Hedonistische Revolutionärinnen

Das Doppelheft 45/46 des „Juni-Magazins“ widmet sich schreibenden Frauen des frühen 20. Jahrhunderts

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Doppelnummer 45/46 des von Gregor Ackermann und Walter Delabar herausgegebenen „Juni-Magazins für Literatur und Kultur“ hat „schreibende Frauen“ zum Thema gewählt, genauer gesagt: deutschsprachige Autorinnen des „frühen 20. Jahrhunderts“, bei dem es sich um „eine der wichtigsten Umbruchzeiten“ für die „Durchsetzung von Autorinnen“ handelt, wie Ackermann und Delabar im Editorial betonen. Neben teils auszugsweisen Reprints etlicher Texte der Schriftstellerinnen selbst bietet der Band Originalbeiträge von LiteraturwissenschaftlerInnen, die sich mit den Literatinnen und ihren Werken befassen.

Zu den mit eigenen Texten vertretenen Schriftstellerinnen zählen Alice Rühle-Gerstel, Gina Kaus, Erika Mann, Luise Fleißer und die eher wenig bekannte Autorin Marie Holzer, deren Werk zudem von Anne Martina Emonts vorgestellt wird.

Großen Raum nimmt Annemarie Schwarzenbach ein, von der vier eigene Texten abgedruckt wurden. Hinzu treten ein Aufsatz von Walter Fähnders über ihr „Argentinisches Tagebuch“ sowie zwei Beiträge von Heiko Kreftler und Behrang Samsami, die sich beide Schwarzenbachs Erzählung „Die Überlegenen“ widmen. Einer wohl noch prominenteren Autorin wendet sich Liane Schüller zu. Sie beleuchtet die „Kinderfiguren“ im Werk von Irmgard Keun.

Maite Katharina Hagen nimmt hingegen „die frühen Romane“ der heute vergessenen, zu ihrer Zeit jedoch äußerst erfolgreichen Berliner Autorin Joe Lederer in den Blick, deren Erstling „Das Mädchen George“ sich bereits durch „unterschiedliche Frauenfiguren“ auszeichnete, „die sich in eher unkonventionellen Beziehungen zu behaupten haben“.

Weitere Texte gelten etwa Veza Canetti und Veza Magd (Gregor Ackermann und Walter Delabar) oder der Neuübersetzung der Memoiren Hermynia Zur Mühlens (David Midgley). Walter Fähnders hat neben seinem Aufsatz zu Schwarzenbach eine „Bibliographie der Werke von Ruth Landshoff-Yorck bis 1933 beigesteuert, die in einem früheren Band des Juni-Magazins bereits prominent vertreten war.

Eröffnet wird die vorliegende Doppelnummer mit einem Aufsatz, in dem Walter Delabar Autorinnen der Weimarer Republik als „hedonistische Revolutionärinnen“ darstellt, die eine ungemein reflektierte, zudem äußerst formbewusste und experimentierfreudige Literatur schrieben“. Als prominentestes Beispiel dient ihm „der erste literarische Star der Neuen Frau“ Vicki Baum.

Auch Simon Huber widmet sich nicht einer einzelnen Literatin, sondern stellt anhand der „Reporterin der Emanzipation“ Charlotte Pol, der „kommunistischen Reisereporterin“ Agnes Smedley, der durch Suizid aus dem Leben getretenen „fliegenden Reporterin“ Marga von Etzdorf und der „Gesellschaftsreporterin“ Paula von Reznicek einen in den 1920er-Jahren die öffentliche Bühne betretenden „neuen Typ Schriftstellerin“ vor.

Den Schritt vom geschriebenen zum gesungenen Wort vollzieht schließlich Sandra Danielczyk, indem sie sich für die Neue Frau als „Thema und Protagonistin der Chansons“ interessiert.

Wie immer beschließt ein ebenso umfangreicher wie meinungsfreudiger Rezensionenteil den Band, in dem die besprochenen Werke entweder dem „Schafott“ überantwortet oder „über den grünen Klee“ gelobt werden.

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Walter Delabar / Gregor Ackermann (Hg.): Schreibende Frauen. Ein Schaubild im frühen 20. Jahrhundert.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2011.
366 Seiten, 34,00 EUR.
ISBN-13: 9783895288579

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