Erbe als Selbstzerstörung

Alois Hotschnigs Roman "Ludwigs Zimmer"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es war in den letzten Jahren still geworden um den österreichischen Schriftsteller Alois Hotschnig. Zuletzt war 1992 sein Roman "Leonardos Hände" erschienen. Dabei wurde er nach der Veröffentlichung seiner beiden kurzen Erzählungen "Aus" (1989) und "Eine Art Glück" (1990) schon zurecht als bedeutendster Vertreter der jungen Schriftstellergeneration aus der Alpenrepublik gehandelt.

Aufgrund des stark veränderten literarischen Zeitgeistes bleibt abzuwarten, ob Hotschnig noch einmal an seine Anfangserfolge anknüpfen kann: Seine radikale, zur Lakonie neigende Leidensprosa ist derzeit nämlich alles andere als en vogue.

Allen kurzlebigen literarischen Modeerscheinungen zum Trotz, haben wir es hier mit einem zwar anstrengenden, aber überaus beachtlichen Roman zu tun. Es geht wie in Hotschnigs Vorgängerwerken ziemlich düster zu: Tod und Schuld spielen wieder eine zentrale Rolle, und ein wichtiger Handlungsstrang führt in dieNS-Vergangenheit.

Alles beginnt damit, dass der Ich-Erzähler Kurt Weber von seinem Onkel eine Villa in Kärnten erbt.Für das geheimnisumvolle Haus in Landskron opfert er sogar seine Beziehung zu seiner Partnerin Vera. Der Tod schleiche ums Haus herum, erfährt er von einer neuen Nachbarin. Als Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart schleicht eine alte Frau durchs Haus, die sich immer wieder im Zimmer ihres ehemaligen Geliebten Ludwig einschliesst, der als Widerstandskämpfer Insasse des KZ Mauthausen und von dort zur Zwangsarbeit an den Kärntener Loibl-Pass abkommandiert wurde.

Alois Hotschnig geht es jedoch nicht primär um Ludwigs Schicksal, sondern um die Obsessionen seiner Hauptfigur, die von der Ungewissheit über die familiäre Vergangenheit ausgelöst werden. Um die Geschichten also, die um eine Villa und ihre ehemaligen Bewohner kreisen und hinter vorgehaltener Hand erzählt werden. Innen- und Außenwelt verschmelzen hier zu einer bedrückenden Unwetterwolke, die sich mit sprachlicher Urgewalt über dem Leser entlädt. "Dass man mit sich auskommt, nichts hinterfragt, ist für mich ein Grund für den Alltagsfaschismus", bekennt der Autor, und so darf man den Handlungsort Kärnten auch als Fingerzeig auf Jörg Haider deuten.

Hotschnigs Art des Hinterfragens nimmt für seinen Protagonisten Kurt Weber existenzielle Gestalt an. Die Übernahme des Hauses und die damit verbundene Nähe zu den vielen toten Zwangsarbeitern am Loibl darf man als selbst auferlegte Sühne für die zwielichtige und nicht aufgearbeitete Familienvergangenheit deuten. Dieses aus inneren Zwängen der Hauptfigur resultierende Martyrium hat Alois Hotschnig psychologisch gekonnt und mit großer sprachlicher Radikalität gestaltet. Ein bedrückender Roman über eine Selbstzerstörung.

Titelbild

Alois Hotschnig: Ludwigs Zimmer. Roman.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2000.
176 Seiten, 15,30 EUR.
ISBN-10: 3462029231

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch