Begabung zur Blasiertheit

Henry Louis Mencken in ausgewählten Aphorismen und Feuilletons

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Ich schlage vor, daß man alle Professoren der Pädagogik aufhängt, daß man die Lehrerinnen mit Rohrstöcken bewaffnet und sie auf die Menschheit loslässt. Zurück zu Bach!"

Nicht Johann Sebastian, dem die Feiern des internationalen Bach-Jahrs gelten, ist hier gemeint, sondern Alexander Bach, der österreichische Justizminister, der durch ein ausgeklügeltes System die Bürokratie effizienter zu machen suchte. Wenn Henry Louis Mencken, der amerikanische Kulturkritiker und Essayist, diesen Bach im Munde führt, dann kann das nur als sarkastische Volte gegen eine Sozialordnung verstanden werden, deren unerreichbares Ziel es ist, die Gesellschaft insgesamt vom Segen der Zivilisation zu überzeugen und sie mit den Mitteln der Einsicht und der Vernunft zu bändigen.

An mögliche Erfolge dieser Unternehmung glaubte Henry Louis Mencken (1880 - 1956) nicht. Es ist überhaupt die Frage, woran er wirklich glaubte. Soll man etwa annehmen, dass er von der Überlegenheit der Frau über den Mann überzeugt war, wie er in seinen Feuilletons und Glossen immer wieder beteuert hat? Oder von der Schönheit der Todesstrafe, deren Vollzug er gern und oft und aufmerksam begleitete? In seiner Eigenschaft als Zeitungsreporter ist Mencken auf diesem schönen Sachgebiet geradezu zum Experten geworden, und der Tod durch den Strang scheint ihn besonders deshalb begeistert zu haben, weil er in ihm eine "humane Methode" sah, die ohne "unnötigen körperlichen Schmerz oder psychische Qualen" vonstatten gehe. Mit Hingabe beschrieb er den Henkers-Knoten und das reibungslos laufende Seil im metallenen Ring: "Ein Verbrecher, der von einem kompetenten Henker hingerichtet wird, zeigt keinerlei Zeichen des Leidens. Er fällt geradewegs durch die Falltür, und wenn er zum Stillstand kommt, bleibt er reglos hängen. Es gibt keinen Todeskampf. Nach einer Weile zieht er die Beine ein wenig an, aber nicht heftig. Das Herz klopft noch zehn oder zwölf Minuten lang weiter, allmählich schwächer werdend, aber das Bewusstsein stirbt ohne erkennbaren Schmerz."

Henry Louis Mencken ist bei uns ein Unbekannter und in Amerika eine Institution. Sein umfangreiches Werk gehört in den USA zum festen Bestand jeder besseren Universitäts-Bibliothek. Sein böser Witz, sein virtuoser Stil beeindrucken seine Leser noch heute, achtzig Jahre nach seiner Haupt-Schaffenszeit. Der jugendliche Erzähler Tristan Egolf zum Beispiel, der gerade mit seinem Romandebut "Monument für John Kaltenbrunner" den deutschen Literaturmarkt erobert, zählt Mencken - neben Céline - zum wichtigsten Einfluss seiner literarischen Arbeit. Nun hat der Insel Verlag eine schmale Auswahl von Menckens Aphorismen, Feuilletons und Essays herausgebracht.

Es gibt eigentlich nur eine Frage, die sich bei der Lektüre aufdrängt: Meint es Mencken so, wie er es sagt? Denn zur auffälligen Parteinahme für die Todesstrafe gibt es eine schöne Coda, die uns zweifeln lässt: "Wenn ich endlich das Schafott besteige, werden dies meine Abschiedsworte an den Sheriff sein: 'Sag über mich, was du willst, wenn ich tot bin, aber vergiss nicht, fairerweise hinzuzufügen: er hat sich nie zu irgend etwas bekehren lassen.'"

Es wäre sicher verfehlt, von diesem einzigen Zitat darauf schließen zu wollen, dass Mencken an nichts und niemanden geglaubt habe, nicht einmal an den Tod durch den Strang. Doch es ist ein Gestus in seiner Prosa spürbar und erfahrbar, der ganz vehement an die Tendenz der verschiedenen literarischen Strömungen der Frühen Moderne erinnert, sich in Manifesten zu äußern, in Manifesten, die streng genommen Anti-Manifeste waren und sich zu gar nichts bekennen. Walter Serners "Letzte Lockerung" (1918) ist ein Beispiel dafür, ein wilder Text in Traktatform, der in dieselbe Aufbruchszeit fällt, der von extremen Bekenntnissen und Positionierungen nur so wimmelt, aber sie sogleich wieder zurücknimmt und relativiert. Mencken verfährt ähnlich wie Serner und doch wieder ganz anders: Erst die Fülle seines wahrhaft reichen und umfangreichen essayistischen Werkes lässt erkennen, wie seine Stellungnahmen zu verstehen sind, nämlich als uneigentliche, ironische Sprechweisen. Mencken versteht sich, darin der literarischen Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts vergleichbar, als Bürgerschreck, als jemand, der sich bewusst extreme Überzeugungen zu eigen macht, um sie als komplett haltlos und unsinnig vorzuführen.

Komplett haltlos und unsinnig? Der hohe intellektuelle Rang dieses Autors, seine Gelehrsamkeit, sein breit gestreutes Interesse an allem, was die Moderne hervorgebracht hat, sprechen wiederum gegen diese Lesart und für ihr Gegenteil: Auch die "Begabung zur Blasiertheit" ("die wertvollste Gabe, die ein Mensch auf dieser Welt besitzen kann") wäre ohne den pädagogischen Eros, wie er im Eingangszitat zum Ausdruck kommt, verschenkt. Helmut Winter, der diese Auswahl besorgt hat, bezeichnet Henry Louis Mencken denn auch zurecht als großen Moralisten. Man muss ihn nur zu lesen wissen.

Titelbild

Henry Louis Mencken: Gesammelte Vorurteile.
Insel Verlag, Frankfurt 2000.
160 Seiten, 17,40 EUR.
ISBN-10: 3458170405

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