Fremdheit schult Aufmerksamkeit nachhaltig

Zu Andrea Leskovec’ Einführungsband „Einführung in die interkulturelle Literaturwissenschaft“

Von Stephan KrauseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Krause

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gleich zu Anfang ist hervorzuheben, dass Andrea Leskovec’ „Einführung in die interkulturelle Literaturwissenschaft“ eine Lücke schließt. Der Band gehört damit auch in den Zusammenhang des literaturkritik.de-Themenschwerpunktes „Einführungen in die Literatur- und Sprachwissenschaft“, in dem schon in der Ausgabe 7/2010 – reichlich ein Jahr vor dem Erscheinen des hier behandelten Buches – Einführungen in die Literatur- und Sprachwissenschaft ausführlich vorgestellt wurden.

Leskovec’ Band ist jedoch nicht allein dem literaturwissenschaftlichen und didaktischen Genre der Einführung verpflichtet, sondern die Autorin stellt vor allem souverän und sehr anschaulich ihren Gegenstand ‚interkulturelle Literaturwissenschaft‘ vor. Dieser Form der Beteiligung an einer doch eher jüngeren Forschungsrichtung in der germanistischen Literaturwissenschaft ging bereits 2009 der Band „Fremdheit und Literatur. Alternativer Ansatz für eine interkulturell ausgerichtete Literaturwissenschaft“, die Dissertationsschrift der Autorin, voraus.

Die nun vorliegende Einführung greift zentrale Gedanken dieser stärker theoretisch orientierten und umfassenderen Studie auf und bietet sie in kompetenter Weise und gut handbarer Form als praktischen Zugang zu literarischen Texten an. Leskovec baut dabei ausdrücklich auf vier ‚Grundbegriffen der interkulturellen Literaturwissenschaft‘ auf, die sie im umfangreichen und zentralen III. Kapitel ausführlich definiert und bespricht.

So betont sie mit Blick auf den verwendeten Literaturbegriff, dass die Berücksichtigung der „textuelle[n] Dimension des literarischen Textes“ nicht gegenüber inhaltlichen oder möglichen kulturspezifischen zu kurz kommen dürfe. Darauf folgen in zwei Abschnitten die knappe und gut brauchbare Differenzierung zu ‚Kultur‘ und ‚Interkulturalität‘. Als vierten behandelt Leskovec detailliert und fundiert den Begriff der ‚Fremdheit‘.

Dabei verwundert es wenig, dass sie gerade diesem Konzept die meiste Aufmerksamkeit widmet – stellt Fremdheit doch in den im zweiten Teil des Bandes angebotenen Analyse- und Interpretationsansätzen das fundamentale Problem dar, nach dem die Deutungen fragen. Leskovec weiß diese essenzielle Begrifflichkeit zudem nachhaltig in den Kontext der Forschungsrichtung ‚interkulturelle Literaturwissenschaft‘ einzuordnen, da sie deren Gestalt und Zweck in einer zweigeteilten Übersicht am Anfang des Bandes aufzeigt. Der informative Wert dieser ersten beiden Kapitel ist somit bereits hoch und stellt die Voraussetzung dafür dar, dass nicht nur der theoretische Mehrwert des Ansatzes, sondern auch der praktische Zugewinn erkennbar werden.

Denn Leskovec versteht es, zunächst die in der interkulturellen Literaturwissenschaft verbreitete und oft allein kulturell vereinfachende Binarität von Fremdem und Eigenem zu problematisieren. Sie zeigt auf, dass eine Reduktion der Fragestellungen auf kulturelle Fremdheit nicht nur oft zu kurz greift, sondern dass diese auch den behandelten Texten nicht gerecht wird, da deren ästhetische Gestalt eigentlich ausgeklammert bleibt. Sie stellt mit wiederholter Berufung auf das dreigliedrige Fremdheitskonzept Bernhard Waldenfels’ dar, inwiefern die von ihm beobachteten Phänomene alltäglicher, struktureller und radikaler Fremdheit für die Beschäftigung mit literarischen Texten weitaus ergiebiger sind. Sie macht dafür die Systematik eines philosophischen Denkgebäudes nutzbar, für dessen weitergehende Reflexion sich vielleicht abermals zusätzlich auf „Fremdheit und Literatur“ verweisen lässt.

Die verstärkt in den Kapiteln IV und V zu findenden beispielhaften Analysen von Text(ausschnitt)en zeigen die praktischen Dimensionen des vorgeschlagenen Ansatzes auf und demonstrieren – Leskovec betont dies mehrfach –, wie Fremdheit spürbar (literaturwissenschaftliche) Aufmerksamkeit herausfordert. Hervorgehoben seien hier etwa die Explizierung radikaler Fremdheit anhand von Lukas Bärfuss’ Roman „Hundert Tage“ oder die Betrachtung zu Christoph Heins „Horns Ende“. Sie erlauben es, exemplarisch den Zugewinn nachzuvollziehen, den der von Leskovec vorgeschlagene andere Ansatz in der interkulturellen Literaturwissenschaft bietet. Sie erweisen darüber die praktische Relevanz, die der Band zweifellos besitzt und die auch sein fundiertes theoretisches Gewicht für die interkulturelle Literaturwissenschaft beglaubigt.

Titelbild

Andrea Leskovec: Einführung in die interkulturelle Literaturwissenschaft.
wbg – Wissen. Bildung. Gemeinschaft, Darmstadt 2011.
144 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783534238149

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