Ein Unternehmer für jedes Regime

Joachim Scholtyseck zeigt, dass das Vermögen der Quandts nicht in der Nazizeit entstand

Von Klaus-Jürgen BremmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus-Jürgen Bremm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Unternehmerporträts erfreuen sich derzeit in Deutschland einer besonderen Konjunktur. Über die Krupps gibt es bereits eine stattliche Anzahl von Publikationen und auch die Figur des Industriellen Friedrich Flick fand noch im vorletzten Jahr erneut ein renommiertes Biografenteam. Die nun im C.H. Beck Verlag erschienene Geschichte vom Aufstieg der Quandts aus der Feder des Bonner Wirtschaftshistorikers Joachim Scholtyseck hat allerdings eine besondere Vorgeschichte.

Sie ist – mehr oder weniger gewollt – die publizistische Antwort auf eine im Jahr 2007 ausgestrahlte Dokumentation über die Rolle der Quandts im „Dritten Reich“. Wohl erst die danach einsetzende öffentliche Kritik am „Schweigen der Quandts“ veranlasste die Erben, endlich auch die Firmen- und Familienarchive der Forschung zugänglich zu machen und zugleich einen professionellen Historiker mit der Aufarbeitung der eigenen Geschichte zu beauftragen.

Heraus gekommen ist ein voluminöser und teilweise detailverliebter Band, der dem Leser einiges an Stehvermögen abverlangt, zumal wenn er mit bilanz- und aktienrechtlichen Fragen nicht besonders vertraut ist. Im Kern ist Scholtysecks „Aufstieg der Quandts“ eine Lebensgeschichte des Firmenpatriarchen Günther Quandt, der als Textilfabrikant im Kaiserreich groß geworden war und es verstanden hat, sein Vermögen trotz aller politischen Um- und Zusammenbrüche seit 1918 bis in die Zeit der frühen Bundesrepublik beständig zu vergrößern. Die zentrale Aussage der unabhängig und ohne Vorgaben seitens der Familie entstandenen Studie ist klar und wiederspricht eindeutig dem Tenor der NDR-Dokumentation: Die Quandts waren schon vor dem Anbruch des „Dritten Reiches“ eine schwerreiche Familie. Über zwei Beteiligungsgesellschaften hielt Günther Quandt bereits gegen Ende der Weimarer Zeit ein Vermögen von immerhin 36 Mio. Reichsmark.

Der ehemalige Tuchfabrikant aus dem märkischen Pritzwalk hatte sich nach dem Ersten Weltkrieg durch geschickte Transaktionen ein lukratives Beteiligungsportefeuille an dem innovativen Batteriehersteller AFA (heute Varta), der Wintershall sowie der Deutschen Waffen und Munitionsfabrik (DWM) erworben und seine hohen Kredite in der Hyperinflation der frühen 1920er-Jahre mühelos zurückgezahlt. Dabei beschränkte sich die Rolle Quandts jedoch nicht nur auf die des Spekulanten ohne jede unternehmerische Verantwortung. Der früh verwitwete Patriarch verstand es auch, sich rasch das nötige Branchenwissen anzueignen und durchaus mit Sachverstand auf interne Betriebsabläufe seiner Unternehmen Einfluss zu nehmen.

Quandts erstaunliche Erfolge als Unternehmer können jedoch seine fatale Einseitigkeit nicht überdecken. Kulturelle oder politische Interessen über den engeren ökonomischen Gestaltungsbereich hinaus zeigte Quandt offenbar ebenso wenig wie sein Generationsgenosse Friedrich Flick. In vielem schien er diesem Tycoon der Stahlbranche ähnlich: Kalt und instinktsicher bei jedem Geschäft, aber ohne echte Empathie für alles, was sich nicht in Bilanzen fassen ließ. Nicht zuletzt daran scheiterte dann auch Quandts zweite Ehe mit der jungen Magda Ritschel, die spätere Gattin von Joseph Goebbels.

Vielleicht machte Günther Quandt auch gerade diese geistige Leerstelle so anfällig für die Versuchungen, die Hitlers Regime für ehrgeizige Unternehmer wie ihn bereithielt: Aufrüstung, Arisierung und zuletzt der Schritt über die Grenzen. Den Nationalsozialisten begegnete Quandt zunächst mit der in Industriellenkreisen naturgemäß verbreiteten Skepsis gegenüber einer Krawallpartei mit starken sozialistischem Einschlag. Zur Distanz trug fraglos auch der jahrelang mit dem späteren Minister für Volksaufklärung und Propaganda ausgetragene Streit um die Erziehungsrechte an Quandts jüngsten Sohn Harald aus der Ehe mit Magda Ritschel bei.

Eine mehrwöchige Haft aus fadenscheinigen Gründen, während der das Regime Anfang 1933 versucht hatte, die Kontrolle über die AFA zu erlangen, dürfte bei Quandt letzte Zweifel über den wahren Charakter der neuen Machthaber ausgeräumt haben. Gleichwohl aber wusste er mit gewohnter Zielstrebigkeit die Chancen zu nutzen, die sich im „Dritten Reich“ aus Aufrüstung und Arisierung ergaben. Scholtysecks Urteil über die Rolle seines Protagonisten im „Dritten Reich“ fällt daher wenig schmeichelhaft aus: Quandt zeigte alles in allem eher das weit verbreitete opportunistische Verhalten als eine echte Hinwendung zur Partei. Zwar stand er auch der Rassenpolitik des Dritten Reiches persönlich fern, zögerte aber nicht, in den Gremien der Berliner Wirtschaftsverbände schon 1933 an ihrer Durchsetzung mitzuwirken. Wo es ihm aber geschäftlich Nutzen versprach, hielt er auch leitende Angestellte jüdischer Herkunft wie den Rüstungsexperten Georg Sachs so lange wie möglich im Amt. Als das Vorstandsmitglied der zum DWM-Konzern gehörenden Dürener Metallfabrik schließlich in die Schusslinie der Partei geriet, ermöglichte er ihm sogar die Ausreise in die USA, ausgestattet mit einem üppigen Scheck für den Neuanfang.

Aus der Perspektive des nüchternen Geschäftsmannes vermochte Quandt auch dem System der Zwangsarbeit nur wenig abzugewinnen. Allerdings blieb sie die Eintrittskarte für das System der Kriegswirtschaft, da reguläre Arbeitskräfte anders kaum noch zu bekommen waren. Gleichwohl war man bei Quandt um eigene Maßstäbe bemüht. Mit Moral hatte es jedoch wenig zu tun, wenn die Führung der AFA sogar mehrmals seit 1941 von SS und Oberkommando der Marine aufgefordert werden musste, auch KZ-Häftlinge in der Produktion einzusetzen. Problematisch erschien hierbei aus Firmensicht vor allem der geforderte geschlossene Einsatz von Häftlingen. Wie in der gesamten deutschen Kriegswirtschaft sah auch Quandt in den zum Teil erheblich günstigeren Personalkosten keinen Ausgleich für die naturgemäß geringere Produktivität von Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen.

Fundierte Aussagen, ob nun die Familie Quandt tatsächlich finanziell von dem Einsatz der etwa 50.000 Fremdarbeiter in ihren Betrieben profitiert hat, möchte Scholtyseck auf Grund der Komplexität der Materie nicht machen. Einen großen Teil der möglichen Profite dürfte aber auch, wie er betont, der Fiskus wieder abgeschöpft haben. Gleichwohl sieht der Autor Günther Quandt in der Verantwortung für die unwürdigen Lebensumstände vieler Fremdarbeiter, vor allem, wenn sie aus dem Osten kamen. Dem Unternehmer waren die Einzelheiten oft bekannt, auch wenn viele Unmenschlichkeiten wie eine erbärmliche Verpflegung, mangelnde Hygiene oder brutale Schläge, hauptsächlich auf das Konto der Betriebsleiter vor Ort oder der SS gingen. Da wo Quandt tatsächlich Abhilfe schaffte, geschah es, wie Scholtyseck kritisch vermerkt, weniger aus Humanität, sondern um die Produktivität in den Betrieben zu verbessern.

Als bedeutender Wirtschaftsführer hatte Günther Quandt im „Dritten Reich“ sicherlich eine höhere Verantwortung als der gewöhnliche Deutsche. Mit dessen späterer Selbstinszenierung als Mitläufer des Nationalsozialismus vermag sich Scholtyseck daher nicht anzufreunden. Doch mehr als eine aus Quandts „natürlichem Egoismus“ erwachsene „moralische Gleichgültigkeit“ gegenüber den vom Regime verursachten Leiden kann auch der Bonner Historiker seinem Protagonisten nicht vorwerfen.

Titelbild

Joachim Scholtyseck: Der Aufstieg der Quandts. Eine deutsche Unternehmerdynastie.
Verlag C.H.Beck, München 2011.
1184 Seiten, 39,95 EUR.
ISBN-13: 9783406622519

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