Zum Oberlehrer ungeeignet

Thomas Amos legt in der bewährten Reihe der Rowohlt-Monografien eine Biografie Ernst Jüngers mit Ecken und Kanten vor

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Porträt über Ernst Jünger in der bewährten Reihe der Rowohlt-Monografien vorzulegen, sieht sich zwei Schwierigkeiten ausgesetzt. Zum einen ist Ernst Jünger gebetsmühlenartig mit dem Apercu eines „umstrittenen Autoren“ ausgestattet, und zum anderen ist bei einer über 75 Jahre anhaltenden und qualitativ unterschiedlichen Textproduktion vorprogrammiert, dass Schriften und Äußerungen übersehen werden.

Thomas Amos hat diese Aufgabe, den entsprechenden Umständen entsprechend, gut gemeistert. Artig hat er immer wieder seine Distanz zu Ernst Jünger zum Ausdruck gebracht. Die angebrachte Objektivität des Wissenschaftlers verlässt Amos lediglich an jenen Stellen, wenn es um Jüngers klare Distanz zum sogenannten „Dritten Reich“ geht. So hat Thomas Amos etwa im Gegensatz zu Joseph Goebbels die provokative Schärfe in Ernst Jüngers Absage, den Vorsitz der Preußischen Akademie der Künste zu übernehmen, offenbar nicht wahrgenommen.

Eine ähnliche Fehleinschätzung unterläuft Amos bezüglich Jüngers Reaktion auf das gescheiterte Attentat auf Adolf Hitler. Noch im hohen Alter finden sich bei Jünger wie auch bei seinen Gesprächspartnern Hinweise, mit welcher Erregtheit er diese Ereignisse wahrgenommen hat. Dass Jüngers Sohn Ernst wegen Hochverrats verhaftet und dem sogenannten Voksgerichtshof überantwortet worden war, wo er zur Bewährung in ein Strafbataillon verurteilt wurde, findet bei Thomas Amos keine Erwähnung.

Und wenn Amos die Hausdurchsuchung im Hause Jüngers durch die Gestapo mit der Einschätzung „ohne freilich Belastendes zu finden“ abtut, suggeriert er eine unangemessene Harmlosigkeit Jüngers in Bezug auf die braunen Machthaber. Dass Jünger vorher Materialien verbrannte, darunter seinen Briefwechsel mit dem linken Anarchisten Erich Mühsam, findet keine Erwähnung.

Die Einschätzung von Thomas Amos, dass der 1934 erschienene Sammelband „Blätter und Steine“ Jüngers Präsenz auf dem nationalsozialistischen Buchmarkt unter anderem dazu diente, „um Kritik, nicht jedoch vollständige Ablehnung des neuen Staates vorzutragen“, mutet angesichts einer brutal gleichgeschalteten Pressepraxis der Nazis reichlich naiv an.

Jüngers lebenslange Abscheu vor Kniefällen und Bekenntnissen rührt nicht zuletzt aus jener Zeit. Den deutschen Nationalsozialismus reduzierte Jünger nicht auf die Figur Adolf Hitlers. Er fürchtete vielmehr die Meute, die sich schier unerschöpflich rekrutieren ließ. Heinz Ludwig Arnold, der in den 1960er-Jahren zeitweise als Jüngers Privatsekretär authentische Einblicke gewinnen konnte, verwies auf dessen „manchmal bis zum Starrsinn ausgebildeten Stolz und sein Beharren auf Unabhängigkeit“. Nicht zu unrecht verweist Thomas Amos in diesem Zusammenhang auf Ernst Jüngers „Selbststilisierungs- und Mystifizierungsstrategien“.

Lediglich dreizehn Seiten sind der Autorschaft Ernst Jüngers seit Kriegsende 1945 gewidmet. Dadurch kommt die ausgereifte Stilistik in Jüngers Spätwerk zu kurz. Dass Ernst Jünger immer wieder für Überraschungen sorgte, zeigt die in ihrer Mischung von Gattungen und Genres geradezu postmoderne Sammlung „Drogen und Rausch“. Hier gelingt es Amos unvoreingenommen, auf den eigenartigen Reiz der Jünger’schen Prosa hinzuweisen. Die Thematik scheint dem Zeitgeist unterlegen, „tatsächlich aber verblüfft sein Autor wie gewohnt durch analytische Präzision und intellektuelle Brillanz und beweist nonchalant, daß er immer noch die Provokation schätzt“:

Jüngers Tagebücher, aber auch sein Roman „Afrikanische Spiele“ oder die Erzählung „Die Zwille“ sind nach Amos von einem „semibiographischen“ Verfahren geprägt. Die Übergänge von Fiktion und Wirklichkeit sind typisch für Jüngers Fiktionserzeugungen. Seine rechtsnationalen Kampfschriften der 1920er- Jahre sind davon weit entfernt. Da Jünger dennoch sein Werk nicht in Phasen teilen mochte, bietet sich eine Art Zwiebelschalenmodell an, das gerade in seiner Gesamtheit die kampflastigen Frühschriften eindrucksvoll relativiert und die späteren Werke umso glaubwürdiger erscheinen lässt.

Dass Thomas Amos wiederholt zurecht auf Defizite einer unkritischen Jünger-Gefolgschaft hinweist, sollte nicht dazu führen, einer ebenso einseitigen Jünger-Kritik aufzusitzen. Dass Jünger die Weimarer Republik vehement abgelehnt hatte, ist kein Ruhmesblatt, eint ihn aber mit Autoren wie Bertolt Brecht, Johannes R. Becher oder Anna Seghers, denen dieser Vorwurf weit seltener vorgetragen wird.

In einer Art Fazit kommt Thomas Amos zum Schluss, dass Ernst Jünger „als Lehrer auf politischem, philosophischem und ästhetischem Gebiet fragwürdig, ja ungeeignet“ ist. Ungewollt kommt er hier Jünger entgegen, denn wenn sich in seinem ungewöhnlich langem Leben eine durchgehende Linie findet, ist es seine deutliche Zurückhaltung gegenüber einem oberlehrerhaften Zeigefinger.

Titelbild

Thomas Amos: Ernst Jünger. Biographie.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2011.
156 Seiten, 8,99 EUR.
ISBN-13: 9783499507151

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