ottos mops tot

über die jandl-werkschau und einen gleichzeitig unfreiwilligen nachruf "aus dem wirklichen leben"

Von Timo KozlowskiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Timo Kozlowski

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

man möchte es durchaus ironisch nennen. von ernst jandl sind noch relativ kurz vor seinem tod im juni dieses jahres mehrere anthologien und monographien erschienen; von der zehnbändigen werkausgabe aus dem Jahr 1997 ganz zu schweigen. eine dieser sammlungen hat klaus siblewski zusammengetragen. sie trägt "aus dem wirklichen leben". muß man zu ernst jandl noch etwas sagen respektive schreiben? eigentlich möchte man dem leser dieser zeilen zuraunen, doch lieber gleich zu Jandls Texten selbst zu greifen.

natürlich kennt man jandl in erster linie von seinen gedichten. fast kein lesebuch ohne ein jandl-gedicht, meist "ottos mops" oder das "bestiarium". die kalauer und seine knappe, äußerst präzise sprache waren es, die - zusammen mit jandls knallender vortragsweise, die der dichter auch auf etlichen schallplatten veröffentlicht hat - den wiener gymnasiallehrer ende der 1950-er und anfang der 1960-er als sprachwitzigen lyrik-kauz bekannt gemacht haben.

weniger bekannt sind die gedichte von jandl, die nicht kalauern, und das sind nicht wenige. vor allem sein spätwerk ab ende der 1970-er,in dem dann melancholische sprecher erscheinen, die mit den widrigkeiten des alters zu kämpfen haben. in dem gedichtzyklus "tagenglas" findet sich beispielsweise folgendes Poem:

grab des

die haben zudecken
ein erden für alle
steifen nicht mehr haben
selber sein steifer

klaus siblewski hat sich bei der auswahl der texte an jandls biographie orientiert. den anstoß dazu hat er durch zwei ereignisse erhalten. zum einen hatte jandl bei der vorstellung seiner "poetischen werke in 10 bänden" die persönlichen umstände, die bei seinen gedichten eine wichtige rolle gespielt haben, ausführlich erläutert, zum anderen hatte er anfang 1999 für einen leseabend in salzburg nur gedichte zusammengestellt, in denen es um ihn selbst ging. siblewskis zusammenstellung ist durchaus exquisit zu nennen, denn erfreulicherweise hat er keine kompilation der bekanntesten jandl-verse versucht; eine repräsentative auswahl ist allerdings auch nicht entstanden. jandl hat gedichte mit autobiographischen bezügen vor allem seit mitte der 1970-er jahre verfasst, und auf diesem zeitraum liegt auch der schwerpunkt von siblewskis auswahl. die bekannten laut- und sprechgedichte der 1960-er jahre sind hier in der minderzahl. aber wie schon angedeutet: das muss kein manko sein, eher im gegenteil. gerade die weniger bekannte seite in jandls schaffen ist es durchaus wert entdeckt zu werden. auf lyrik hat sich siblewski ebenfalls nicht beschränkt, sondern auch das (fast gänzlich unbekannte) prosaische und dramatische werk berücksichtigt.

eine im großen und ganzen hervorragende auswahl hat siblewski getroffen. im einzelfall kann man sicherlich daran mäkeln, dass zwischen den einzelnen prosatexten große überschneidungen bestehen, und bei den kurzdramen kommt nicht immer heraus, worin jetzt die beziehung zu jandls leben bestehen soll, gleichwohl erhellen sich die einzelnen texte des bandes gegenseitig.

aus dem wirklichen leben ist ernst jandl nun ausgeschieden; als "aus dem wirklichen leben" herausgekommen ist, da hat er noch gelebt. viel zeit ist seither nicht verstrichen, und so kann dieser band als hommage und nachruf gelten. Eine schöne geste für einen großen dichter.

Titelbild

Ernst Jandl: aus dem wirklichen leben. gedichte und prosa.
Zusammengestellt von Klaus Siblewski.
Übersetzt aus dem ## von ##.
Luchterhand Literaturverlag, München 1999.
182 Seiten, 16,40 EUR.
ISBN-10: 3630870414

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