Weitreichende Familienfehden und blutige Erbstreitigkeiten

Karl Wetzig schildert die letzten sechs Lebensjahre von Snorri Sturluson

Von Jutta LadwigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jutta Ladwig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Er ist eine der herausragenden Figuren des isländischen Mittelalters: der Autor und Machtpolitiker Snorri Sturluson. Seit der Frankfurter Buchmesse, bei der das Gastland Island mit einem beeindruckenden Auftritt glänzte, dürfte auch dieser Name vielen Lesern bekannt sein – nicht nur für seine überlieferten Werke wie die „Heimskringla“, eine Geschichte der norwegischen Könige, oder die „Snorra Edda“, das Skaldenlehrbuch und wichtigste Quelle der nordischen Mythologie.

Auch als Machtpolitiker hat er seine Spuren hinterlassen: Snorri Sturluson galt als einflussreichster Mann seiner Zeit auf Island. Karl Wetzig stellt ihn in eben dieser Position in den Mittelpunkt seines ersten Romans „Windszeit, Wolfszeit“.

Das 13. Jahrhundert auf Island unterscheidet sich erheblich von dem des europäischen Kontinents: Island hat keinen König, es ist ein Freistaat, eine Republik freier Bauern. Das höchste Amt ist das des Gesetzessprechers, welcher auf dem regelmäßig abgehaltenen Thing die beschlossenen Gesetze verkündet. Snorri Sturluson hat dieses Amt mehrere Wahlperioden hindurch inne.

Doch die Macht der Sturlungen wird nicht ohne Neid hingenommen. Lang schwelende Konflikte, wie Erbstreitigkeiten oder verletzter Stolz, den Snorris Kinder aus verschiedenen Ehen offen zu Schau tragen, bringen Snorris Macht zum Wanken und gipfeln schließlich in einem blutigen Bürgerkrieg zwischen den konkurrierenden Familien um die Vorherrschaft Islands.

Snorri muss politische Kompromisse schließen, um seine Macht zu festigen. Er schreckt dabei nicht davor zurück, seine eigenen Kinder für seine Zwecke einzusetzen. Mit fatalen Folgen: Als der norwegische König Snorris Beteiligung an einem Komplott gegen die norwegische Krone als erwiesen ansieht, fällt er Snorris Todesurteil – ein gefundenes Fressen für dessen Feinde.

Ein farbenprächtiges Bild des 13. Jahrhunderts

Die aus der Sturlungasaga rekonstruierte Lebensgeschichte Snorris Sturlusons hat alles, was ein spannender historischer Roman braucht: Hass, verletzter Stolz, Intrigen, politische Verwirrungen, Erbstreitigkeiten und Söhne, die um die Gunst ihres Vater ringen. Karl Wetzig, Skandinavist und renommierter Übersetzer des Isländischen, belässt es jedoch nicht bei den Ereignissen auf Island und in Norwegen. Die außenpolitischen Verwicklungen reichen über Europa bis in den Vatikan. Auf dem Kontinent kämpft Kaiser Friedrich II. gegen das deutsche Kaisertum, das zieht Kreise bis nach Norwegen. Die Frage nach einer rechtmäßigen Thronfolge wird neu diskutiert, Snorris Freund, Jarl Skúli, sieht seine Chance gekommen und zieht Snorri in ein gefährliches Komplott mit hinein. Der kluge Isländer durchschaut Skúlis Plan, doch seine verbotene Ausreise aus Norwegen erzürnt den König und führt zu Snorris Todesurteil.

Der Autor schildert detailliert, wie es soweit kam. Es sind komplexe Umstände, die Leser müssen aufmerksam und genau lesen, um den Überblick zu behalten – schon alleine deswegen, weil viele Personen den gleichen Vornamen tragen. Das macht „Windszeit, Wolfszeit“ zu einer Herausforderung für die Leser. Es ist keine leichte Lektüre für zwischendurch, zumal manche Passagen zu lang und ausführlich gehalten sind und so das Tempo und die Spannung aus der Handlung nehmen.

In seinem Nachwort erklärt Karl Wetzig, dass er im Genre des historischen Romans besonders gern Wolf von Niebelschütz’ epischen Roman „Die Kinder der Finsternis“ zurückgreift. Die Vorliebe für dieses Werk ist in „Windzeit, Wolfszeit“ deutlich zu spüren. Karl Wetzigs Sprache ist episch, ausschmückend und bildhaft. Keine leichte Kost für Leser von aktuellen historischen Romanen. Auch sprachlich gilt: Man muss sich drauf einlassen. Doch gerade hier entwickelt „Windzeit, Wolfszeit“ eine enorme Atmosphäre, die sehr gut zu Wetzigs farbenprächtiges Porträt des 13. Jahrhunderts passt.

Der Titel des Romans stammt übrigens aus der Völuspá, dem Lied der Seherin, einem Edda-Lied, welches die Erschaffung und das Ende der Welt thematisiert. Während Ragnarök, auch „Wolfszeit“ genannt, kämpfen Brüder gegen Brüder. Passender hätte der Autor seinen Titel nicht wählen können.

Menschen sind unberechenbar

Karl Wetzig stellt dem Leser Snorri Sturluson als klugen Taktiker und Machtpolitiker vor. Als Dichter und Autor liegt ihm immer ein Zitat aus einer Saga oder einem Edda-Lied auf den Lippen, doch gerade ihn den letzten sechs Jahren seines Lebens muss Snorri geschickt taktieren, um seine Macht zu festigen. Er spielt seine Söhne für sich und gegeneinander aus, ohne darauf zu achten, wie er sie mit seinem Verhalten verletzt. Als seine Steifsöhne nach dem Tod ihrer Mutter ihr Erbe fordern, erleben wir Snorri als Geizhals und habgierigen Raffzahn, der nur zögerlich Hab und Gut herausrückt.

Nein, nicht immer ist diese Figur sympathisch, aber immer human. Jede Person in diesem Roman handelt nachvollziehbar und menschlich. Deswegen gehen Snorris Pläne nicht auf, er vernachlässigt dabei nämlich genau das: Menschen sind unberechenbar. Auf eine Kränkung folgt nicht immer der Rückzug. Im Gegenteil: Snorris Gegner nutzen jede Lücke in Snorris Logik, um ihn zu stürzen und gehen Allianzen ein, um das ihnen angetane Unrecht zu sühnen.

„Windzeit, Wolfszeit“ ist die ideale Ergänzung zu der vor kurzem erschienenen Biografie „Snorri Sturluson. Homer des Nordens“ von Óskar Guðmundsson und Thor Vilhjálmssons Roman „Morgengebet“, der sich demselben Thema wie Karl Wetzig widmet. Wetzigs Blick auf die historischen Ereignisse auf dem europäischen Kontinent verleihen dem Stoff noch einmal eine tiefere Perspektive auf einen bewegten Abschnitt der isländischen Geschichte.

Titelbild

Karl Wetzig: Windzeit, Wolfszeit. Roman über Island zur Zeit der Sagas.
Verbrecher Verlag, Berlin 2011.
320 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783940426949

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