Dr. Blank und die traurig-lustigen Witwen

Über Mariana Lekys heiteren Trauerroman „Die Herrenausstatterin“

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Alles hätte gut und gern so weitergehen können, aber dann ist alles zerbrochen, was wie Blank später sagte, ein sicheres Zeichen dafür ist, dass es eben nicht so habe weitergehen können, auch wenn ich das geglaubt hatte“. So beginnt Mariana Lekys Roman „Die Herrenausstatterin“ unter der Kapitelüberschrift „Bis später“. Leky, 1973 in Köln geborene und mittlerweile in Berlin lebende Schriftstellerin, gelingt – nach „Erste Hilfe“ (2004) und dem Erzählband „Liebesperlen“ (2001) – mit ihrem zweiten Roman, der zwischenzeitlich auch als Hörbuch und als Taschenbuch-Ausgabe vorliegt, ein heiter-vergnüglicher, traurig-komischer, hintergründig-melancholischer, gut komponierter Text über das Leben, die Liebe und den Tod.

Die Ich-Erzählerin Katja, „von Montag bis Freitag“ Übersetzerin in einem „Großraumbüro“, wo sie „Gebrauchsanweisungen, Berichte, Broschüren und Beipackzettel, Werbetexte und besinnliche Sprüche und ab und zu ein Schild“ übersetzt, lernt den attraktiven Zahnarzt Jakob Wiesberg kennen: „Als mein damaliger Zahnarzt im Urlaub war, ging ich zu seiner Vertretung. Die Vertretung war Jakob, der damals noch Dr. J. Wiesberg hieß. In seinem Wartezimmer saß niemand nur mal so zur Kontrolle.“

Nein, es ist auch bei Katja nicht nur „mal so zur Kontrolle“. Zwar ist die Behandlung schmerzhaft, doch Jakob ist einfühlsam, erläutert und erklärt seiner Patientin viel und lobt: „;Sie ertragen das mit der Ruhe eines indischen Yogi.‘ Er sagte das alles ernst und leise, und spätestens jetzt wusste ich, warum Jakobs Wartezimmer so voll war. […] Tatsächlich war es gleich vorbei, und tatsächlich hatte niemand eine Ahnung davon, dass genau jetzt die Sache mit Jakob losging. Es ist ganz und gar normal und ganz und gar ungeheuerlich, dass man immer ahnungslos ist, wenn solche Sachen ihren Anfang nehmen. Nie hat man bei ihrem Losgehen eine Ahnung von ihrem Ausmaß und ihrer Wucht oder davon, was warum und wie lange schön oder schmerzhaft sein wird, und ich wünschte, ich wüsste, was gewesen wäre, wenn auf dem Schild über dem Behandlungsstuhl nicht Gleich ist es vorbei, sondern Jetzt geht es los gestanden hätte. Wenn dort Das ist Jakob, jetzt geht es los, und es wird sehr, sehr lange nicht vorbei sein, gestanden hätte. Und: Es wird schön, so schön, wie noch nie etwas war, und dann wird es schmerzhaft, wie noch nie etwas war, aber leider zu spät sein, um schnurstracks aufzuhören, wenn da gestanden hätte, was genau wie schön oder schmerzhaft sein würde“.

Die Übersetzerin Katja und Jakob, der schmerzstillende Zahnarzt, mit seinen zu trockenen Augen, weshalb er immer ein Fläschchen Tears again bei sich trägt, werden ein Paar: „Ich fragte Jakob, ob er mit mir zusammenwohnen wolle, Jakob lachte, legte den Arm um mich und sagte: ‚Gottbewahre‘. Dann blieb er stehen und räusperte sich. ‚Aber ich kann dir ersatzweise anbieten, dass wir heiraten‘“.

Also wird geheiratet („dann machen wir das“), ohne, dass das Paar zusammenzieht. Zur Hochzeit erhält das ungleiche Paar von Jakobs Lieblingstante einen kitschigen, oder wie sie meint, „ironischen“ ‚Zierflamingo‘ aus Porzellan, der im Garten – so die Hoffnung des Paares – schnell verwittern und dann kaputt gehen sollte. Es dauert allerdings einige Zeit, bis es dann soweit ist. Jakob ist inzwischen doch zu Katja gezogen, schläft allerdings die meiste Zeit im Zelt im Garten: „Plötzlich brach der Hals durch, plötzlich brachen der Schnabel und ein Flügel ab, einfach so und ohne Fremdeinwirkung. […] Ich lief auf den Balkon, schaute hinunter in den Garten und fang an zu lachen. Ich lachte so lange, wie ich noch nie gelacht hatte“.

Zerbricht das Hochzeitsgeschenk ganz plötzlich, so beginnt die Krise zwischen Jakob und Katja schleichend: „Jakobs Verschwinden begann langsam und damit, dass ich ihn nicht mehr richtig sehen konnte. Jakob verschwamm.“ Die Trennung erfolgt just in dem Moment, als Katja sich einer Augen-OP unterziehen muss und gar nichts mehr sieht: „Wir schwiegen um das Verschwiegene herum und waren angeschlagen davon, wie man von einer unbehandelten Zahnwurzelentzündung angeschlagen ist, das ganze Immunsystem ist dann mit dieser einen Entzündung beschäftigt und hat weder Zeit noch Kraft für den Rest des Körpers übrig.“

Jakob, der seit eh und je halbe Nächte nicht zuhause war und sich abends immer mit dem Spruch „bis später“ verabschiedet hat, verlässt Katja wegen einer Geliebten. Kurz darauf stirbt er an den Folgen eines Autounfalls. Über den doppelten Verlust kommt Katja nicht hinweg. Tears again kommen Katja nicht. Sie kapselt sich in ihrer Trauer ein, wird depressiv, isst und schläft nicht mehr, verliert ihren Job, versteinert regelrecht.

Da taucht fast ebenso plötzlich der verstorbene Nachbar, der Altphilologe Dr. Friedrich Blank, auf – vielleicht ein entfernter „Verwandter“ jenes Mr. Blank in Paul Austers „Skriptorium“? Dieser Dr. Leer ist in seinem schwarzen Anzug mit weißem Hemd und schwarzer Krawatte nur für die junge Witwe sichtbar. Er päppelt Katja mit Astronautennahrung auf, hat es aber als Wiedergänger auch nicht leicht, ärgert er sich doch über seine Frau, eine Herrenausstatterin, die bereits zu seinen Lebzeiten recht lebensfroh war und sich erst recht nach seinem Ableben in eben keine allzu große Trauer gestürzt hat. Allerdings verbleiben Blank nicht mehr viele Tage, werden doch in ihm die Löcher immer größer. Zudem macht sich auch noch der skurrile Feuerwehrmann Armin – ähnlich wie Zieliniski in Nina Jäckles gleichnamigem Roman im Leben Schochs – in Katjas Leben breit. Der Kleptomane, der alte Karatefilme über alles liebt, schwängert die junge Witwe. Am Meer – ähnlich wie bei Jäckle – endet die Geschichte. Dr. Blank – wie Herr Adamson in Urs Widmers gleichnamigem Roman – stirbt am Ende mit den Worten: „Und jetzt“. Zuvor allerdings hinterlässt er Katja eine Liste mit 20 Punkten als Lebensleitfaden.
„Ich habe immer geglaubt, das Leben sei eine Einladung mit Tischkärtchen. Als müsste man sich, schon aus Gründen der Höflichkeit, auf den Stuhl setzen, der einem zugewiesen wird, auch wenn es am anderen Ende des Tisches viel lebhafter zugeht. Ich möchte Ihnen sagen: Das ist ein Irrtum. Es ist eine Einladung mit freier Platzwahl“, lautet Nr. 17 von Blanks hinterlassener Liste.
Und am Ende unter Nr. 20 verspricht Blank: „Ich wünschte, ich könnte sagen: Bis später. Ich hole Sie ab.“

Titelbild

Mariana Leky: Die Herrenausstatterin. Roman.
DuMont Buchverlag, Köln 2010.
208 Seiten, 18,95 EUR.
ISBN-13: 9783832195779

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