Die erste freie Autorin

Anna-Luise Jordan hat einen Roman über die Schriftstellerin Sophie Mereau-Brentano und den weiblichen Alltag in der Zeit der Romantik geschrieben

Von Marita MeyerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marita Meyer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wissenschaftliche Arbeiten über die deutsche Schriftstellerin der Romantik sind seit den 1990er-Jahren einige erschienen, vor allem Dissertationsprojekte widmen sich dem Werk und Leben von Sophie Mereau Brentano, Briefwechsel wurden gesichtet, Werke neu herausgegeben, aber Anna-Luise Jordan ist die erste, die mit einer fiktiven Darstellung versucht, die Person einem größeren Publikum bekannt und lebendig zu machen.

Tatsächlich liegt hier ein faszinierender Stoff vor: Sophie Mereau-Brentano war die erste deutsche Schriftstellerin, die (erfolgreich) versuchte, von ihrem Schreiben zu leben, war also die erste berufstätige Autorin. Sie schrieb Gedichte, Essays und Romane, übersetzte aus dem Italienischen und war Herausgeberin von Zeitschriften und Almanachen. Ihre Ehe mit dem Rechtsprofessor Karl Mereau aus Jena war eine der Zeit gemäße Vernunftehe, in die sie als junge Frau eingewilligt hatte, um versorgt zu sein. Als erste Frau im Land Sachsen entschloss sie sich zur Scheidung, nicht um eine andere Ehe, etwa eine romantische Liebesehe, einzugehen, sondern um ein selbstständiges und freies Leben als Autorin zu führen. Inspiriert von den Freiheitsversprechen der Französischen Revolution sowie von den Idealen der Frühromantik zieht sie als alleinerziehende Mutter –aus der Ehe mit Mereau stammt die Tochter Gisela– nach Weimar, wo sie einen eigenen bescheidenen Hausstand gründet. Hier schreibt sie und trifft sich zu Arbeitsgesprächen mit Friedrich Schiller, der ihre Texte in den „Horen“ veröffentlicht, und nimmt an den Gesellschaften im Hause Goethe teil.

Sophie Mereau eilt der Ruf voraus, ebenso schön wie geistreich zu sein. Unter den zahlreichen Verehrern ist auch der junge Clemens Brentano, den sie als Medizinstudenten im Haus ihres ersten Mannes kennengelernt hatte, wo er an einem wöchentlichen Mittagstisch teilnahm. Warum sie dem heftigen Werben des acht Jahre jüngeren Brentano schließlich nachgibt und als seine Ehefrau mit ihm nach Heidelberg zieht, ist nicht leicht nachzuvollziehen. Lässt sich Sophie von der Idee einer sich gegenseitig inspirierenden Künstlerehe leiten? Dagegen sprechen Clemens’ Bemerkungen über die Gefahren des Dichtens für eine Frau. Ist es ihre Passion für den lebhaften und einfallsreichen, gleichzeitig besitzergreifenden Brentano? Oder gab doch eine Schwangerschaft den Ausschlag? Anna Luise Jordan gibt in ihrem historischen Roman allen Möglichkeiten Raum, macht aber die letzte besonders plausibel.

Die Jahre in Heidelberg haben dem Roman den Titel gegeben: „Herbst in Heidelberg“. Tatsächlich ist die Heidelberger Zeit eher herbstlich gestimmt. In der Ehe muss Sophie die Zeit zum Schreiben vehementer verteidigen als je zuvor. Außerdem lässt der Gatte sie mit Wohnungswechseln, materiellen Sorgen und Schwangerschaften oft allein, um auf Reisen zu gehen. Dreimal ist sie schwanger, zwei Kinder sterben bald nach der Geburt. Die Geburt des dritten endet für Mutter und Kind tödlich. Sophie Mereau-Brentano ist sechsunddreißig Jahre alt, als sie nach zwei Jahren in Heidelberg stirbt.

Auf der Basis der Briefwechsel Sophie Mereaus und einer genauen Recherche von Orten und Debatten um 1800 entfaltet Anna-Luise Jordan ein Leben zwischen Schreibtisch, Kinderzimmer und literarischer Gesellschaft. Sie erzählt chronologisch entlang von Jahreszahlen und Wohnorten Mereaus. Dort wo die Briefe nur spärlich Auskunft geben, schließt sie manche Lücke stimmig in freier Gestaltung, andere lässt sie –zu zögerlich vielleicht– offen. Über Karl Mereau etwa erfahren wir wenig mehr, als dass er ein wohlwollender Tolpatsch gewesen sei. Der konventionelle Erzählstil führt zunächst eher gemächlich in den Stoff und die Gedankenwelt der Protagonistin ein, aber dank der Komplexität der behandelten Themen und Personenkonstellationen entwickelt die Autorin Jordan mit ihrem Erstlingswerk dennoch ein farbiges und spannendes Porträt einer Schriftstellerin in ihrer Zeit.

Besonders deutlich wird, welche Gefahren die Schwangerschaft in dieser Zeit mit sich brachte. Der Tod im Kindbett war eine der häufigsten Todesursachen von Frauen um 1800. Die Säuglingssterblichkeit lag bei 50 Prozent. Entsprechende Ängste und Schrecken von Bekannten und von Freundinnen durchziehen die Briefe. Weit gefährlicher als das Dichten war das Kinderkriegen in dieser Zeit für eine Frau, möchte man Clemens Brentano entgegnen.

Bewunderswert ist die Entschlossenheit, mit der Mereau-Brentano auch unter den schwierigen Umständen der Heidelberger Lebenssituation ihre geistigen Interessen verfolgt. Auch in Heidelberg knüpft sie ein Netz von Kontakten, etwa zur deutschlandweit angesehenen Pädagogin Caroline Rudolphi, die in Heidelberg ein fortschrittliches Mädchenpensionat leitet. Im Salon Rudolphis begegnet sie sowohl dem Altphilologen Creutzer als auch der Dichterin Caroline von Günderode, deren unglückliche Liebesgeschichte gerüchteweise in der Stadt die Runde macht.

Bedauerlich ist die geringe Bedeutung, die Anna Luise Jordan dem wichtigsten Roman ihrer Protagonistin beimisst, dem Briefroman „Amanda und Eduard“. Schließlich war das Schreiben die größte Passion Mereau-Brentanos. Auf den ersten Blick ist dieses Werk ein typischer Briefroman im empfindsamen Stil der Zeit, worin der romantischen Liebe entgegen den Zwängen der Vernunftehe gehuldigt wird. Ungewöhnlich für die Zeit ist das Credo, jede Liebe, sei sie noch so verworren, sei unschuldig, solange sie nur mit Wahrhaftigkeit gelebt werde. Selbst für die libertinen Romantiker – dokumentiert ist die Ablehnung im Hause Schlegel – war diese Auffassung zu rebellisch, zumal sie von einer Frau verfasst wurde. Anna Luise Jordan hätte diese Seite ihrer Protagonistin noch stärker machen können, hätte sie ihren Antagonisten schärfere Konturen verliehen. Der Widerstand gegen eine Frau wie Sophie Mereau-Brentano muss größer gewesen sein als es die weitgehend harmonische Stimmung des Romans nahe legt.

Trotz der Einwände sei der Roman zur Lektüre empfohlen – und das nicht nur für ortskundige Heidelberger. Anna-Luise Jordan hat Sophie Mereau-Brentanos Leben ins Licht einer größeren Öffentlichkeit gerückt. Wie bedeutsam dieser Schritt ist, zeigt auch ein Blick in Michael Buselmeiers „Literarische Führungen durch Heidelberg“: der Chronist und Flaneur der Stadt erwähnt Sophie Mereau-Brentano nur in einer Fußnote – und dort auch lediglich als Frau von Clemens Brentano, über deren Begräbnisort man sich nicht einig ist.

Titelbild

Anna-Luise Jordan: Herbst in Heidelberg. Roman über die deutsche Romantik.
Osburg Verlag, Berlin 2011.
380 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783940731616

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