Weißer als Weiß

Christian Jostmann schildert in seinem Buch „Das Eis und der Tod“ Scotts und Amundsens Rennen zum Südpol

Von Benno KirschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Benno Kirsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zum Signum der Moderne gehört der feste Wille, „weiße Flecken“ auf der Landkarte des Wissens zu beseitigen. Dieser Wille, der vom zum Beginn der Expansion Europas ab 1500 über seine Grenzen hinaus belegbar ist, führte zunächst über das weite Meer nach China und Amerika und zur Erkenntnis, dass die Erde keine Scheibe ist. Doch es war nicht nur der Wunsch, Handel zu treiben oder fremde Länder zu unterwerfen, die kühne Männer zum Aufbruch trieb. Es waren ebenso unwirtliche Gegenden wie hohe Berge, staubige Wüsten oder eben die eisigen Pole, deren Eroberung kaum wirtschaftliche Gewinne abwerfen würden, die aber gleichwohl mit großer Beharrlichkeit zu erreichen versucht wurden. Einzig und allein, weil sie da waren.

Von einem dieser – bei Lichte betrachtet – nutzlosen Unterfangen berichtet Christian Jostmann in seinem historischen Sachbuch. Am Nordpol war man bereits gewesen und hatte festgestellt, dass er sich auf einem Meer befand, das von einer Eisfläche bedeckt war, die immerfort in Bewegung war. Aufbauend auf den Erfahrungen von toten und lebenden Abenteurern wie John Franklin oder Fridtjof Nansen nahmen gegen Ende des 19. Jahrhunderts mehrere Teams auch die Eroberung des Südpols in Angriff. Besonders faszinierend war ein Kampf zweier Männer, den ein Schriftsteller kaum besser hätte erfinden können: der Wettlauf zwischen dem Engländer Robert Falcon Scott und dem Norweger Roald Amundsen, der für den einen tödlich, den anderen ruhmreich endete.

Für ein Sachbuch, wie es Jostmann vorgelegt hat, ist dieses Duell ein dankbarer Stoff: Zwei Männer wollen ein Ziel erreichen, das eigentlich unerreichbar ist. Diese beiden Männer müssen zunächst die nötigen Geldmittel für ihre Expeditionen aufbringen, was selbst angesichts des nationalistisch eingefärbten Wettstreits kein Leichtes war; dann müssen sie den Widrigkeiten einer erbarmungslosen Natur standhalten und dabei große körperliche Entbehrungen auf sich nehmen; schließlich ist ihnen die Sorge um ihre Mannschaft und indirekt auch ihrer Familien, die sie zurücklassen, aufgetragen, was in den einsamen, entbehrungsreichen Jahren im Eis eine gehörige Portion an Charisma erfordert.

Zweifellos waren Scott und Amundsen die richtigen Führer für ihre Expeditionen. Sie waren erfahren, besaßen Organisationstalent – und waren auf eine gewisse Art autistisch. Scott etwa war, wie es aussieht, kein besonders umgänglicher Mensch. Und Amundsen täuschte seine Geldgeber und seine Mannschaft über sein Vorhaben; er änderte nach der Abfahrt aus Norwegen, wie er ohnehin vorgehabt hatte, seinen Kurs und steuerte das Ross-Meer an. Und er war unfähig, Fehler einzugestehen, wie der Streit mit dem verdienten Hjalmar Johansen zeigte, der Amundsen vorwarf, ihn bei einer Expedition im Eis im Stich gelassen zu haben. Zurückgekehrt nach Norwegen, dort unehrenhaft entlassen und von Amundsen verleumdet, nahm sich Johansen das Leben.

Letztlich entschieden mehrere Faktoren über den Ausgang des Rennens: Der siegreiche Amundsen hatte sich besser vorbereitet und verfügte über einen größeren Erfahrungsschatz. Er setzte auf Hundeschlitten als Transportmittel, während Scott mit Pferden, Motorschlitten und großem Vertrauen in die eigene Muskelkraft in das ewige Eis einfuhr – eine fatale Fehleinschätzung. Hinzu kam das bei derartigen Unternehmungen unerlässliche Quentchen Glück: Während Amundsen das Wetter und die geografischen Bedingungen einigermaßen hold waren, hatte Scott mit tagelangen Stürmen und dann wieder hohen Temperaturen sowie mit nur schwer passierbaren Eisformationen zu kämpfen. Als er den Südpol erreichte, fand er das bereits wieder verlassene Lager Amundsens vor, und kurz bevor er die rettende Basisstation erreichte, ereilte ihn und sein Team in einem tagelangen Schneesturm der Tod.

Die Lektüre über dieses Rennen ins ewige Eis ist spannend, weil niemand die Geschichte hätte besser erfinden können. Außerdem liest sich Jostmanns Schreibe gut, seine atmosphärischen Schilderungen sind im Ganzen gelungen. Allerdings verhindern mehrere Faktoren ein unumschränktes Lesevergnügen; hinter Fergus Flemings „Neunzig Grad Nord“ bleibt es zurück. Zum ersten ist Jostmann zu detailverliebt; zu oft überfrachtet er seine Darstellungen mit Informationen, die lediglich beweisen, wie gut sich der Autor in sein Thema eingearbeitet hat. Zweitens hat Jostmann einen sehr journalistischen Ansatz gewählt, was grundsätzlich nicht schlecht ist. Aber er steigt in seine kurzen Kapitel viel zu oft szenisch ein und hemmt dadurch den Lesefluss. Man rätselt oft, an welcher Stelle in der Handlung man sich gerade befindet, ob bei Amundsens Mannschaft oder der Scotts oder ganz woanders. Drittens vermisst man eine Einbettung der wahnwitzigen Unternehmungen in zeitgeschichtliche Zusammenhänge oder Denkweisen. Gerne hätte man mehr über die Motive der Teilnehmer an den Expeditionen erfahren; der Autor hätte sich ruhig auch als Psychologe betätigen können. Insoweit ist Jostmann zwar eine gute Schilderung des Rennens zum Südpol gelungen, aber den Geist der Moderne hat er nicht eingefangen.

Titelbild

Christian Jostmann: Das Eis und der Tod. Scott, Amundsen und das Drama am Südpol.
Verlag C.H.Beck, München 2011.
320 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783406620942

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