„Landschaft der Klüfte und Steilheiten…“

Zum Roman „Banatsko“ von Esther Kinsky

Von Natalia Blum-BarthRSS-Newsfeed neuer Artikel von Natalia Blum-Barth

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dem Roman „Banatsko“ ist als Motto das Zitat aus dem hochgelobten Roman „Die Legende von den Tränengauklern“ des ungarischen Schriftstellers László Darvasi vorangestellt: „Wir alle kommen von irgendwoher und wir alle gehen weiter irgendwohin, weil wir Menschen sind.“

Darvasis Satz bringt die permanente Mobilität des Menschen zum Ausdruck und mag zunächst im Hinblick auf die von Kinsky beschriebene Region Banat als Widerspruch erscheinen, denn dort geht die Zeit nach anderen Uhren: keine Eile, keine Hektik. Die Langsamkeit und die Ruhe der Landschaft scheinen das Leben der Menschen in diesem Grenzland zu prägen.

Die Handlung des Romans ist schnell wiedergegeben: Die Protagonistin kommt aus London in einen kleinen Ort im Banat und richtet sich dort ein. Sie lässt Reparaturarbeiten am Haus durchführen, lernt einige Menschen aus dem Dorf kennen und erkundet die Gegend. Es gibt also kaum Handlung, keine fesselnden Dialoge, es ist keine spektakuläre Story. Was macht diesen Roman aus? Warum ist Kinskys Buch empfehlenswert? – Und dies ist es mit besonderem Nachdruck!

Die Faszination des Romans „Banatsko“ besteht in der sprachlichen Gestaltung der Beschreibungen. Dass es hauptsächlich Beschreibungen sind und Dialoge fast gänzlich fehlen, erklärt sich dadurch, dass Esther Kinsky visuell und nicht wie die meisten Autoren akustisch schreibt. Vorgegeben durch die Protagonistin, die der Sprachen dieser Region nicht mächtig ist und ihre Umgebung hauptsächlich über das Sehen wahrnimmt, entsteht die Sprache des Romans über die Augen. Dies unterscheidet „Banatsko“ von den meisten Romanen, da sie vorwiegend über das Hören entstehen und das beinhalten, was das Gedächtnis erzählt.

Das Gedächtnis in „Banatsko“ ist dagegen zunächst ausgeschaltet und wird nur langsam und fragmentarisch auf den Ausflügen der Protagonistin aufgedeckt: Wenn der Nachbar zeigt, wo „die Synagoge gestanden hatte, und wo jetzt nur noch ein grünrotes Tor mit großen rostigen Stellen war“, wenn er „die verschwundenen Juden an der verstümmelten Hand langsam ab[zählte]“, wenn sie den jüdischen Friedhof besucht und Eva, die „fast jeden Namen“ kannte, von einer längst verschwundenen und vergessenen Zeit berichtet, wenn die Protagonistin die traurige Liebesgeschichte eines Mädchens „am Rande einer Ortschaft dieser Gegend“ hört, wenn vom „Werk“, von „früher“ und „nach der Revolution“ die Rede ist. Diese Erzählungen nimmt die Protagonistin an, ohne sie zu werten oder sie zu kommentieren. Als Fremde ist sie offen für ihre neue Umgebung und an ihr interessiert. Das Gedächtnis und die Geschichte dieser Region eignet sie sich an, indem sie sich der neuen Sprache anvertraut.

Diesen Prozess schildert Esther Kinsky in ihrem Roman so einfühlsam, dass die Sprache neben der Region, der dieses Buch gewidmet ist, ins Zentrum der Erzählung rückt. Thematisiert wird hier die Erfahrung, die man in und mit der Fremdsprache, auf die man sich einlässt, macht: „In solchen Augenblicken wurde mir die Sprache, an die ich mich langsam gewöhnte, widerständig und unaussprechlich, als müsste ich mich ihr zum Beweis für meine Unhiesigkeit versagen. Einige Zeit war ich stumm. Ich gab den Dingen keine Namen mehr, weil sie nichts mit den mir bekannten Worten zu tun hatten. Ich saß im Mantel auf der Veranda und schaute nur noch auf den Himmel, denn dabei erübrigten sich die Namen. Ich wechselte mit niemandem mehr ein Wort […].“

Gewiss ist an der Sprache dieses Romans die begnadete und preisgekrönte Übersetzerin Kinsky unverkennbar. Die unauffälligen Bemerkungen über die eine oder andere Formulierung im Ungarischen – wie zum Beispiel: „Im Ungarischen sind die engen Verwandten immer süß.“ – sagen nicht nur über die Sprache, sondern auch über die Denk- und Lebensweise in dieser Region einiges aus. Die kurzen, klar formulierten und trotzdem melodischen Sätze scheinen den Rhythmus der beschriebenen Gegend in sich aufgenommen zu haben.

Die Fremde, die hier dem Lesenden durch die Protagonistin so schön und empfindsam nahegebracht wird, ist nur auf den ersten Blick eine von der Zeit kaum gezeichnete Gegend, in der angeblichen Idylle und Stille herrschen. Diese Beschreibungen sind auch als unterschwellige, kritische Andeutungen auf die historischen und politischen Entwicklungen auf diesem Flecken Europas in den letzten Dezennien zu lesen. Vielleicht ist aus dieser Perspektive auch das Zitat aus Darvasis Roman „Die Legende von den Tränengauklern“, der die blutige Geschichte Ungarns über drei Jahrhunderte hinweg erzählt, zu deuten.

Im gedunkelten Heftbuch „Von der Verwilderung des Herzens“, das die Protagonistin gleich am Anfang ihrer Ankunft in der Fremde in die Hand nahm, las sie: „Die sanfte Wölbung des Herzmuskels verzieht und verfältelt sich, wird zu einer Landschaft der Klüfte und Steilheiten, der jähen Abgründe und wenigen verbliebenen sanften Hänge, zu einer großen, unvorhersehbaren und in einem jeden Menschen anders gearteten Unebenheit.“

Titelbild

Esther Kinsky: Banatsko. Roman.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2011.
245 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783882217230

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch