„Das Berthold Auerbach-Projekt 2012“

Ein Seminar und seine Themen

Von Carsten RastRSS-Newsfeed neuer Artikel von Carsten Rast

Am 28. Februar 2012 jährt sich Berthold Auerbachs (1812-1882) Geburtstag zum 200. Mal. Dass er zu Lebzeiten einer der international bekanntesten deutschen Autoren war, ist heute nahezu vergessen. Eine überschaubare Anzahl von Leseausgaben neueren Datums bietet immerhin eine Auswahl seiner Dorfgeschichten. Durch sie wurde er im 19. Jahrhundert über die Grenzen Deutschlands hinaus berühmt und allein sie sichern ihm als wichtigem Vertreter dieser Gattung einen Platz in gängigen Literaturgeschichten.

Sein Werk und Wirken wird allerdings nur wenig erforscht. In der 2011 erschienenen Collage „Berthold Auerbach: Einst fast eine Weltberühmtheit“ spricht Hermann Kinder indessen von einer „kleinen Renaissance“. Unabhängig von den letzten Veröffentlichungen, die sich mit Auerbachs Verhältnis zum Judentum und seinem Wirken als Volksaufklärer beschäftigen, bleiben jedoch weiterhin viele Themen unberücksichtigt, die im Auerbachjahr zu lohnenden Diskussionen Anlass geben können. Hierzu zählen unter anderem Fragen der Rezeptionsgeschichte im In- und Ausland, die literarischen Wechselbeziehungen mit Russland, England und Frankreich, aber auch grundsätzliche Fragestellungen zu seinen Romanen. Vor diesem Hintergrund und im Rahmen des Hauptseminars „Das Berthold Auerbach-Projekt 2012“ von Frau Prof. Dr. Jutta Osinski beschäftigen sich Studenten der Philipps-Universität Marburg zwei Semester lang mit dem deutschen Dichter.

Für Studenten bietet das Seminar Möglichkeiten, sich mit wenig erforschten Themen zu Auerbach auseinander zu setzen, aber auch sich von der ersten Idee bis zur Veröffentlichung eigener Forschungsergebnisse im wissenschaftlichen Arbeiten und dem Umgang mit verschiedenen Textgattungen zu üben. Im Verlauf des Wintersemesters stand die Diskussion und Überarbeitung von Exposés im Vordergrund, die als Arbeitsgrundlage für eine anschließende Präsentation der Ergebnisse in halbstündigen Vorträgen dienten. Eine Exkursion zum Marbacher Literaturarchiv und zum Berthold Auerbach-Museum in Horb ermöglichte den Studenten darüber hinaus Einblicke in die Archivarbeit und führte zu den regionalen Schauplätzen berühmter Dorfgeschichten. Im Verlauf des Sommersemesters werden die bisherigen Forschungsschwerpunkte vertieft, durch eine weitere Teilnehmerin neue Akzente gesetzt und die Ergebnisse für den öffentlichen Vortrag im Rahmen des Berthold Auerbach-Jubiläums erneut überarbeitet.

Die hier veröffentlichten Essays sind das Resultat intensiver Beratungen und eigenständiger Beschäftigung mit dem Werk Berthold Auerbachs. Hierbei wurden vor allem die europäischen Literaturbeziehungen, in denen Auerbach zu sehen ist, in den Blick genommen. Bisher gibt es zum Beispiel keine international angelegte Bibliografie, die sein Wirken außerhalb Deutschlands belegt und zusammenstellt. Nur vereinzelt sind auch die literarischen Wechselbeziehungen mit Russland von der Forschung aufgegriffen worden. Wichtig sind hier besonders die Vermittlungsleistungen Lew Tolstois und Iwan Turgenjews. Darüber hinaus lassen sich Verbindungen Auerbachs nach England belegen. Eine Beschäftigung mit seinem frühem Roman „Spinoza“ zeigt kaum beachtete Parallelen zum historischen Roman Walter Scotts. Die ihm zu Grunde liegende jüdische Thematik kennzeichnet dabei neben Auerbachs liberalen und nationalen Vorstellungen nur eine Kontinuität seines Denkens. Hiervon ist auch sein Roman „Neues Leben“ geprägt, der von Zeitgenossen wie Gustav Freytag und Theodor Mommsen rezensiert, selten jedoch vor diesem Hintergrund untersucht wurde.