Zu dieser Ausgabe

Erlösung im „Untergang“? „literaturkritik.de“ widmet sich noch einmal verschiedenen Aspekten von Tod und Gewalt

Von Jan SüselbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Süselbeck

Von Woody Allen ist die schöne Antwort auf die Frage nach dem Tod überliefert: „Ich bin strikt dagegen.“ Auch Elias Canetti gab im Alter von 80 Jahren zu Protokoll, er „verfluche“ den Tod geradezu: „Ich kann nicht anders. Und wenn ich darüber blind werden sollte, ich kann nicht anders, ich stoße den Tod zurück. Würde ich ihn anerkennen, ich wäre ein Mörder.“

Den Tod im Unterschied zu solchen lebenszugewandten Statements positiv zu sehen, war dagegen vor allem eine Spezialität der deutschen Geistesgeschichte. Nicht ohne schwerwiegende Folgen für Leute, die damit eigentlich gar nichts zu tun haben, sondern lieber endlich einmal in Frieden leben wollten: Die emphatische Begrüßung des eigenen Todes wurde seit dem 19. Jahrhundert insbesondere jüdischen Künstlern von ihren deutschen Kollegen gerne mahnend nahegelegt. Dieses „Erlösungswerk“ scheint in dieser merkwürdigen, aufgedrängten Todessymbiose ,genialer’ Deutscher mit dem halluzinierten „Ewigen Juden“ allerdings in Wahrheit eher dazu gedient zu haben, vor allem Letzteren möglichst umgehend von der Bildfläche verschwinden zu lassen: „Assimilation“ kann man hier, etwa im Blick auf die Vorstellungswelt des Romantikers Achim von Arnim, für die Juden ganz einfach umstandslos mit „Sterben“ übersetzen. „Wenn bei Arnim von Taufe im Hinblick auf die Juden die Rede ist, so bedeutet dies stets den baldigen Tod der Juden“, wie Gerhard Scheit beobachtet hat: „Getauft zu werden, heißt hier: zu sterben.“

Auch Richard Wagner bedrängte die Juden in seiner folgenschweren, gleich zweimal publizierten antisemitischen Hetzschrift „Das Judenthum in der Musik“ (1850/1869) geradezu damit, dass die „Erlösung“ nun einmal „nicht in Behagen und gleichgiltig kalter Bequemlichkeit erreicht werden“ könne, sondern „daß sie, wie uns, Schweiß, Noth, Aengste und Fülle des Leidens und Schmerzes kostet. Nehmt rücksichtslos an diesem, durch Selbstvernichtung wiedergebärenden Erlösungswerke theil, so sind wir einig und ununterschieden! Aber bedenkt, daß nur Eines eure Erlösung von dem auf euch lastenden Fluche sein kann: die Erlösung Ahasvers, – der Untergang!

Leider waren diese obskuren Vorstellungen bei Wagner, jenem letzten „Pilzling auf dem Dünger der Romantik“ (Max Nordau), nicht nur auf den bloßen pathologischen „Wahnwitz“ eines einzelnen ,Irren’ zurückzuführen, wie auch Nordaus Freund und Kollege Berthold Auerbach vermutete, dessen 200. Geburtstag literaturkritik.de in der vorliegenden Ausgabe mit einer gebührenden Extra-Rubrik begeht. Die deutsche Todesmutigkeit, die bereits im 19. Jahrhundert insbesondere darauf abzuzielen begann, sich an der fixen Idee einer angeblichen totalen Verfluchtheit der Juden als ,Figur des Dritten’ zu profilieren und aufzurichten, war nicht einfach wie eine ,Krankheit’ durch schlichte Aufklärung zu kurieren: Deutscher Kulturpessimismus als Motiv der ,Kulturkritik’ war zunehmend in und wurde, in apokalyptisch-raunender Verknüpfung mit dem Antisemitismus, geradezu als identitäts- und sinnstiftende ,Semantik’ nationaler Ermächtigung begriffen (wie nicht zuletzt Klaus Holz in seiner 2001 erschienenen Habilitation „Nationaler Antisemitismus“ gezeigt hat).

Offenbar war diese Form der Todessehnsucht aber noch viel mehr: Sie wurde als eine Form des ,Weltschmerzes’, also eines Gefühls kollektiv anschlussfähig, wie nicht zuletzt die Rezeption der Musik Wagners in ihrer schwermütigen Düsternis bis heute zu demonstrieren vermag – wobei sie mittlerweile unter anderem auch als Element postmodernen ,Untergangs’-Kinos eingesetzt werden kann, gerne flankiert mit einigen müden Schein-Provokationen eines talentierten Regisseurs wie Lars von Trier, der es lustig fand, sich selbst als „Nazi“ zu outen: Jedenfalls wurde die Ouvertüre von Wagners „Tristan und Isolde“ zuletzt in dessen apokalyptischem Weltuntergangsfilm „Melancholia“ in der Tat äußerst effektvoll eingesetzt, der die internationale Filmkritik prompt zu wahren Begeisterungsstürmen hinriss.

Auch noch im 20. Jahrhundert wurde in Philosophie und Literatur gerne weiter an die seltsame Todessehnsucht der Romantik angeknüpft: Martin Heidegger etwa euphemisierte das Sterben in seinem Hauptwerk „Sein und Zeit“ (1927) als „Sein zum Tode“. Aus der Perspektive eines Opfers dieser ,Philosophie’ dichtete Paul Celan einige Jahre und einen veritablen Weltuntergang später: „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“. Im Kontext solcher Vorstellungen, die sich tief in das kollektive Gedächtnis der Deutschen eingebrannt zu haben scheinen, ist es wohl kaum ein Zufall, dass selbst noch Oliver Hirschbiegels umstrittener Hitler-Film von 2004, der dem Zuschauer wenn nicht Sympathie, so doch eine gewisse Empathie für das Selbstmord-‚Schicksal’ des „Führers“ und seiner Entourage nahe legt, den vieldeutigen Titel „Der Untergang“ trägt.

Bereits die soldatische Kriegsliteratur der 1920er-Jahre strotzte nur noch so vor ‚todesmutigen‘ und ‚todesverliebten‘ Darstellungen des großen Krepierens. Das Heidegger’sche „Vorlaufen zum Tode“ schien hier auf einer ganz speziellen Art von ‚Trimm-Dich-Pfad‘ direkt in den totalen Krieg zu führen, auf dem der deutsche Mann seine einzigartige Fitness und kämpferische Wachheit beweisen konnte und sollte: In Ernst Jüngers fiktionalisiertem Kriegstagebuch „In Stahlgewittern“ (1920) etwa ist von einer seltsamen „Spannung“ die Rede, welche die Soldaten unter Granatbeschuss erfasse und dem Ohr eine „äußerste Schärfe“ verleihe. Selbst der über der Gefechtszone liegende Leichengeruch wird hier noch positiv bewertet: „Übrigens war dieser schwere und süßliche Hauch nicht lediglich widerwärtig; er rief darüber hinaus, eng mit den stechenden Nebeln des Sprengstoffs vermischt, eine fast hellseherische Erregung hervor, wie sie nur die höchste Nähe des Todes zu erzeugen vermag.“ In den Männern, die solche Erlebnisse hatten, folgert der Erzähler an anderer Stelle, sei mit der Zeit „ein Element lebendig“ geworden, „das die Wüstheit des Krieges unterstrich und doch vergeistigte, die sachliche Freude an der Gefahr, der ritterliche Drang zum Bestehen eines Kampfes. Im Laufe von vier Jahren schmolz das Feuer ein immer reineres, ein immer kühneres Kriegertum heraus.“

In der weiteren Geschichte des 20. Jahrhunderts führte dieses morbide und vor allem auch mörderische deutsche ‚Hobby‘ schließlich soweit, die halbe Welt umzubringen – vor allem aber möglichst alle Juden. Davon legte nicht nur Celans zitierter Vers aus der 1944/45 entstandenen „Todesfuge“ beredtes Zeugnis ab: Als einer der letzten Überlebenden des Warschauer Ghettos sprach Marcel Reich-Ranicki in der Gedenkstunde des Deutschen Bundestags am 27. Januar 2012: „Die in den Vormittagsstunden des 22. Juli 1942 begonnene Deportation der Juden aus Warschau nach Treblinka dauerte bis Mitte September. Was die ‚Umsiedlung‘ der Juden genannt wurde, war bloß eine ‚Aussiedlung‘ – die Aussiedlung aus Warschau. Sie hatte nur ein Ziel, sie hatte nur einen Zweck: den Tod.“

Nicht nur aus diesem aktuellen Anlass beschäftigte unsere Redaktion das Thema weiter: Nach dem Schwerpunkt zu „Gewalt und Tod“ in der Januar-Ausgabe legt literaturkritik.de wie angekündigt noch einmal eine zweite Folge nach – wobei es nun, in der Februar-Ausgabe, vor allem auch um das Thema „Tod“ geht: Todesszenarien in der internationalen Literatur werden allgemein oder auch bei einem ,lebensreformerischen’ Soldaten-Autor wie Walter Flex im Besonderen beleuchtet, es geht um thanatologische Untersuchungen von Szenarien und Inszenierungen des Todes als „Kulturtechniken der Emotionalisierung“, genauso wie auch das Thema Gewalt noch einmal in verschiedenen Beiträgen und Rezensionen untersucht wird.

Herzlich
Ihr
Jan Süselbeck