Von der Wiederkehr einer uralten Geißel der Seefahrt

Jan Witts Darstellung der Geschichte der Piraterie bietet einen knappen, aber konzisen Überblick eines mörderischen Erwerbszweiges, der Legendenbildungen stets Vorschub leistete

Von Klaus-Jürgen BremmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus-Jürgen Bremm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Waren Sie freiheitsliebende Outlaws oder schlicht Schurken zur See? Literatur und Film haben dafür gesorgt, dass Piraten trotz ihrer unbestreitbaren Heimtücke und Brutalität stets auch eine Aura des Romantischen anhaftete. Welchem Straßenräuber des ausgehenden Mittelalters hätten die modernen Hamburger schon ein Denkmal gesetzt? Doch Klaus Störtebecker und seine so genannten Vitalienbrüder, die der Senat der Hansestadt 1401 auf dem Grasbrook enthaupten ließ, sind bis heute die Projektionsfläche zahlreicher romantischer Verklärungen von Freiheit, Abenteuer und sozialer Umverteilung.

Die Geschichte der Piraterie wies seit ihren Anfängen stets erhebliche Grauzonen auf, in denen sich entschied, ob ein Pirat wie Captain William Kidd spektakulär am Londoner Galgen endete oder wie Henry Morgan, der Schlächter von Panama, friedlich in seinem Bett sterben dufte. Piraten konnten auf eigene Rechnung agieren oder führten wie John Hawkins und Francis Drake einen räuberischen Seekrieg im Auftrag der englischen Krone, der im späten 16. Jahrhundert noch eine Kriegsflotte gegen das übermächtige Spanien fehlte.

Der Marinehistoriker Jan Witt hat nun im Darmstädter Primus Verlag einen reich bebilderten, großformatigen Band über die Geschichte der Piraten von den Anfängen bis in die Gegenwart herausgebracht. Das Panorama reicht von den kilikischen Seeräubern, die schon in den Texten des assyrisches Herrschers Sargon II. erwähnt wurden, über die Bukaniers der Karibik bis hin zu den so genannten Barbareskenstaaten in Algier und Tunis, die im 18. Jahrhundert die Küsten Italiens und Spaniens terrorisierten und ihre Raubfahrten bis nach Island sowie an die nordamerikanische Küste ausdehnten. Erst mit dem Ausbau moderner dampfbetriebener Flotten und der Besetzung Algiers durch Frankreich endete in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Piraterie im Atlantik und im Mittelmeer. Ganz verschwand sie jedoch nie.

Offenbar war die Piraterie schon seit den Anfängen der Seefahrt eine lästige und häufig sogar existenzielle Bedrohung maritimer Handelsouten. Manche Küstenregionen des Mittelmeeres mussten von ihren Bewohnern aufgegeben werden, um sich vor den ständigen Piratenzügen in Sicherheit zu bringen. In der griechischen Komödie war die Geschichte der Wiederbegegnung von Eltern mit ihren entführten und versklavten Kindern sogar ein fester Topos.

Häufig entwickelte sich die Piraterie, wie Witt betont, im Kontext zerfallender staatlicher Strukturen. So wie die Römer zur Zeit der späten Republik sich ein Piratenproblem im östlichen Mittelmeer schufen, indem sie die Macht der hellenistischen Staaten Stück für Stück demontierten, ohne zunächst selbst die politische Verantwortung für den Osten übernehmen zu wollen, so sorgt seit einigen Jahren der Zerfall der somalischen Staatlichkeit für ein überraschendes Anwachsen neuerlicher Piraterie am Horn von Afrika.

Witt widmet dieser brandaktuellen Entwicklung im Indischen Ozean ein ausführliches Kapitel und beschreibt Strukturen und Hintergründe, wobei rasch klar wird, dass hinter den waghalsigen Kidnappern in ihren winzigen Motorbooten ein weit gespanntes Netz von Informanten und kapitalstarken Auftraggebern steht. Was vielen Beobachtern im Zeitalter der Drohnen und Satellitenaufklärung zunächst wie ein bizarrer Anachronismus erschien, hat sich tatsächlich im zurückliegenden Jahrzehnt zu einer ernsthaften Bedrohung internationaler Seerouten entwickelt, gegen das sich offenbar bisher noch kein durchgreifendes Mittel gefunden hat.

Die UN-Seerechtskonvention erlaubt zwar Kriegsschiffen aller Nationen, Piraten auf hoher See zu bekämpfen, nicht aber in küstennahen Territorialgewässern, wo gewöhnlich der nationale Küstenschutz patrouilliert. Allein am so genannten Horn von Afrika verdoppelte sich die Zahl der Überfälle im vergangenen Jahr auf 445, wobei die Angreifer gewöhnlich die Zahlung eines üppigen Lösegeldes für Besatzungen und die oft Hunderte von Millionen teure Ladung anstreben. Allein im September 2011 hielten somalische Piraten 16 Schiffe mit 301 Seeleuten in ihrer Gewalt. Eine rein militärische Lösung dieses Problems wird es wohl, so der Verfasser, trotz modernster Bewaffnung und Aufklärungsmittel nicht geben, da die Piraten ohne feste Stützpunkte operieren und über ein gut ausgebautes Netz von Informanten verfügen.

Titelbild

Jann M. Witt: Piraten. Eine Geschichte von der Antike bis heute.
Primus Verlag, Darmstadt 2011.
150 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783896788351

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