Erfolglos scheitern

Zu André Hellers und Lukas Sturms Filminterview „Scheitern, scheitern, besser scheitern. Gert Voss im Gespräch mit Harald Schmidt“

Von Clemens GötzeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Clemens Götze

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt nur wenige Menschen, die von sich selbst sagen, sie seien geschwätzig, und denen man trotzdem gern zuhört. Der 1995 zum besten Schauspieler Europas gekürte Gert Voss ist einer von ihnen. Denn er gehört zu denjenigen, hinter deren Redequantität auch Substanz steckt. Man könnte meinen, dass ein Interviewpartner wie Harald Schmidt, dessen Eloquenz ja ebenso hinlänglich bekannt ist, für das Unterfangen eines solchen Gespräches eine Fehlbesetzung wäre, doch der Film beweist das Gegenteil.

Dieser im August 2010 in ungezwungener Atmosphäre in einem Haus am Gardasee entstandene Film ist allerdings kein Feature oder Biopic. Wer so etwas erwartet, wird enttäuscht sein. In der erfolgreichen Reihe der Filmedition Suhrkamp sind neben berühmten Literaturverfilmungen eben auch Interviewfilme mit Max Frisch, Heiner Müller, Thomas Bernhard oder Pierre Bourdieu erschienen und jüngst anlässlich des 70. Geburtstages jener mit dem Jahrhundertschauspieler Gert Voss.

Hier plaudert der Bühnenschauspieler Voss über seine Arbeit mit den Großen des Theaterbusiness, von Bondy bis Zadek, von Peymann bis Stein. Es fällt auf, wie entspannt das Verhältnis von Schmidt und Voss ist, fast so, als würde man sich schon Jahre kennen. So punktet Schmidt mit einem detaillierten Wissen um Biografie und Werk seines Interviewpartners sowohl beim Publikum als auch bei Voss selbst, während dieser in uneitler und wacher Manier eine Anekdote nach der anderen zum Besten gibt. Da ist es fast ein wenig schade, dass das ursprünglich vierstündige Gespräch auf knappe 80 Minuten zusammen geschnitten wurde. Dennoch erhielt der Film auf der Viennale eine Romy in der Kategorie „Bester Dokumentationsfilm“.

Man lernt darin durchaus etwas über die Arbeitsweise der Theaterlegenden George Tabori oder Peter Zadek, vor allem aber erfährt der Zuschauer, dass sich Gert Voss als Schauspieler ungeachtet seines herausragenden Talents immer wieder als Lernender empfunden hat. Dies zeigt freilich die Größe eines nach wie vor äußerst gefragten Akteurs, der etwa seit 2011 erneut in einem eher zu den schwächeren Dramen Thomas Bernhards zählenden Einpersonenstück alternierend in Wien und Berlin brilliert. Mit diesem Wissen ist es überaus spannend zu erfahren, dass die Karriere von Gert Voss beinahe wegen teils herber Kritik und daran geknüpfter Selbstzweifel früh geendet hätte. Da es Harald Schmidt hinsichtlich seiner Schauspielkarriere ähnlich erging, entwickelt sich im Gespräch ein höchst interessanter Faden aus unterschiedlichen Blickrichtungen auf den Beruf des Schauspielers, bei dem stets das Ziel der Unterhaltung eines Publikums im Vordergrund steht.

Der thematisch-inhaltlichen Dichte des Filmes, die zu keinem Zeitpunkt aufdringlich ist, steht eine eher bescheidene Optik entgegen. Vermutlich aus Gründen des Tones hat man das Interview ins Haus verlegt. Hier jedoch nicht in eine gemütliche Sitzgruppe, sondern an einen sterilen Esstisch. Dieses Szenenbild hat etwas von Beckmann, nur eben in weiß. Ästhetisch wäre durchaus ein anderes Konzept stimmiger gewesen, denn so vermittelt der Film rein optisch die Stimmung der Aufzeichnung eines Arbeitsgespräches vor oder nach einer Theaterprobe. Den Machern bleibt diesbezüglich jedoch zur Verteidigung zugute zu halten, dass auf diese Weise der formale Inszenierungsaspekt solcher Filminterviews weitgehend in den Hintergrund gedrängt und so den besprochenen Inhalten mehr Raum gegeben wird. Somit erfasst der Film das Wesentliche des Interviews – nämlich die transportierten Gesprächsinhalte – auf eine sehr einfache wie wirkungsvolle Weise. Eine Ausgewogenheit der Rede bekundet das Interesse beider Gesprächspartner. Man gewinnt sogar den Eindruck, Schmidt schwärme ein bisschen für Voss, was dieser jedoch tatsächlich bescheiden zur Kenntnis nimmt. Insofern findet man hier einen Film fernab der medial-inszenatorischen Keule, der trotzdem seine Wirkung nicht verfehlt. Vermutlich ist es gerade die Einfachheit, die diese Interviewsequenzen ausmacht.

Was im Titel des Filmes anklingt, nämlich das Scheitern, bleibt Anspielung auf ein Zitat, welches Tabori bei Beckett entlehnt hat. Denn von Scheitern kann weder bei Gert Voss noch Harald Schmidt die Rede sein. Beide scheitern gewissermaßen erfolglos. Was dieser Film hingegen deutlich zeigt, sind die Grenzen und Möglichkeiten solcher Interviews, insbesondere im Hinblick auf die filmischen Gestaltungsmittel. So wirken die Einblendungen als thematische Strukturierung und Szenenübergang stets ein wenig altbacken, weil man so etwas schon zu oft gesehen hat. Erfrischend hingegen ist die Entscheidung für die Form eines informellen Austausches zwischen Kollegen. Wo früher Journalisten fragten und Prominente antworteten, setzt die moderne Interviewkultur offenkundig auf brancheninterne Zirkel, die nicht zuletzt gewisse Synergien schaffen können. Es tut dem Film indes sehr gut, dass man eben gerade nicht den typischen Schmidt-Interviewduktus vorfindet, bei dem gemeinhin die unterhaltende Satire gesprächsbestimmend ist.

Alles in Allem liegt damit ein spannendes und äußerst kurzweiliges Interviewporträt vor, das sicher nicht nur Theaterbegeisterte erfreut. Voss und Schmidt sind ein amüsantes Gespann, die zwischen Ernst und Komik der Theaterwelt balancieren, ganz so, wie sie es im realen Leben erfahren haben. Dennoch vermitteln sie einem das unwiderstehliche Gefühl, dass Theater etwas Wunderbares ist. Wer nach diesem Film noch immer nicht genug vom Theater hat, dem sei die 2011 erschienene Autobiographie von Gert Voss ans Herz gelegt. Hier kann man relativ unverblümt nachlesen, was den Schauspieler ein Leben lang in seiner Arbeit umgetrieben hat.

Titelbild

Lukas Sturm: Scheitern, scheitern, besser scheitern. Gert Voss im Gespräch mit Harald Schmidt.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2011.
101 min, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783518135280

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