Immer wieder Harry

Harry Rowohlt liest, schweift ab und singt in Göttingen

Von Daniel Tobias SegerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Tobias Seger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt Personen, die gemeinhin als ‚Instanz‘ gelten. Franz Beckenbauer gilt als ‚Instanz‘ in Fußballfragen, Alfons Schuhbeck in Sachen Küche und Keller, Hans-Werner Sinn in Sachen Wirtschaft und Harry Rowohlt in Sachen Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung. Für Harry-Rowohlt-Events sind Karten schwer zu bekommen, die Säle bersten. Kein Wunder! Denn, so steht es in der „Titanic“ und jetzt auch auf der Doppel-CD der Göttinger Live-Lesung vom April 2011: „Rowohlt gilt vollkommen zu Recht als Gott.“ Und wer will einem Gott nicht gerne zuhören – jetzt wieder einmal ganz entspannt auf dem Sofa in der eigenen Stube, knapp zwei Stunden lang?

Zumal es bei ‚Harry aus Hamburch‘ natürlich mehr gibt als eine schlichte Lesung! Er nämlich liest nicht nur, sondern er singt auch: gekonnt im 20er-Jahre-Stil akzentuiert etwa den Song „Komm, lass uns einen kleinen Rumba tanzen“, die amerikanische Nationalhymne (im Original und in einer eigenen Übersetzung) sowie die ‚Hamburg-Hymne‘. Ansonsten gibt es den seit Jahren bewährten Mix aus Lesung und Abschweifung, wobei die Abschweifungen ganz klar die ‚Bringer‘ sind, während sich die nach Rowohlts eigener Aussage zum Teil „steinalten“ Kolumnen zu Gähnthemen wie etwa der Rechtschreibreform als ziemlich lau und nur mäßig witzig erweisen. Da wird dann eher distinguiert gelacht und geräuschvoll geschmunzelt im Saal des Jungen Theaters zu Göttingen und auf dem heimischen Sofa. Aber über solch bräsige Augenblicke hilft in der Regel Rowohlts modulations- und imitationsfähige Stimme spielend hinweg, die an sich schon ein Ereignis ist, egal was gelesen oder gesagt wird. Da kann auch über drei angestaubt-zotige Witze wieder herzhaft geprustet werden. Und über die für Rowohlt üblichen Bemerkungen zu seinem Alkoholkonsum beziehungsweise seiner aktuellen (Fast-)Akoholabstinenz wird natürlich immer gelacht, weshalb sich ‚Harry aus Hamburch‘ gern und ausgiebig diesem narzissmusnahen und lebertätschelnden Thema zuwendet.

Ohne Ausschweifung, Stimmakrobatik und ‚Alkohleinschübe‘ sind die zum Vortrag gebrachten Texte freilich nicht so zugkräftig. Dies wird exemplarisch bei „Der Hund meines Lebens“ deutlich. Angesichts des hastig Vorgelesenen wird auffällig geräuschlos geschmunzelt im Theater mit angeschlossenem Büchertisch, und auch auf dem heimischen Sofa will sich der Mund nicht verziehen. Und so preist Rowohlt, ohne die womöglich nur mäßig gefüllte Klatschpause abzuwarten, sogleich seinen „Hit“ und „Hammer“ an: Die Lese-Inszenierung des Ein-Personen-Stücks „Knolls Katzen“ von Jan Neumann. Aber Harry Rowohlt wäre nicht Harry Rowohlt, käme er nicht zunächst ausführlich auf seine Verdienste um dieses Stück zu sprechen, das maßgeblich er bei der Jury des „Förderpreises Komische Literatur“ „durchgeboxt“ habe. Da lässt sich der Meister, der auch den Jugendslang erfunden haben will, nicht bitten!

Es folgt ein in jeder Hinsicht kongenialer Vortrag des Stücks, bei dem sich Rowohlt als unbestrittener Meister der dramatischen Stimminszenierung präsentiert. Besser geht nicht und wer es gehört hat, der wird es bestätigen! Da macht es auch (fast) nichts, dass der Text von Jan Neumann nicht sehr originell und mit ziemlich lahmem Witz daherkommt. Dass Herr Wagner die Urlaubsbeaufsichtigung von Nachbar Knolls Katzen – wie er meint – vergessen hat und auch Ehefrau Mechthild, Tochter Heike und die schwerhörige Frau Mutter davon nichts wissen und so die Frage nach der Beseitigung der zwischenzeitlich sicher verendeten Tiere aufkommt, das ist eine Idee, die dem Autor so gut gefällt, dass er sie sogleich nochmals aufnimmt und in einer möglicherweise vergessenen Blumenbetreuung bei Nachbar Blümel (Haha!) erneut bis zum Anschlag kalauernd kreisen lässt. Ein Hit? Nee, nee, der eigentliche Hit und Höhepunkt auf der Doppel-CD ist eindeutig Harry Rowohlts Vortrag von Robert Gernhardts Gedicht „Deutung eines Allegorischen Gemäldes“! Ein grandioser Text, grandios vorgetragen! Mehr davon, bitte! Vielleicht auf der nächsten CD.

Titelbild

Harry Rowohlt: Rumba, Rumba, Rumba ist modern. Live-Aufnahme.
Kein & Aber Verlag, Zürich 2011.
2 CDs, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783036912691

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