Die verstörende Realität des Krieges

Über Sebastian Christs wichtiges Afghanistankrieg-Buch „Das Knurren der Panzer im Frühling“

Von Martin SpießRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Spieß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn man die Menschen auf der Straße fragte, ob Deutschland sich derzeit im Krieg befindet, würden wohl die wenigsten diese Frage bejahen. Und doch dauert er schon zehn Jahre, der Krieg in Afghanistan, und damit ist er der längste Krieg, in den Deutschland je verwickelt war. Und er taucht immer nur dann im öffentlichen Bewusstsein auf, wenn deutsche Soldaten verletzt oder getötet werden.

Die ersten vier deutschen Soldaten fielen im Jahr 2003. Sie alle waren in Frankenberg stationiert gewesen, einer Kleinstadt in der hessischen Provinz. Frankenberg ist auch die Heimatstadt von Sebastian Christ, Journalist und Autor. Er hatte seinen Wehrdienst in Frankenberg geleistet und machte sowohl unter Gefallenen als auch unter Verletzten ehemalige Schulkameraden oder Wehrdienstbekanntschaften aus. Und er fragte sich: Wie kommt der Krieg in eine so kleine Stadt zurück? In eine Stadt, die mehr und mehr durch die 1.000 vor der Stadt stationierten Soldaten dominiert wird, weil Familien hierher ziehen, heimisch werden?

Aus der Antwort auf diese Frage ist ein Buch geworden. „Das Knurren der Panzer im Frühling“ heißt es beinahe poetisch, doch bei der Lektüre wird schnell klar: Abgesehen von Christs mitunter poetisch-einfühlsamem Stil ist für Poesie im Afghanistankrieg kein Platz.

Drei Reisen hat Sebastian Christ nach Afghanistan in den vergangenen drei Jahren unternommen. Er war mit deutschen Soldaten auf Patrouille und hat sogar ein Gefecht miterlebt. Er war in allen deutschen Feldlagern: In denen, die von Taliban nachts mit Raketen und tagsüber mit AK-47 beschossen werden. Und in denen, wo Soldaten ihm sein Leid klagen, dass sie nicht im Gefecht sind. Er hat mit Soldaten gesprochen, mit Feld-Pfarrern und mit Afghanen, die ihre Leben riskieren, weil sie mit den Deutschen zusammenarbeiten. Die sagen, dass sie nicht mehr sicher sind, wenn die Deutschen abziehen.

Christ hat seine Gespräche und Beobachtungen in fein gearbeitete, genau beobachtende und glänzend geschriebene Reportagen verwandelt, die versuchen, dem Krieg nahezukommen. Er beschreibt den Alltag der deutschen Soldaten, die verzweifelt versuchen, ihren Platz im Chaos dieses Krieges zu finden und doch genau daran scheitern müssen: Denn Krieg lässt niemanden einen Platz finden, er schafft keinen Sinn und erst recht keinen Frieden. Dabei mischt Christ immer wieder den parallel in Frankenberg stattfindenden Alltag unter und macht dem Leser damit bewusst, wie groß der Einfluss des Krieges hier tatsächlich ist – auch wenn er außerhalb der von Regimentern und Bataillonen beeinflussten Kleinstädte wie Frankenberg in Deutschland kaum wahrgenommen wird.

Vor allem aufgrund dieser Erkenntnis ist „Das Knurren der Panzer im Frühling“ ein ungemein wichtiges Buch, weil es dem Leser klarsichtig und unbarmherzig präzise den kalten Alltag des Krieges zeigt, seine verstörende Realität. Die, so Christ, dringend der Auseinandersetzung bedarf.

Titelbild

Sebastian Christ: Das Knurren der Panzer im Frühling. Ein Kriegsbericht aus Afghanistan.
Verlagsgruppe Droemer Knaur, München 2011.
224 Seiten, 16,99 EUR.
ISBN-13: 9783629023018

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