Audiovisuelle Medien im digitalen Zeitalter

Der Sammelband „Blickregime und Dispositive audiovisueller Medien“ überzeugt mit soliden Beiträgen

Von Andreas HudelistRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andreas Hudelist

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nicholas Mirzoeff, Professor für Medien, Kultur und Kommunikation an der New York University, schreibt, dass unser heutiges Leben grundsätzlich aus visuellen Eindrücken besteht. Auch wenn dabei noch andere Sinneswahrnehmungen eine Rolle spielen, sind das Auge und der Blick in der Wahrnehmung bestimmend. Selbst die in den 1990er-Jahren gestartete Debatte um den von W. T. J. Mitchell geprägten „pictorial turn“ und von Gottfried Böhm verwendeten „iconic turn“ – die bis zum heutigen Tage andauert – zeigt die Kontroversen innerhalb der Bildwissenschaften oder visual studies. Fern ab der Diskussion um die treffende Bezeichnung ist man sich einig, dass Bilder oder die visuelle Kultur unser Leben maßgeblich beeinflussen.

Die Herausgeber von „Blickregime und Dispositive audiovisueller Medien“ schreiben in ihrer Einleitung über die Schwierigkeit Medien generell zu definieren. Sie verweisen bereits hier, dass Medien im Laufe der Zeit immer einem Wandel unterliegen und dadurch Veränderungen geschehen können, jedoch nicht müssen. Der Wandel ist nämlich keine zu bestimmende Konstante der Medien.

So schreibt Georg Christoph Tholen in seinem eigenen Beitrag „Auge, Blick und Bild“ über die Topologie des Imaginären und der damit verbundenen neuen Imaginationskraft, die als veränderbar gilt und spätestens seit den „Neuen Medien“ neu verhandelt werden müsse. Die Schnittstelle zwischen Mensch und Medium bleibt vorhanden. So schreibt er der Imagination, die durch die ständige Weiterentwicklung der Technik eine Schubkraft erfährt, ein enormes Potential zu.

In „Memento“ beschäftigt sich Michael Mayer neben dem Bereich des Todes mit der Imaginationskraft, nämlich an der Schnittstelle zwischen Fotografie und Film. Ihn interessieren dabei die Filme „Das grüne Zimmer“ von François Truffaut und „Smoke“ von Wayne Wang. Mit Hilfe der Beispiele zeigt Mayer, dass wir in der Lage sind, Tote anzusprechen, also mit ihnen und nicht nur über sie zu kommunizieren. Hier liegt auch der Vergleich mit den Bildern nahe, die uns tot erscheinen, jedoch uns mehr anblicken als sich anschauen lassen. Schlussendlich stellt sich die Frage, wenn das Bild sieht – was bedeutet dies für das Bild selbst und unseren Umgang damit?

Intermedialität als Wahrnehmungsmodus beschäftigt Julia Pfahl in ihrem Beitrag über das Theater. Dabei beschreibt sie Intermedialität als Irritation bestehender Wahrnehmungserfahrungen. An Hand der Inszenierung von Lipsynch des Theaterregisseurs Robert Lepage zeigt sie, was man unter Intermedialität im Theater verstehen kann und warum das Medium Theater mehr als andere Medien intermedial sein muss, um das Interesse der Zuschauer zu erwecken. Dabei entwickelt sich die Intermedialität nicht durch den Einsatz verschiedener Medien, sondern in der dramaturgischen Thematisierung der eingesetzten Mittel.

Über „Das Bild und das Sichtbare und das Serielle“ schreibt Film- und Fernsehwissenschaftler Oliver Fahle. Ihn beschäftigt die Schnittstelle zwischen der Evolution des Bildes und die historische Entwicklung von Einzelmedien im Zusammenhang der Bild- und Medientheorie. So sind Charakteristika des Neofernsehens denen von Bildern ähnlich, wenn nicht gleich. In neueren Fernsehserien zeigt sich Serialität als Hauptcharakteristikum, wodurch sich eine Fankultur im Gegensatz zum herkömmlichen Fernsehen herausbildet. Diese ist vom Seriellen geprägt, deshalb ist es notwendig, die ästhetische Dimension des Fernsehens stärker zu beleuchten und wissenschaftlich zu erforschen.

Ebenso mit dem Fernsehen befasst sich Nadja Elia-Borer, die in ihren „Televisuellen Blickstrategien“ darstellt, wie das Fernsehen Themen zeigt, die nicht nur aktuell und innovativ sind, sondern auch personalisiert werden können. Das bedeutet, dass im Fernsehen dadurch ein audiovisueller Schauplatz entsteht, „in dem kollektive Funktionen und spezifische Wahrnehmungsmodularitäten zur Verfügung gestellt werden“. Damit wird den Zuschauern suggeriert, dass es sich nicht um „normales“ Fernsehen handelt und sich dahinter noch mehr verbirgt. Erkennbar ist dies an den vielen Versuchen, die ZuschauerInnen etwa per Abstimmung zu einer aktiven Teilnahme zu bringen. Dadurch entstehe ein intermedialer Austausch, der zum Nachdenken anregt, ob dieser zum Teil nicht schon vor dem war, was man „Neue Medien“ nennt.

Im Aufsatz „Fernsehen als fortwährendes Experiment“ schreiben Judith Keilbach und Markus Stauff darüber, dass sich das Fernsehen seit seiner Einführung stark verändert hat. Viele der aktuell geführten Diskussionen sind jedoch bereits schon geführt worden und die prognostizierten radikalen Umbrüche haben sich bis heute nicht vollzogen. Somit ist „klassisches“ und „neues“ Fernsehen nicht abgrenzbar. Vielmehr gilt es die fortwährende Veränderung des Fernsehens zu untersuchen.

Über die mediale Kolonisierung von Politik schreibt Samuel Sieber. Der Begriff des Dispositivs soll dabei auf Einzelmedien angewendet werden. Dabei können einzelne Medien in ihren Verschiedenheiten aber auch Medien als Konglomerate betrachtet werden. „Zur Politik medialer Dispositive“ heißt sein Beitrag, in dem er an Hand von Neuen Medien mögliche Dispositive diskutiert. Der Begriff Dispositiv interessiert Sieber nach Foucaults Definierung, aber auch Deleuzes Erweiterung in ein Geflecht (Individuierungsprozess der Subjektivierungslinien). Schlussendlich ist die Dekonstruktion von medialen oder medial geprägten Dispositiven enorm wichtig um deren Politiken freilegen zu können.

In „Mars-Viskurse“ ist Ralf Adelmann dekontextualisierten Bildern, die zur Popularisierung der Wissenschaft dienen, auf der Spur. In seinem Artikel untersucht er einen Aufsatz in der „Science“ und eine Sendung der Tagesschau. Darin gelangt er zum Schluss, dass sich die wissenschaftliche Aufbereitung der Bilder über den Mars und die Sendung der Tagesschau im Viskurs untrennbar miteinander verbunden sind. Erkenntnis und Faszination bilden hier keine Gegensätze, sondern vermitteln eine gemeinsame Wissensproduktion der populären Kultur und wissenschaftlichen Erkenntnis.

Insgesamt ist „Blickregime und Dispositive audiovisueller Medien“ ein facettenreicher Sammelband, der mit seinen Beiträgen transmediale Einblicke zwischen „alten“ und „neuen Medien“ hervorhebt. Schwerpunkte bilden dabei „Intermediale Dispositive, Dispositive der Theatralität, Blickregime und Intermedialität des audiovisuellen“ und „Intermedialität der Sag- und Sichtbarkeit“. Seit der Digitalisierung der Medien sammeln sich mehr und mehr Dispositive an, die in den verschiedenen Beiträgen benannt und analysiert werden. Eine Sammlung von spannenden und vielfältigen Aufsätzen, die überzeugen.

Titelbild

Georg Christoph Tholen / Samuel Felix Sieber / Nadja Elia-Borer (Hg.): Blickregime und Dispositive audiovisueller Medien.
Transcript Verlag, Bielefeld 2011.
341 Seiten, 32,80 EUR.
ISBN-13: 9783837617795

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