Erinnerungen und andere Wahrnehmungen

Annie Proulx beschreibtin ihrem Buch „Ein Haus in der Wildnis. Erinnerungen.“ memoirenhaft wie sie sich den idealen Zufluchtsort zu schaffen vermochte

Von Andreas HudelistRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andreas Hudelist

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Laufe des Lebens baut man nicht oft ein Haus. Deshalb sollte man sich das, was man plant, auch sorgfältig überlegen. Annie Proulx hat für die Entstehungsgeschichte ihres Traumhauses aufgeschrieben. Die daraus entstandenen Erinnerungen lassen die Leser an ihren Freuden und Leiden der Realisierung teilhaben. Für den Leser entsteht Seite für Seite ein Haus, das entweder in jedem Moment zusammenfallen oder aber als ideale Herberge dienen könnte. Und obwohl die Erzählerstimme die guten Seiten des Hauses betont, muss sie sich am Ende der Natur geschlagen geben, da zur kälteren Jahreszeit das Bewohnen des Gebäudes kaum noch möglich erscheint: „Im März kam ich wieder und seit Jahren bin ich im zeitigen Frühjahr hergekommen und geblieben, bis der Schnee mich vertreibt; ich habe mich damit abfinden müssen, dass dieses Haus, das ich so sehr liebe, niemals das endgültige Zuhause sein kann und sein wird, das ich mir erträumt habe.“

In dem Text treten die Zeit des Hausbaus, die Familiengeschichte und die Historie der Gegend miteinander in einen Dialog ein. Zwar ist immer alles gegenwärtig, doch bedarf es einer gewissen Anstrengung, vergangene Situationen wieder heraufzubeschwören. So beschäftigt sich die Erzählerin Proulx mit ihrer Familiengeschichte, wobei sie sich in Erinnerungen verliert, die eigentlich gar nicht erinnert werden können, weil sie sie nicht erlebt hat. In ihren Versuche, sich in vergangene Zeiten zurückzuversetzen, werden jedoch die Geschichten in einen Bukett aus markanten Eindrücken, die „den Gerüchen von frisch gemolkener Milch, frischgeschlagenem Eichenholz, Herbstlaub, Schnee, dumpfigen Sümpfen, Fotoalben und kalter Asche“ gleichen. Diese Erfahrung ist für sie besonders wichtig, da sie durch die Besinnung auf ihre Familiengeschichte das Gefühl des Verlustes reduzieren kann und die Wärme eines Zuhauses wahrnimmt, da sie gegen die Isolation und das Altern immunisiert.

Die stärksten Wahrnehmungen in diesem Buch sind als Narben gekennzeichnet. Proulx schreibt: „Es war eine Ratte, die mich gebissen hatte. Die Narbe und die Erinnerung sind mir geblieben.“ Demnach scheint das Schreiben dieser Memoiren als ein Abarbeiten an der eigenen Geschichte, die über das eigene Leben stets hinaus geht. Jack London hätte sich, als er sich eine Ranch kaufte und darauf ein Haus bauen wollte, fast ruiniert. Nun, London konnte sich durch den Hausbau nicht ruinieren und Proulx war am Ende ebenso davor gefeit. Vielmehr entstand ein leicht zu lesendes Buch, welches einen Lebensabschnitt der renommierten Autorin zu dokumentieren versucht. Mit diesem Anspruch der Dokumentation oder der Erinnerung kommt das Buch nicht an die komplexen und intensiven Beschreibungen vorangegangener Erzählungen und Romane der Autorin heran. Doch ist es ein Stück Literatur, das auch gesellschaftskritisch ist, weil es typische Lebensläufe im westlichen Kapitalismus kontrastiert. Die Memoiren propagieren einen starken Rückzug in die Natur und kritisieren die ,eurowestliche‘ Kalendereinteilung der Menschen: Jahreszeiten werden hier mehr gefühlt als benannt. „Ein Haus in der Wildnis“ ist ein wunderbar geschriebenes, naturverbundenes Buch, das nocheinmal klar macht, warum Proulx zu Recht mit so vielen Preisen ausgezeichnet wurde.

Titelbild

Annie Proulx: Ein Haus in der Wildnis. Erinnerungen.
Übersetzt aus dem Englischen von Melanie Walz.
Luchterhand Literaturverlag, München 2011.
280 Seiten, 21,99 EUR.
ISBN-13: 9783630872483

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