Im Überfluss

Rob Alef schert sich nicht um Plausibilität oder Realismus, aber gerade dadurch gewinnt sein merkwürdiger Kriminalroman „Kleine Biester“

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Sandkasten, der sich unter spielenden Kindern auftut. Mysteriöse Unfälle, die merkwürdigerweise immer nur Kinder treffen, die auf eine bestimmte Schule wollen. Eine Schule, die sich durch Insektenexperimente hervortun will. Ein Sondereinsatzkommando, das Schüler aufspürt, die sich unter falscher Adresse anmelden, um in den Einzugsbereich einer Schule zu kommen, Eltern, die durch jahrelanges Studium von Erziehungsratgebern mehr als aufgeklärt sind. Kinder, die nicht weniger nerven als ihre Eltern. Ein Junge, der Insekten dopt. Ein Kriminalkommissar, der eine ganze Klasse in Geiselhaft nimmt (natürlich nur zu Demonstrationszwecken) und Tunnel und Gräben unter der Oberfläche Berlins.

Rob Alefs Kriminalroman „Kleine Biester“ strotzt vor Merkwürdigkeiten und Absonderlichkeiten. Und bis zum Schluss bleibt unklar, was es mit diesem Krimi auf sich hat.

Vielleicht ein satirischer Roman, der von der Überzeichnung lebt? Kann sein. Allerdings ist es eben die Frage, ob dieser Krimi nicht ein extrem dilettantischer Fehlschlag ist, oder ein grandioses Beispiel dafür, dass das Genre immer wieder neue Texte hervorbringt, die sich nicht um seine simplen Anforderungen kümmern und damit immer wieder neue Blüten austreiben. Wolf Haas oder Heinrich Steinfest wären die Kombattanten, ja, wenn das denn alles klar wäre.

Und es ist zu bezweifeln, ob das alles irgendwann und irgendwie klarer wird. Denn die Probleme des Textes sind bewusst gewählt, scheint es, und seine Unschärfe, noch in seinen Übertreibungen geriert sich wie ein bewusster Akt. Und davon ist so lange auszugehen, bis nicht das Gegenteil bewiesen ist.

Alles beginnt in einem imaginären Berliner Park: Die tobenden Kinder in den verschiedenen Altersstufen bevölkern das Gelände solange, bis sich im Sandkasten ein Trichter bildet und eines der Kinder verschlingt. Ein Unfall? Eine Bausünde? Ein eingestürzter Gang aus napoleonischer Zeit? Niemand kann das wissen. Merkwürdig ist jedoch, dass die Rettungsleute das Mädchen im Trichter nicht finden. Stattdessen stoßen sie auf ein Ganggewirr, in dem das Mädchen verschwunden ist. Die Suche bleibt ergebnislos, das Kind bleibt vermisst.

Kurze Zeit später kommt ein Junge im Chemiesaal einer Schule bei einem Experiment um. Ein anderer, herzkranker Junge erliegt einem Infarkt, als er an einem Wettlauf teilnimmt. Ein weiteres Mädchen kommt bei einem Reitunfall um. Alles Unfälle, so sieht es wenigstens aus. Bis sich dann die Hinweise häufen, dass es sich bei alldem um Mordanschläge handelt. Morde an elfjährigen Kindern, die auf eine weiterführende Schule wollen und auf irgendeiner Liste stehen.

Absurd? Übertrieben? Die Berliner Schulverhältnisse waren lange genug in der Presse, um all so etwas möglich erscheinen zu lassen. Eltern ziehen aufs Problembezirken weg, um ihren Kindern einen einigermaßen konfliktfreien und unbehelligten Schulbesuch zu ermöglichen. Das kennt man. Neukölln oder Wedding, muss nicht sein. Friedenau oder Charlottenburg oder gar das Umland, geht schon eher.

Aber soweit ist es dann am Ende doch noch nicht, dennoch steckt in der Überzeichnung vielleicht ein Funken Wahrheit? Das eher nicht, dafür ist Alefs Roman im Ganzen doch zu ernsthaft angelegt. Wohl eher ein gewollter Verstoß gegen die Gesetze der Wahrscheinlichkeit, der Biologie und Physik? In der Literatur ist alles möglich.

Dass Insekten zum Beispiel nur eine bestimmte Größe erreichen, weil sie ansonsten durch ihre eigene Masse erstickt werden, kann ja ein wahrer biologischer Lehrsatz sein. Aber wer hat gesagt, dass man sich daran halten muss? Die Science Fiction macht das sowieso nicht. So manches Ding aus dem Sumpf wäre unter normalen Bedingungen nicht lebensfähig, also lassen wir es doch einfach überleben, oder?

Dass das zu einem merkwürdigen Amalgam von Möglichem und Denkbarem führt, ist für Literaten eigentlich nichts Ungewöhnliches. Im Mystery-Thriller oder in der Fantastik hat das sogar eigene literarische Genres hervorgebracht. Aber Alefs Krimi will hartnäckig ein Krimi sein und kein fantastischer Roman, und gerade das macht ihm, naja, das macht eigentlich vor allem dem Rezensenten zu schaffen.

Aber auf den kommt es am Ende nicht wirklich an. Soll heißen: Wem es gefällt, der wird es mögen, wer es überdreht mag, wird hier gut bedient, wer an konventionellen Thriller und Whodunnits interessiert ist, allerdings nicht. Man kann es auch nicht allen recht machen.

Titelbild

Rob Alef: Kleine Biester. Kriminalroman.
Rotbuch Verlag, Berlin 2011.
320 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783867891363

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