Schwarz ist keine Farbe

Ein Sittenbild des amerikanischen Südens

Von Doris KleinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Doris Klein

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als ob es nicht schon schlimm genug wäre, das achte Kind von zwölf Geschwistern zu sein und an keinem Tag zu wissen, ob man sich bei der allabendlichen Schlacht ums Essen wird durchsetzen können - hat James auch noch eine Mutter, die ihren Tee aus Gläsern trinkt, sich nicht um die Nachbarn schert, Jiddisch kann und auf einem alten blauen Fahrrad durch Manhattan gurkt. "Sie war ohnehin schon weiß, was schlimm genug war, aber ein altes Rad zu fahren, das schon seit hundert Jahren aus der Mode war ? Und das als Erwachsene ? Das war einfach zuviel für mich."

"Die Farbe von Wasser" ist die autobiographische Geschichte des schwarzen Journalisten, Komponisten und Saxophonisten James McBride, der im New York der 60er Jahre aufwächst. Es ist die Zeit der Rassenunruhen, der Bürgerrechtsbewegung und Martin Luther Kings. Während seine älteren Geschwister sich heimlich der Black-Power-Bewegung anschließen und seine Mutter behauptet, sie sei hellhäutig, glaubt James, sein wahres Ich sei ein Junge, der im Spiegel wohnt. Fragen nach der Hautfarbe bleiben stets unbeantwortet:

"Bin ich schwarz oder weiß ?"

"Du bist ein Mensch", schnappte sie. "Bilde dich, oder du bleibst ein Niemand."

"Werde ich ein schwarzer Niemand oder nur ein Niemand ?"

"Wenn Du ein Niemand bist", sagte sie trocken, "ist es egal, welche Hautfarbe du hast."

Bevor James herausfindet, wer er ist, muß er herausfinden, wer seine Mutter ist; diese weiße Frau, die stets mit mindestens einem halben Dutzend ihrer immer hungrigen schwarzen Kinder im Schlepptau durch New York zieht und in deren Haushalt die Regeln eines Wolfrudels zu gelten scheinen. "Wenn man der erste war, der sich ihre Handtasche griff, sobald sie nach Hause kam, aß man. Wenn man es nicht schaffte, na dann, gute Nacht."

"Die Farbe von Wasser" ist auch die Geschichte der Metamorphose der Dwajre Zylska, Tochter eines polnischen Rabbiners, über Rachel Shilsky, zu Ruth Jordan, der Mutter von James McBride. Sie ist zwei Jahre alt, als die Familie nach Amerika auswandert und sich schließlich in den Südstaaten niederläßt, wo der Vater einen Krämerladen eröffnet. Zwischen den protestantischen Weißen und den schwarzen Nachbarn bewegt sich die Jüdin Rachel in einer Art ethnischem Niemandsland. 1938 geht Rachel, gerade 17jährig, nach New York um Familie und Vergangenheit zu vergessen. Das Vergessen ist so vollständig, daß sie sich Jahre später nicht einmal mehr erinnern kann, wie man ein Auto fährt. In New York heiratet sie zunächst den schwarzen Baptistenpfarrer Arthur McBride, nach dessen Tod - inzwischen ist sie Mutter von acht Kindern - den ebenfalls schwarzen Hunter Jordan, mit dem sie weitere vier Kinder bekommt.

Die Lebensmaxime von James' Mutter ist ebenso einfach wie wirksam: Es ist eine Mixtur aus tiefer Religiosität und der konsequenten Negation von Realität. Was stört, wird vergessen oder verdrängt. Für alles andere wird gebetet. So gelingt es ihr scheinbar durch pure Willensanstrengung, alle zwölf Kinder zur Universität zu schicken und zu honorigen Abschlüssen zu treiben. Gleichzeitig aber behindert sie die Identitätsfindung ihrer Kinder, macht sie so farblos wie Gott, der die Farbe von Wasser hat, und "Wasser hat keine Farbe." 14 Jahre braucht James, um zu erkennen, daß der Junge im Spiegel er selbst ist und daß er eine Farbe hat - die Farbe schwarz.

Wie fatal die entschlossene Weigerung dieser Frau, irgend etwas anderes zu sein als sie selbst, sich auf die nächste Generation überträgt, macht den Leser schier atemlos. Wie erfolgreich sie und ihre Kinder andererseits Teil des amerikanischen Traumes werden, nicht minder. James McBride liefert mit seinem Debut nicht nur eine Familiengeschichte ab, sondern ebenso ein Sittenbild des amerikanischen Südens der 40er Jahre und New Yorks in der Mitte dieses Jahrhunderts. Und dieses Bild ist alles andere als schwarzweiß.

Titelbild

James McBride: Die Farbe von Wasser. Aus dem Englischen von Monika Schmalz.
Berlin Verlag, Berlin 1999.
320 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 3827002737

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