Die Einführung als Medium

Sven Grampp liest McLuhan in seiner Einführung vierfach

Von Florian SprengerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Florian Sprenger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor 100 Jahren ist Marshall McLuhan geboren (und vor 30 Jahren gestorben), Initiationsfigur einer Medienwissenschaft, die sich auf seinen Blickwechsel beruft: Er leitete den Blick vom Inhalt auf das Medium, das diesen Inhalt vermittelt und eröffnete damit ein neues Paradigma der Kulturwissenschaften. Die Auswirkungen eines Mediums liegen, so McLuhan, nicht in dem, was es transportiert, was also durch es gesagt oder gezeigt wird und worauf der Blick traditionellerweise gerichtet war. Er stellt das Verhältnis auf den Kopf: Das Entscheidende sei der Einfluss des Mediums auf das, was es übertrage. Sein wohl berühmtester Satz „The Medium is the Message“ lässt sich auf Englisch ganz wunderbar variieren: Das Medium ist als Massage das, was unsere Sinne anregt, oder auch das Zeitalter der Massen, oder auch das Zeitalter des Chaos, oder vielleicht sogar das Zeitalter der kirchlichen Messe.

Auf den ersten Blick ist es erstaunlich, dass es bis dato an einer Einführung in das Werk McLuhans mangelte, die angesichts von dessen Breite, epistemologischer Brisanz und diskursiver Verankerung gleichermaßen kritisch vorgeht und die Rezeption McLuhans berücksichtigt. Sven Grampp, Mitarbeiter am Institut für Theater- und Medienwissenschaft der Universität Erlangen-Nürnberg, legt nun im UVK-Verlag für die UTB-Einführungsreihe eine solche Publikation vor. Grampp schildert dabei nicht einfach die wichtigsten Ideen und Ansätze McLuhans, sondern reflektiert beständig, wie eine solche Einführung überhaupt agieren und sich einen freien Raum der Darstellung schaffen kann, wenn auch das Medium der Einführung eine Botschaft ist. Trotz einiger Kritik im Detail – und trotz einiger Probleme mit der Silbentrennung sowie der Rechtschreibung in den Fußnoten – ist Grampps Buch auch für McLuhan-Kenner lesenswert, stellt er sich doch all den Schwierigkeiten, die mit seinem Inhalt verbunden sind.

Wie wohl kaum ein anderer wissenschaftlicher Autor ist McLuhan von Apologeten besetzt worden, die ihn für ihre Zwecke einsetzen wollen. So ist das Jahr seines 100. Geburtstags zur Bühne wissenschaftspolitischer Interventionen geworden, auf der (man vergleiche nur die Veröffentlichungen seines Sohnes Eric oder einen Aufsatz Robert K. Logans mit dem bezeichnenden Titel „McLuhan misunderstood – Setting the Record Straight“) McLuhan zur Schachfigur geworden ist – was dem Niveau der McLuhan-Forschung nicht unbedingt zuträglich war. Umso erfreulicher (weil nicht selbstverständlich) ist es, dass Grampp, obwohl er auf die Veröffentlichungen dieses Jahres kaum eingehen kann, eine Leseanleitung liefert, die dem Facettenreichtum ihres Gegenstands gerecht wird und ihn nicht einfach konstatiert, sondern in die Implikationen der Lesarten einbezieht. So wird eine einseitige Vereinnahmung von vornherein durch einen multiperspektivischen Zugang verhindert. Auf den zweiten Blick ist es nämlich gar nicht mehr erstaunlich, dass es bisher keine angemessene Einführung zu McLuhan gibt.

2011 wurde mit zahlreichen Veröffentlichungen, Konferenzen und Ausstellungen weltweit das McLuhan-Centennial begangen. Die Begeisterung für McLuhan kennt drei Phasen: eine erste Phase Mitte der 1960er-Jahre, als seine wichtigsten Bücher „The Gutenberg Galaxy“ und „Understanding Media“ erscheinen, eine zweite, in der er in den 1990er-Jahren zum Propheten des Internet stilisiert wurde, und aus aktuellem Anlass eine dritte. In McLuhans Karriere war kaum etwas dem Zufall überlassen. Eine in San Francisco ansässige Werbeagentur verschaffte ihm in den 1960er-Jahren die Möglichkeit, in den Medien, die er beschrieb, Stellung zu beziehen. McLuhan reflektierte häufig, durchaus geschickt und geradezu in seinem Element, im Fernsehen über das Fernsehen oder im Radio über das Radio, um darüber aufzuklären, welche Effekte und welche Ursachen sie hervorbringen. Dabei leitete ihn die Prämisse, dass ein fester Standpunkt im Zeitalter der Elektrizität verlorene Liebesmüh sei. Wenn wir durch Radio oder Fernsehen überall sind, weil jedes Empfangsgerät uns gleichzeitig das Gleiche überträgt, leben wir in einer perspektivlosen Welt. Für diese Simultanität des „electric age“ lieferte McLuhan eine neue Beschreibungssprache, die sich anschickte, diese Welt der Gleichzeitigkeit und des globalen Dorfes zu erklären und deren Erklärungskredit heute erneut auf die Probe gestellt werden muss – aber zumeist einfach für gegeben genommen wird.

McLuhans Schreibweise ist erratisch und rhetorisch durchdacht, vielschichtig, aber auch oberflächlich, eingängig und komplex. Seine Bücher entwerfen kaleidoskopartige Landschaften, in denen theoretische Überlegungen mit Dialogen aus Fernsehsendungen oder die Technik des Radios mit Shakespeares Sonetten zusammentreffen. Sie sind nicht immer widerspruchsfrei und haben ein ambivalentes Verhältnis zu moralischen und politischen Deutungen. Sie agieren häufig, wie Grampp schreibt, mit dem „Irrsinn als Methode“ – was aber nicht bedeutet, dass McLuhan Unsinn schreibt, sondern die Konsistenz überlieferter Sinnmodelle angesichts der Konditionen seiner Zeit zu bedenken versucht, angesichts technischer Medien, die alle Schichten der Welterzeugung durchdringen, angesichts der noch in den 1960er-Jahren wirksamen Krise der Physik und des Denkens ganz allgemein, die neben den gesellschaftlichen Transformationen dieser Zeit steht. Mit dem „electric age“ und der simultanen „all-at-once-ness“ moderner Medien, die er in einer instantanen, unmittelbaren Übertragung aufgehen lässt, sieht McLuhan neue Modi des Denkens, Handelns und Wahrnehmens aufkommen. Die Kausalität von Ursache und Wirkung etwa sei nicht mehr geeignet, mit der globalen Gleichzeitigkeit umzugehen, und an die Stelle der rationalistischen Denkweisen des Buchdrucks müsse „pattern recognition“ und Gestalttheorie treten. McLuhans Denken über Medien hat nicht einfach Medien zum Inhalt, sondern versucht zu bedenken, wie Medien überhaupt etwas und damit sich selbst denkbar machen.

Dieser Verflechtung sollte sich eine Auseinandersetzung mit McLuhan stellen, und Sven Grampp tut dies – so weit jedenfalls, wie es für eine Einführung sinnvoll und machbar ist. Grampp macht deutlich, dass McLuhan die Erkennbarkeit der Effekte von Medien als Effekt der Mediengeschichte begreift: Medientheorie ist für McLuhan Produkt der elektrischen Medien. Tiefer in die genauen Modalitäten dieses Moments der Erkennbarkeit geht Grampp auf den 227 Seiten seiner Einführung zwar nicht. Er wählt aber auch nicht den Ausweg radikaler Komplexitätsreduktion, dem die bisherigen Einführungstexte zu McLuhan nicht immer entkommen.

Entsprechend kann man sich eine einfachere Aufgabe vorstellen als eine Einführung in das Werk eines so eklektischen Denkers, der von sich behauptet: „I have no theory“. Man könnte vermuten, dass eine solche Aussage vor allem als apologetischer Versuch zu verstehen ist, jede ernsthafte Kritik von vornherein zu verhindern, indem man ihr den Gegenstand entzieht. Grampp nimmt diese These dann auch ernst und auseinander: Er zeigt, dass McLuhan mit seiner Ablehnung konsistenter Theoriebildung durchaus recht hatte, sich aber trotzdem eine Theoriebildung konstatieren lässt. Recht hatte McLuhan insofern, als das, was er als „Wiederverwertungsmaschine“ erörterte, häufig anderswo schon geschrieben stand und sein Denken den traditionellen, rationalistischen Modus dessen, was Theorie heißt, beständig zu unterlaufen und als zur historischen Epoche des Buchdrucks gehörig zu identifizieren versuchte. Falsch lag McLuhan mit seiner Selbsteinschätzung ganz sicher in Hinsicht auf die Tatsache, dass sich seine Ideen, wie Grampp vorführt, überaus exakt im Wissen seiner Zeit, den Strömungen, Krisen und Brüchen der Theorie verorten lassen. Etwas zwiespältig wirkt dabei, wie Grampp McLuhan an einer Wissenschaftlichkeit misst, deren Status nicht explizit gemacht wird.

Konsequenterweise wählt Grampp einen multiperspektivischen Zugang und identifiziert vier Lesarten, die die Rezeption bis heute strukturieren. Diese vier Lesarten geben auch die Struktur des Buches vor: rhetorisch, hermeneutisch, kritisch und pragmatisch. Das Buch endet folgerichtig bei „McLuhan und das Leben“, nachdem es, vielleicht etwas unvermittelt, mit einer sowohl auf biografische als auch auf zeitgeschichtliche Aspekte eingehenden Darstellung der wichtigsten Stationen von McLuhans akademischen Leben begonnen hat.

Die vier unterschiedlichen Zugangsweisen beleuchten nicht einfach unterschiedliche Aspekte, sondern sind dabei, ganz ähnlich wie McLuhans Arbeiten selbst, mosaikartig angeordnet. Sie sind nicht austauschbar, weil sie jeweils in eigenen Spannungsverhältnissen mit den anderen stehen: „Jeder Zugriff erschafft seinen ganz eigenen McLuhan.“ So möchte Grampp auch zeigen, wie „die jeweilige Zugangsweise erst entscheidet, welche Facetten überhaupt beobachtbar werden“. Besonders prägnant wird dieser Ansatz in einer Leseanleitung über die Rhetorik McLuhans, die bisher noch kaum dargestellt wurde. Grampp spiegelt sie in McLuhans Medienbegriff und arbeitet ihre historische Bedingtheit heraus. Auch die Abschnitte über die Analogie als Erkenntnisinstrument sind äußerst aufschlussreich.

Beim Lesen des Buches sollte man diesen Ansatz, der das Buch als Medium reflektiert, im Hinterkopf behalten, weil man sonst im hermeneutischen Teil beständig entgegnen will, dass McLuhan Unrecht habe und Grampp über grobe Schnitzer hinwegsehe, während man im kritischen Teil dem Impuls folgen will, es sei doch gar nicht so schlimm. Kritik und Hermeneutik werden gelegentlich so extrem dargestellt, dass man sich nach der Position des Autors fragt – oder will er so wie McLuhan keine Position beziehen? Dass man beim Durcharbeiten des Buches also beständig angestrengt ist, zu widersprechen, ist der Effekt dieser multiperspektivischen Herangehensweise. Auch wenn der Autor sich damit selbst zum Gegenstand des Leserwiderspruchs macht, erreicht er doch sein Ziel und nicht zuletzt einen eigentümlichen Spannungsbogen, der sich vor allem dann entfaltet, wenn man das Buch am Stück liest. Liest man jedoch nur einzelne Teile, eine nicht unübliche Lesart von Einführungsbüchern, könnte das zu gewissen Verwirrungen führen.

Abgesehen von der spannenden Anlage des Buches gibt es einige Kritikpunkte im Detail: Bei Grampps Abhandlung des globalen Dorfes hätte man sich etwas mehr Kritik an der essentialistischen, politisch äußert fragwürdigen und überaus konservativen Dimension dieses Konzepts gewünscht. Leider setzt Grampp in diesem Kontext die unhaltbare, aber im deutschsprachigen Raum sehr beliebte Verbindung von McLuhan und dem Technikphilosophen Ernst Kapp fort, der 1877 erstmals eine Extensionsthese systematisch entwarf, also die Überlegung, dass alle Werkzeuge und Techniken Erweiterungen des menschlichen Körpers sind. Eine solche Verbindung ist schlicht deswegen unglaubwürdig, weil Kapps Schriften bis heute nicht übersetzt sind und erst durch Friedrich Kittler – trotz einiger Bemerkungen bei Ernst Cassirer – wieder bekannt geworden sind. McLuhan kann nicht in der „Tradition der Technikhermeneutik Kapps“ stehen. Vielmehr wäre es hilfreicher gewesen, zu fragen, welche Plausibilitäten die Extensionsthese in den 1960er-Jahren für viele Theoretiker (darunter neben McLuhan auch Buckminster Fuller, Lewis Mumford oder Teilhard De Chardin) gehabt hat.

Ebenso setzt Grampp McLuhans These fort, durch elektrische Medien seien Ereignisse über Distanzen hinweg simultan wahrnehmbar geworden. Zwar stimmt es, dass die Zeit von Übertragung radikal gesunken ist, aber sie ist – und das ist für das Verständnis der gegenwärtigen medialen Kondition mindestens ebenso wichtig – eben nicht null, wie McLuhans Phantasma der Instantanität nahelegt. Alle technischen Medien beruhen auf dem Umgang mit den Synchronisationen dieser Aufschübe. McLuhans Blindheit für Technik, die ganz und gar nicht seiner Funktion innerhalb technikorientierter Medientheorien entspricht, hat hier ihren Ursprung. Darüber hinaus hätte Grampp durchaus noch deutlicher sagen können, dass McLuhans Katholizismus kein Addendum seiner Arbeiten darstellt, sondern ihr Framework liefert – und dies wiederum zu noch kaum bedachten Problemen für eine Medientheorie führt.

Die medienwissenschafliche Bewegung innerhalb der Geisteswissenschaften, wie sie Grampp anspricht, ist weitestgehend auf den deutschsprachigen Raum beschränkt. Sie wird zwar auch anderswo rezipiert, dabei aber zumeist in lokalen Initiativen. McLuhan hat, so könnte man behaupten, einem deutschsprachigen Fach als Initiator gedient. Sein akademischer Einfluss in Nordamerika gehorcht anderen Regeln. Über eine nähere Untersuchung dieser unterschiedlichen Rezeption ließe sich sicherlich einiges über die Notwendigkeiten und Abgrenzungen sagen, die deutschsprachige von nordamerikanischen Debatten und Wissenschaftspolitiken unterscheiden. In der deutschsprachigen Landschaft scheint es andere Legitimationszwänge gegeben zu haben, aber auch andere Grabenkämpfe, in denen McLuhan zur Schachfigur werden konnte.

Doch ohne kritische Punkte wird wohl keine Auseinandersetzung mit McLuhan je auskommen: Sie liegen im Gegenstand. Um so wichtiger, dass mit Sven Grampps Einführung nun ein ebenso kritischer wie kenntnisreicher Weg hin und weg von McLuhan offensteht.

Titelbild

Sven Grampp: Marshall McLuhan. Eine Einführung.
UTB für Wissenschaft, Stuttgart 2011.
228 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783825235703

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