„The Writing Beatle!“

John Lennons Erstling „In seiner eigenen Schreibe“, unzureichend runderneuert in einer Überarbeitung der deutschen Fassung durch Karl Bruckmaier

Von Friedhelm RathjenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Friedhelm Rathjen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Um dieses Buch in seiner ganzen ursprünglichen Sprengkraft würdigen zu können, müssen wir eine kleine Zeitreise antreten und fast ein Halbjahrhundert in die Vergangenheit springen. 1963/64 gab es so etwas wie Pop-Literatur noch nicht einmal ansatzweise. Der Gedanke, Popmusiker könnten Bücher schreiben, wäre an Verwegenheit kaum zu übertreffen gewesen; andersherum wäre es damals noch keinem ernsthaften Literaten eingefallen, einen Roman mit Zitaten aus Rocksongs aufzumotzen oder womöglich eine Beatband namentlich zu erwähnen. Popmusik und Literatur waren zwei völlig getrennte Welten, letzteres eine ernsthafte Angelegenheit für ein erwachsenes Publikum, ersteres eine Spielwiese für zwanzigjährige Krakeeler, die von Fünfzehnjährigen angehimmelt wurden. Die Generationengrenzen waren noch sauber intakt, keine Oma wäre mit ihrer Enkelin in ein Stadionkonzert gegangen, selbst wenn es dergleichen damals schon gegeben hätte; niemand, der über Mitte zwanzig hinaus war, sah in Popmusik etwas anderes als dumpfes Gelärme – oder vielleicht noch eine Geldquelle, wenn man in der glücklichen Lage war, den kommerziellen Mehrwert des jugendlichen Unfugs abschöpfen zu können.

Aus Amerika, wohl wahr, nölte schon Bob Dylan seine Lieder in die Welt, aber Dylan war erstens nicht eingängig genug, um von Pophörern wahrgenommen zu werden, und zweitens noch im Traum nicht jemand, den die Literaturwelt in ihre Sphäre eingelassen hätte. John Lennons Ambitionen beim Texten von Beatles-Songs begnügten sich mit dem Niveau von Zeilen wie: „I wanna be your lover baby / I wanna be your man“; oder wenn er sich ganz viel Mühe gab: „You know you made me cry / I see no use in wondering why / I cry for you.“

So sah’s 1963 aus, als der renommierte Londoner Verlag Jonathan Cape mit John Lennon Fühlung aufnahm, um mit ihm einen Buchvertrag zu schließen, und so sah es am 23. März 1964 aus, als das Buch bei Cape und zeitgleich bei Simon & Schuster in New York erschien: „In His Own Write“, eine Sammlung von 23 kurzen Prosatexten und acht Gedichten, ergänzt um 26 Zeichnungen des Autors. Ein Aufkleber mit den Worten „The Writing Beatle!“ auf dem Cover fasste die Sensation in Worte; in Großbritannien sollen nach zweifelhaften Angaben am ersten Tag 50.000 Exemplare verkauft worden sein, innerhalb von zehn Monaten jedenfalls gingen 200.000 Stück über die Ladentheken, woraus man ableiten könnte, dass das Erscheinen des Buchs wohl doch eher ein Pop- als ein literarisches Ereignis war.

Doch das war es eben nicht. Die großen britischen Zeitungen brachten ausführliche und teils hymnische Rezensionen über das Buch, verfasst von mehr oder weniger renommierten Literaturkritikern. Damit war Lennon von einem Tag auf den anderen als Literat etabliert. Das Spielchen wiederholte sich ein Jahr später bei Erscheinen seines zweiten Buches „A Spaniard in the Works“, dessen Rezension von der „New Republic“ einem der seinerzeit namhaftesten englischen Schriftsteller übertragen wurde, nämlich John Wain, der sich völlig begeistert gab und auf der Suche nach Vergleichsgrößen gleich in die alleroberste Schublade griff: „Jeder literarisch Gebildete wird beim Lesen von Mr. Lennons Buch sogleich bemerken, dass alles einer Quelle entstammt, nämlich dem Spätwerk von James Joyce. Nicht nur die Entschlossenheit, fast vollständig in Wortspielen zu kommunizieren, sondern auch der ebenso entschlossene schmutzige, blasphemische und subversive Ton ist typisch für Joyce.“

Diese Zeilen wiederum blieben dem Fachorgan „James Joyce Quarterly“ nicht verborgen, in dessen nächster Ausgabe Wains Rezension referiert und dann gleich auch noch verraten wurde, dass Lennon Abonnent des „James Joyce Quarterly“ war. Damit galt ein direkter Einflusszusammenhang zwischen Joyce, dem Meister der ambitioniertesten und intellektuellsten literarischen Techniken überhaupt, und dem jungspundigen Ulktexter Lennon als etabliert.

Erklärbar ist das alles vielleicht mit der allumfassenden Euphorie der 1960er-Jahre, speziell in England, die es bald möglich machte, komplette Weltbilder im Monatstakt auszutauschen.

Im Rückblick von heute aus dürfen wir den Übereifer ruhig ein bisschen bremsen. Wenn John Lennon seinerzeit Bezieher von Joyce-Sekundärliteratur war, so lässt das auf eine vorübergehende Neugier schließen – Lennon wollte selbst nachschauen, mit wem seine Kritzeleien da von übers Ziel hinausschießenden Lobhudlern verglichen wurden –, aber es ist höchst unwahrscheinlich, dass Lennons damalige Texte tatsächlich von Joyce beeinflusst waren. Der einzige literarische Autor, der wirklich auf Lennons Schreibe abgefärbt hat (auch auf den einen oder anderen Beatles-Songtext), ist Lewis Carroll, dessen „Alice“-Bücher Lennon eingestandenermaßen früh kannte. Carrolls Tricks, die Logik durch Überdrehung außer Kraft zu setzen, sprachschöpferisch zu spielen und das alles mit bizarren Einfällen zu verbinden, müssen bei Lennon schon früh auf einen fruchtbaren Nährboden gefallen sein. Bereits als Schüler schrieb und kritzelte Lennon ulkige und satirische kleine Werke, die er in einem Schulheft sammelte und mit denen er unter dem Titel „The Daily Howl“ seine Mitschüler beglückte; später ließ er kleine Nonsens-Texte voller Wortwitz und Albernheiten regelmäßig in der Liverpooler Musikpostille „Mersey Beat“ abdrucken – viele dieser Textchen gingen dann in sein erstes Buch ein.

Lennon ist kein zweiter Lewis Carroll, seine Texte sind bei weitem nicht so penibel geplant wie die des Oxforder Mathematikdozenten, sondern zumeist assoziativ aus Augenblickseinfällen heraus entstanden. Dabei sind sie eher auch anarchischer, wilder, obszöner und subversiver als alles, was ein Carroll schrieb. In Lennons Texten verbindet sich – im besten Fall unter gegenseitiger Befruchtung – pueril-pubertärer Klamauk mit der Tradition englischer Nonsens-Dichtung, und dies unter Vermittlung durch den erfrischenden, halsbrecherisch-virtuosen Einsatz von Kalauern, Sprachspielen und Wortwitzen. Ohne die britische Tradition von Nonsens-Dichtung und literarischer Komik hätte es Lennon als Buchautor vermutlich nicht gegeben; und ohne diese Tradition hätte die literarische Welt über seinen Erstling wahrscheinlich doch nur die Nase gerümpft. Gerade die frühen 1960er-Jahre waren für ein solches Buch wohl günstig, denn eben hatte man in England den abstrus-komischen Iren Flann O’Brien wiederentdeckt, und B. S. Johnson veröffentlichte die ersten seiner auf bizarre Weise experimentellen Romane. (O’Brien und Johnson waren jedoch keine Beatles und mussten sich deshalb mit weit weniger Aufmerksamkeit begnügen.)

Ganz anders sah es in Deutschland aus, wo eine vergleichbare Nonsens-Tradition fehlte und es auch in der aktuellen literarischen Entwicklung keine Anknüpfungspunkte gab – das literarische Establishment blockierte beispielsweise noch Ernst Jandls Publikationsversuche, und auch Arnold Hau, die fiktive Figur der Neuen Frankfurter Schule, war noch nicht auf der Szene erschienen. Einer der Erfinder von Arnold Hau immerhin, nämlich Robert Gernhardt, wurde in seiner Eigenschaft als „Pardon“-Redakteur und Lektor des Verlags Bärmeier und Nikel auf Lennons Erstlingsbuch aufmerksam und hatte eine geniale Idee. Anfang August 1964 schrieb er einen Brief an Arno Schmidt: „John Lennon ist einer der Beatles. Er hat – zu unserer Überraschung – ein sehr intelligentes und spaßiges Buch geschrieben, das für seine fans wohl unverständlich, für deutsche Liebhaber englischer nonsense-Prosa jedoch recht interessant wäre. […] Wir möchten ‚In his own write‘ gern in Deutschland herausbringen und haben die Option erworben. Es ist jedoch sicher, dass Lennons Bändchen im Buchhandel von vornherein mit Misstrauen betrachtet werden wird, eben weil ein Beatle nicht in eine seriöse Buchhandlung gehört. Dieses Misstrauen würde schwinden, wenn Sie dieses Buch übersetzten.“

John Lennon, übersetzt von Arno Schmidt – das wäre in der Tat bombig gewesen. Schmidt allerdings sagte postwendend ab mit der Ausrede, er habe zuviel Arbeit um die Ohren; Bärmeier und Nikel gaben die Option zurück, und so erschien „In seiner eigenen Schreibe“ 1965 im kleinen Verlag von Helmut Kossodo, der sich die Übersetzung der Texte mit Wolf Dieter Rogosky geteilt hatte.

Der deutsche Titel „In seiner eigenen Schreibe“ zeigt im Vergleich zum originalen „In His Own Write“ schon, wo das Problem der Kossodo-Rogosky-Übersetzung liegt. „In seiner eigenen Schreibe“ ist sowas wie die Sponti-Variante von „In eigenen Worten“, mehr nicht, der Sinn bleibt eindimensional; der Clou des Originaltitels hingegen ist das mitschwingende „In his own right“, Lennon spielt mit einem Doppelsinn, dem man sich im Deutschen vielleicht mit kalauernden Varianten wie „Lennon schreibchenweise“, „Diese Schreibe ist ein Hit“ oder „Nervenkritzel auf eigene Faust“ hätte annähern können. Wie dieses Beispiel illustriert, funktionieren solche Sprachtricksereien allerdings im Deutschen lange nicht so gut wie im Englischen, weil Phonetik und Semantik der deutschen Sprache wesentlich zackiger und weniger beweglich sind. Für John Lennons frei assoziierenden anarchischen Umgang mit dem Sprachmaterial deutsche Entsprechungen zu finden, die dem Original an Geschmeidigkeit wenigstens halbwegs gerecht werden können, wäre höllisch schwer und würde Übersetzer brauchen, die am laufenden Band geniale oder wenigstens brillante sprachspielerische Einfälle zu produzieren vermögen; von Kossodo und Rogosky kann man das bei allem unbestreitbaren Bemühen nicht behaupten. Dazu pars pro toto nur ein Beispiel. In dem Text „Liddypool“ steht der vertrackte Satz: „The Mersey Boat is selling another three copies to some go home foreigners who went home.“ Das will uns gar nicht so schwierig scheinen, aber Kossodos Lösung klingt ausgesprochen ungeschmeidig und auch unangemessen: „Der Mersey-Boat verkauft sich gut an ein paar Amis go home, die nach Haus gingen.“

Eine Neuübersetzung von Lennons Texten hätte man sich schon seit langem gewünscht, damit auch das deutschsprachige Publikum einmal erfährt, dass es hier um mehr und anderes geht als um eine Ansammlung von Sponti-Sprüchen. Leider handelt es sich aber bei der unlängst im Verlag Blumenbar erschienenen Neuausgabe nicht um eine echte Neuübersetzung, sondern lediglich um eine Überarbeitung der alten. Karl Bruckmaier hat die Kossodo-Rogosky-Fassung oberflächlich mal mehr und mal weniger beherzt nachpoliert, aus besagtem „Liddypool“-Satz macht er beispielsweise: „Der Mersey-Beat verkauft sich gut (drei Stück) an ein paar Amis-à-go-home, unterwegs nach Hause.“ Ein Quantensprung ist das gerade nicht, hier latscht einer alte Fußstapfen nur noch ein bisschen mehr aus.

Am meisten Aufwand hat Bruckmaier noch darauf verwandt, die Texte zu ‚aktualisieren‘, indem er Anspielungen auf mittlerweile vergessene Personen und Gegebenheiten durch heutige ersetzt – statt „Sepp Berserker“ wuselt nun „Maharishi Mahesh Löwi“ im deutschen Text herum, Lennons „Priceless Margarine unt Bony Armstrove“, von Rogosky in Gestalt von „Pfarrer Diba und Schah Rhesus Palaver“ eingedeutscht, ersetzt Bruckmaier durch „Stehpfann Raps“ und „Raff Zwickel“, anderswo stoßen wir jetzt auf „Bauernführer Sonnpleitner“ und „Geld wie Jauch“. Das ist ein bisschen so, als würden in Shakespeare-Übersetzungen Möllemanns finaler Fallschirmsprung oder Wulffs Abgang aus dem Präsidentenamt verbraten werden.

Nun ist, wohl wahr, John Lennon nicht gleich William Shakespeare. Dennoch sind die Qualitäten seines Erstlingsbuches in höherem Maße literarische, als das in der deutschen Fassung deutlich wird. Karl Bruckmaier freilich betont in einem kurzen „Nachklapp“ zur Blumenbar-Ausgabe eher das Gegenteil, stellt das Buch in den Kontext von „TWEN-Witzen“, Blödeltextern und jenen raren Kotzproben britischen Humors, die um 1970 die deutsche Fernsehunterhaltung aufzupeppen begannen. Wie willkommen Lennons Buch damals von der entsprechend sozialisierten deutschen Sprücheklopfer-Jugend aufgenommen wurde, bringt Bruckmaier im Rückblick auf seine eigene Prähistorie ganz gut auf den Punkt, unterstreicht aber indirekt damit auch, dass „In seiner eigenen Schreibe“ in Deutschland nie als literarisches Buch rezipiert wurde, sondern immer als Kuriosum aus den Randbezirken der Popkultur.

Entsprechend hemdsärmelig und ungenau ist der Umgangston. Lennon, Kossodo und Rogosky seien „alle drei leider jung verschroben“, witzelt Bruckmaier da herum und hämmert damit im Falle Kossodo meilenweit am Nagel vorbei (Helmut Kossodo, Jahrgang 1915 und mithin zur Zeit seiner Lennon-Übersetzung schon ein Fünfziger, starb 1994). Dieser groben Ungenauigkeit befleißigt Bruckmaier sich leider auch bei der Eindeutschung einer eigentlich recht instruktiven kleinen Einleitung von Jon Savage, geschrieben 1997 für einen englischen Paperback-Nachdruck und in der Blumenbar-Ausgabe nun deutsch in einer Übersetzung präsentiert, die so verfälschend ist, dass der Sinngehalt bisweilen auf den Kopf gestellt wird.

Auf eine nach literarischen Maßstäben angemessene Übersetzung von „In His Own Write“ warten wir also auch weiterhin, ebenso auf eine solche des zweiten (literarisch um eine Spur bemühteren) Lennon-Buches „A Spaniard in the Works“, dessen seinerzeitige Übersetzung durch Kossodo unter dem Titel „Ein Spanier macht noch keinen Sommer“ lang vergriffen ist und bitteschön nicht durch Bruckmaier ‚aktualisiert‘, sondern durch eine ambitioniertere Neufassung von versierterer Hand ersetzt werden sollte. Ein drittes Buch Lennons, das sein englischer Verlag für 1966 vorgesehen hatte, kam damals nicht mehr zustande, vielleicht weil der prosperierende Jungautor seine sprachspielerischen Fähigkeiten just zu jener Zeit doch endlich auf seine Texte für Beatles-Songs anzuwenden begann (dies jedoch nicht entfernt mit jener subversiven Frische, die „In His Own Write“ auszeichnet). Erst Jahre nach Lennons Tod erschien unter dem Titel „Skywriting By Word Of Mouth“ ein Buch mit den literarischen Texten, die er in seinen letzten fünfzehn Lebensjahren schrieb – Alan Poseners deutsche Fassung „Zwei Jungfrauen oder Wahnsinnig in Dänemark“, als Übersetzung weitaus ernstzunehmender als die Bemühungen Kossodos und Rogoskys, wurde 1993 bei Pendragon verlegt, ist allerdings nur noch antiquarisch (und dies für Apple & Eye) zu bekommen. Diese späteren Texte sind intellektueller als die frühen, spiegeln Lennons Entwicklung vom sprachspielerisch-naiven Spontantexter zunächst zum psychedelisch bemühten, dann zum Agitprop- und schließlich zum abgeklärt-relaxten Literaten. An die sprachassoziativen Qualitäten der spontan-absurden Texte von „In His Own Write“ reicht allerdings nichts von dem, was Lennon später mit ambitionierterem Anspruch zu Papier brachte, heran.

Titelbild

John Lennon: In seiner eigenen Schreibe.
Mit einer Einleitung von Jon Savage, einem Vorwort von Paul McCartney und einem Nachklapp von Karl Bruckmaier.
Übersetzt aus dem Englischen von Helmut Kossodo und Wolf D. Rogosky, Überarbeitung der deutschen Fassung durch Karl Bruckmaier.
Blumenbar Verlag, Berlin 2010.
88 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783936738766

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