Mit dem Kopf an der Wand

Jan Peter Bremer inszeniert in seinem Roman „Der amerikanische Investor“ eine innerliche Apokalypse auf kleinstem Raum

Von André SchinkelRSS-Newsfeed neuer Artikel von André Schinkel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der amerikanische Investor ist an allem schuld. Aber man kann auch auf ihn setzen. Man muss ihm bloß einen Brief schreiben, heißt es. Wenn der Brief richtig geschrieben ist, kann ihn alles erweichen, ihn, den ewigen Jetsetter, der kein Zuhause hat außer seinem Flugzeug, mit dem er um die Welt kreist und seinen Reichtum, in den er unausgesetzt investiert, ermisst. Oder ist alles ganz anders, und er liegt schon mit der Frau des (wenn man ihn denn so nennen will) Helden des Romans im nächsten Gebüsch? Und erwägt, ihn, den seit Wochen über dem Anfang, der Fortsetzung seiner Bücher Brütenden, der in schönster, ja, man will sagen, beinahe bipolarer Verzweiflung zwischen seinem Sessel, dem Bett und dem Schreibtisch hin- und hertappt, um schließlich ratlos, kraftlos im Bett zu bleiben, angemessen zu demütigen? Ideen, wie sich das abspielen könnte, hat der arme Schreiber genug.

All das ist in Jan Peter Bremers neuem Roman „Der amerikanische Investor“ nachzulesen. Abermals befindet sich der Leser hier inmitten eines dieser Welttheater en miniature, die den Autor spätestens seit dem Erhalt des Ingeborg-Bachmann-Preises 1996 für „Der Fürst spricht“ bekannt gemacht haben. Auch dieses Buch, fünf Romane später, ist mittlerweile hoch dekoriert: Im Sommer erhielt Bremer den Alfred-Döblin-Preis dafür, im März 2012 wird er zudem mit dem Mörike-Preis geehrt. Nun ist es so, dass man in den Preisgewittern gern und viel auszeichnet, was man später auch gerne mal wieder schnell vergisst – hier aber ist die Aufmerksamkeit für dieses irisierende Kammerstück in Prosa absolut gerechtfertigt.

Bremer ist ein Meister der Abschweifung, in der nichts passiert – außer dass ein vor sich hin Handelnder sich mit einem fest gefassten Beschluss aus den Kissen quält, um doch im nächsten Moment wieder vom Gegenteil seiner Vermutungen überzeugt zu sein und letztlich zu überhaupt keinem Ergebnis zu kommen – oder aber von der geringsten Unregelmäßigkeit aus dem Takt gebracht zu werden. Ist es zunächst die Angst um den Verlust der Wohnung, hält er sich im Lauf der Zeit immer mehr mit Kleinigkeiten auf, die Streitereien des Helden mit seiner Frau werden immer abstruser, das Ausbleiben der Kinder nach dem Unterricht provoziert irre Verlustfantasien bei gleichzeitiger Lähmung, auch nur einen Schritt zur Aufklärung zu wagen – der Held bleibt schlicht im Bett.

Programmatisch ist der scheinbare Erfolg beim Wohnungsanwalt, der zunächst von der Frau in Zweifel gezogen wird und, folgerichtig, in der nächsten Woche, bei einem anderen Anwalt, wieder vom Tisch gewischt wird. Diese Konstellation beschreibt zugleich den inneren Zustand des Schriftstellers, der in immer verzweifelteren und irrsinnigeren Zirkelschlüssen nach Auswegen sucht. Je irrsinniger diese Suche ist, desto humoresker, unterhaltender, zugleich beklemmender ist die Lektüre dieses kleinen Meisterwerks. Hinter der bei Spitzweg abgepausten Karikatur des armen Poeten, der in der Welt nicht zurechtkommt, stellt sich zunehmend die Frage, wer denn in solch einer Welt überhaupt noch zurechtkommt. Die Frau? Der Mann? Die Kinder? Und ist denn nicht sogar der Investor arm dran, dass er Hilfe braucht?

Immer schlimmer sind die Missdeutungen, von stets noch verquereren Einfällen wird der Schriftsteller verfolgt. Und immer wieder flackert die Hoffnung in ihm auf, bis sie sich schließlich, am Ende, weil nur ein Detail fehlt, wieder zerschlägt. Für seine stilistische Nähe zu Franz Kafka und mehr noch zur skurrilen Verlorenheit eines Robert Walsers ist Jan Peter Bremer häufig gelobt worden. Zugleich hat mit seinem neuen Buch das Absurde einen Abgleich mit der Realität gefunden: Wir sind mittlerweile alle von aufmerksamen wie federführenden Instanzen im Hintergrund umgeben, denen wir in unseren schwachen Momenten auch noch zugetan sind. Vielleicht, weil wir uns ihnen verpflichtet fühlen. Oder der Illusion erliegen, ihr Gebaren noch zu durchschauen. Da soll ein Schriftsteller in Ruhe arbeiten können, soll ein Investor in Ruhe seine verborgenen Geschäfte abspulen.

Von den vielen ausgezeichneten Büchern dieser Saison ist dieses das wohl am sublimsten gearbeitete. Bremer ist dabei aber ein ebenso erstaunlicher Erzählgaukler im besten Sinne. Aus der Schreibkrise seines Protagonisten zieht er zugleich die Kraft für dieses Buch, es entsteht, indem über die Unmöglichkeit des Bücherschreibens parliert wird. So simpel wie gewaltig ist schließlich auch der einzige Satz, den der Schriftsteller in sein Notizbuch schreibt: Nachdem er den ganzen Tag seine Ansprüche von prall angefüllten Blättern über den Brief bis auf das Minimalziel reduziert hat, überfällt dieser Satz ihn mit einer Wucht, die jedem Schreiber bekannt ist. Die Worte liegen in der Luft, je länger man sich ihnen nähert, umso entfernter scheinen sie, um in einem unbedachten Moment aus einem herauszupurzeln. Diese Rückkehr ins Gewöhnliche, sie bringt die Rettung und das Verderben in einem.

Titelbild

Jan Peter Bremer: Der amerikanische Investor. Roman.
Berlin Verlag, Berlin 2011.
120 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783827010353

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