Auf dem Weg zu einer kritischen Theorie der Gerechtigkeit

Bernd Ladwig erläutert in seinen „Gerechtigkeitstheorien“ den Zusammenhang zwischen Gleichheit und Gerechtigkeit

Von Esther MenhardRSS-Newsfeed neuer Artikel von Esther Menhard

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In Bernd Ladwigs Abhandlung zum Thema „Gerechtigkeitstheorien“ kommt die Frage auf, wie eine kritische Theorie der Gerechtigkeit aussehen könnte, die „umsetzbare Vorschläge zur Veränderung unserer Welt macht“. Mit dieser offenen Frage schließt er seine Überlegungen ab. Er gelangt zu diesem Punkt, nachdem er im ersten Teil, den Gegenstand seiner Erörterung begrifflich und thematisch expliziert und eingrenzt, um im zweiten Teil die einzelnen Positionen der gegenwärtigen philosophischen Debatten zum Thema „Gerechtigkeit“ zu skizzieren.

Er orientiert sich daher zunächst an der grundlegenden Unterscheidung des Aristoteles zwischen der verteilenden und der ausgleichenden Gerechtigkeit. Ihre Beachtung legt er jedem ans Herz, der sich mit dem Thema weiter befassen will. Das sachliche Zentrum des Buches bilden ausgehend von dieser Unterscheidung zwei Behauptungen, die Ladwig als Leitfaden dienen. „Gerechtigkeit ist zuerst eine Sache gerechter Verteilung. [1] Eine gerechte Verteilung ist gleichbedeutend mit recht verstandener Gleichheit. [2]“ An diesen Formulierungen wird deutlich, dass auch Ladwigs systematische Darstellung des Begriffes der Gerechtigkeit, der verschiedenen Typen und ihrer Bereiche, wie die meisten vor allem gegenwärtigen Entwürfe von Gerechtigkeitstheorien selbst, nicht ohne den Begriff der Gleichheit beziehungsweise ihrer Erörterung auskommt. Er betont in seinen Ausführungen den begrifflich begründbaren Zusammenhang zwischen Gerechtigkeit und Gleichheit, ohne darin zu verfallen, diese beiden gleichzusetzen.

Diesen Zusammenhang verdeutlicht er beispielsweise an der Gerechtigkeitstheorie von John Rawls. In seinem bekannten Werk „Theorie der Gerechtigkeit“ entwickelt er eine Vertragstheorie. Ausgehend von dem Gedankenexperiment eines Urzustandes gewinnt Rawls zwei Grundsätze der Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichheit. Anhand dieser beiden Aspekte rekonstruiert Ladwig die Positionen des Utilitarismus, des Liberalismus beziehungsweise Libertarianismus, Egalitarismus. Die besprochenen Autoren sind unter anderen Robert Nozick, Michael Walzer, Ronald Dworkin, Amartya Sen und G. A. Cohen. Gefragt wird nach dem Wert und der Theorie des Eigentums, den Ressourcen und den Verteilungskriterien. Einer der Hauptkonflikte, den Ladwig aufgreift, ist der um die Form eines Sozialstaates. Die einzelnen Theorien werden in Bezug auf diese Debatte als Befürworter oder Gegner eines Sozialstaates etikettiert.

Letztlich verficht Ladwig in seinem Buch die „Idee globaler Verteilungsgerechtgkeit“ gegen libertarianische Auffassungen, die im Wettbewerb des Marktes ein Medium der Verwirklichung der menschlichen Freiheit sehen. Sie beanspruchen für sich, die dadurch entstehende Ungleichheit mit dem Prinzip der Gerechtigkeit vereinbaren zu können. Ladwig zeigt unermüdlich, dass dies nicht möglich ist.

Die Schwierigkeit einer jeden systematischen Darstellung, wie sie auch Ladwig unternimmt, sowie einer jeden Untersuchung der Gerechtigkeit und ihrem Begriff liegt darin, sie von anderen verwandten Gebieten der praktischen Philosophie abzugrenzen. Ladwig handhabt diese Schwierigkeit mit Leichtigkeit. Er macht stellenweise auf Berührungspunkte zu anderen Gebieten wie dem der Menschenrechte aufmerksam, ohne in diese abzugleiten.

Ladwigs Buch ist eine Aufforderung an den Leser, seine Gedankengänge und Rekonstruktionen bekannter Argumentationen nicht bloß nachzuvollziehen. Es ist eine Anregung, sich selbstständig einen Überblick über die verschiedenen Theorien zu den Themen Gerechtigkeit und Gleichheit zu verschaffen oder sich eingehender mit einzelnen auseinander zu setzen. Dabei spricht Ladwig stets moralische Intuitionen an, die als erster Anstoß des Zweifels schließlich dazu führen sollen, eine Theorie genauer unter die Lupe zu nehmen. Ausdrücklich ist sein Buch an neugierige Menschen gerichtet, die keine philosophischen Vorkenntnisse zum Thema mitbringen müssen. Seine klare, unprätentiöse Art zu formulieren, machen ein Verständnis seiner Ausführungen sehr leicht und ermutigen zu eigenen Überlegungen. Ladwig versteht es, die theoretischen Überlegungen und Einwände anhand naheliegender Beispiele lebhaft zu erläutern. Daneben ist die Gliederung des Buches so gestaltet, dass sich Neulinge schnell in das Thema einfinden können und diejenigen, die bereits Vorkenntnisse haben, einfach selektiv lesen können. Das Buch ist keine erschöpfende Darstellung, sondern eine Einführung, die eine erste Orientierung beziehungsweise einen lockeren Überblick geben kann.

Titelbild

Bernd Ladwig: Gerechtigkeitstheorien. Zur Einführung.
Junius Verlag, Hamburg 2011.
253 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783885066934

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