade eine „literarische Phänomenologie des Luxus“ aufbietet. Bereits der Umstand, dass sich Wilhelm Meister überhaupt Lehrjahre leisten kann, wird als „bürgerlicher Luxus“ gedeutet. Nicht minder instruktiv ist Peter Schnyders Deutung von Heinrich Manns Roman „Im Schlaraffenland“, der vor dem Hintergrund einer unter anderem von Jochen Hörisch breit diskutierten „Poesie des Geldes“ gelesen wird. Durch den Bezug zu einem prominenten Prätext, Goethes „Faust II“, gelingt es Schnyder allerdings, sich von Hörisch in einem signifikanten Punkt abzuheben. Schließlich ist noch Maximilian Bergengruens Interpretation von Thomas Manns „Buddenbrooks“ zu erwähnen, die das ökonomische Wissen des prominentesten deutschen Kaufmannsromans mit ökonomischen Theorien seiner Zeit vergleicht und dabei herausarbeitet, dass Manns Roman einer „altväterlichen ökonomischen Theorie“ huldigt und dass nicht nur ein fehlerhafter Umgang mit dem ökonomischen Kapital, sondern auch ein im Laufe der Familiengeschichte abnehmendes „Nervenkapital“ für den Niedergang des Hauses Buddenbrook verantwortlich ist.

Die eigentlichen Stars des Buches aber sind Bernard Mandeville, dessen „Bienenfabel“ im frühen 18. Jahrhundert den Zusammenhang von privaten Lastern und öffentlicher Wohlfahrt vor Augen führte, Werner Sombart und dessen Engführung von Liebe, Luxus und Kapitalismus und nicht zuletzt mit Joseph Vogl einer der Wortführer der aktuellen kulturwissenschaftlichen Aufarbeitung ökonomischer Phänomene, der unter anderem in einem lesenswerten und höchst einflussreichen Artikel „Luxus“ als „Ästhetischen Grundbegriff“ definitorisch erfasste. Diesem Artikel kommt, das zeigen zahlreiche Beiträge, der Status des unkontroversen Ausgangspunktes jeglicher ideengeschichtlicher Beschäftigung mit „Luxus“ zu. Nur wenige Aufsätze kommen ohne diese prominenten Stichwortgeber aus. Das hat zur Folge, dass sich ein ums andere Mal Redundanzen einstellen und dass es der Leser mit den immer gleichen Zitaten und Paraphrasierungen zu tun hat, was zwar die Neugier auf eine Beschäftigung mit diesen Quellen steigert, die Lektüre des vorliegenden Bandes aber nicht abwechslungsreicher gestaltet.

Dass die einzelnen Beiträge von durchaus unterschiedlicher Stringenz und Qualität sind, ist geradezu unvermeidlich. Gleiches gilt für die unterschiedlich stark ausgeprägte Ausrichtung auf den zentralen Gegenstand, der bisweilen in den Hintergrund rückt. Das zeigt, dass „Luxus“ ein Phänomen ist, das mit zahlreichen anderen Gegenständen in Verbindung steht und auf verschiedenste Weise zu kontextualisieren ist. Trotz der genannten Einwände ist dieses Buch ein Beweis dafür, wie es gelingen kann, durch die interdisziplinäre Beschäftigung mit einem Themenkomplex, in dem sich soziologische, ökonomische, moralphilosophische und ästhetische Fragen überschneiden, zu fruchtbaren und anregenden Resultaten zu gelangen, die ein kulturtheoretisches Panorama eröffnen.

Titelbild

Maximilian Bergengruen / Christine Weder (Hg.): Luxus. Die Ambivalenz des Überflüssigen in der Moderne.
Wallstein Verlag, Göttingen 2011.
304 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783835307827

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