Verbrennt das Gift!

Mona Körte, Werner Fuld und William Blades beleuchten unterschiedliche Aspekte der Vernichtung von Büchern

Von Beat MazenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Beat Mazenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die kanonische Schrift leitet zum Gehorsam an, zugleich weckt sie Widerstand. Sie provoziert ihre Dekanonisierung. Kanonische Bücher sind von diesem Prozess ganz natürlich betroffen. Sie werden zensuriert, verbrannt, vernichtet, sobald ein religiöser, politischer oder gesellschaftlicher Umbruch dies zulässt. Das freilich ist bloß die eine Seite der Schriftvernichtung. In ihrer Studie „Essbare Lettern, brennendes Buch“ widmet sich Mona Körte diesen Prozessen mit geweiteter Optik, indem sie aufgrund von literarischen Werken die geläufigen Narrative in Augenschein nimmt. Es gibt eine poetologische Form der Vernichtung von Schrift und Büchern, die sich darin äußert, dass Urheber selbst ihre eigenen Elaborate verbrannten oder verbrennen ließen. Am Ende von Imre Kertész’ Roman „Liquidation“ fordert der Protagonist in einem Abschiedsbrief die Ex-Frau auf, seinen Text zu vernichten. „Wirf alles ins Feuer, auf dass es verbrenne, denn durch das Feuer gelangt es dahin, wo es hingehört…“.

Mona Körte unterscheidet grundsätzlich drei Formen der Schriftvernichtung: a. die Durchstreichung und Auslöschung, b. die Dekanonisierung und c. die Einverleibung. Jeder von ihnen ordnet die Autorin einen Grundtext zu, worin der Sachverhalt paradigmatisch verhandelt ist. Shakespeares „Der Sturm“, Cervantes’ „Don Quijote“ und Rabelais’ „Gargantua und Pantagruel“ bilden so gewissermaßen ein Substrat der abendländischen Literatur. Die drei Klassiker aus dem 16. und frühen 17. Jahrhundert demonstrieren erste Ausprägungen einer Strategie der Umwertung und Umformung von Schrift und Buch, die poetologisch motiviert ist und zugleich in einem gesellschaftlichen Kontext aufgeht.

Prospero in „Der Sturm“ benutzt seine Bücher zur Rückgewinnung der Macht, sie dienen ihm als eine „koloniale Waffe“ gegenüber dem wilden Caliban. Am Ende wirft er das Buch ins Meer und vernichtet es, um zu verhindern, dass jemand anderes in seinen Besitz kommt. In „Don Quijote“ steht die Vernichtung der Bibliothek am Anfang des Buches, als der Pfarrer und der Barbier die Ritterromane des wahnsinnigen Junkers verbrennen und symbolisch den alten literarischen Kanon vernichten. Mit wenig Erfolg, denn der Vorgang wirkt zugleich erneuernd auf den Geist Don Quijotes, der die alten Texte längst verinnerlicht hat und nun selbst zum Ritter in einem realen (Kopf-)Roman wird. Indem Cervantes diesen Vorgang erzählt und mit narrativer Selbstreflexion absichert, wird er zum Begründer eines neuen Kanons. François Rabelais schließlich lässt seine Helden alles unter dem Aspekt der Nahrungsaufnahme betrachten, so auch jenes Buch, das Panurge am Ende trinkt. Mündlichkeit und Schriftlichkeit finden sich hier in einer dialektischen Verzahnung wieder.

Aufgrund dieser drei Basistexte analysiert Körte im Folgenden eine Reihe von stilbildenden literarischen Werken ab dem 18. Jahrhundert. Die Aufklärung löst die Religion ab und verleiht der poetologischen Reflexion einen neuen Stellenwert. Wichtig ist dabei für Körte, dass traditionelle Bücher-Narrative laufend differenziert werden, „darunter die Barbarei der Bücherverbrennung, die Humanität des Büchersammlers, das Buch als Kulturvermittler, die Lektüre als einzig gültiger Buchgebrauch“ und andere mehr. Sie erhalten bei genauer Betrachtung durchaus ambivalente Züge.

Es gibt, so ihr Befund, ein poetologisches Dispositiv zur Auslöschung, Dekanonisierung („Buchhinrichtung“) und Einverleibung, welches sich exemplarisch an Thomas Bernhard („Auslöschung“), Elias Canetti („Die Blendung“) oder Heinrich von Kleist („Der Findling“) zeigen lässt, um nur wenige der Referenzbücher in diesem Band zu nennen. Die Weiterentwicklung der Schrift und der Literatur basiert auf der Überwindung der alten Normen.

Körtes differenzierte, wissenschaftlich fundierte und zugleich anregende Studie öffnet sich dabei immer wieder auf die historischen und gesellschaftlichen Kontexte hin. Zentral aber bleibt für sie der literarische Diskurs mit seiner unscharfen Begriffsbestimmung: „Denn es ist diese Unschärferelation, die aufzeigt, wie eng Bibliophilie und Schriftfeindschaft, philologische Neugier und Textabwehr, Kanonbildung und ‚Buchhinrichtung‘ miteinander korrelieren und inwiefern mit den Szenarien und Modi der Schriftvernichtung eine Aufwertung der Rolle von Schrift und Buch einhergeht.“

Zensur und Indices

Die Vernichtung der eigenen Manuskripte spielt auch in Werner Fulds „Buch der verbotenen Bücher“ eine Rolle. Autoren haben seit jeher Selbstzensur am eigenen Schaffen geübt. Kafka beispielsweise wollte testamentarisch alles Geschriebene vernichtet haben. Darauf ging sein Freund Max Brod nicht ein, weswegen uns sein Werk erhalten geblieben ist. Dafür streiten sich in peinlicher Weise bis heute die von Brod eingesetzten Erben und der Staat Israel um Kafkas Hinterlassenschaft, die in einem Zürcher Safe verschlossen liegt.

Bücher sind mehr als bloße Manuskripte. Durch sie weitet sich der Blick in die (politische) Öffentlichkeit, die ihrerseits dafür verantwortlich ist, dass Bücher nicht nur gelesen, sondern seit Jahrtausenden auch verfolgt, verboten und vernichtet werden. Werner Fuld schlägt in seiner Darstellung einen weiten Bogen von den antiken Bücherverbrennungen über die kirchliche Zensur ab dem 16. Jahrhunderts und die prüde Bigotterie der bürgerlichen Epoche hin zur mörderischen Verbotspolitik in Nazideutschland und in der Sowjetunion Stalins, um schließlich beim unheimlichen Puritanismus der Gegenwart anzukommen. Eine Spur der Geistfeindlichkeit und der Abwehr alles „Obszönen“ (was immer darunter verstanden wird) zieht sich durch die Geschichte, deren Opfer die Bücher, aber auch ihre Urheber und Verleger sind. Darunter finden sich kanonische Autoren wie James Joyce – die Publikation des „Ulysses“ gleicht einer tragischen Odyssee; betroffen sind aber auch Schriftsteller wie John Cleland, von dem weniger der Name als sein Hauptwerk „Fanny Hill“ einschlägig in Erinnerung geblieben ist.

Wir begegnen in Fulds Buch einem kleinen who is who der Weltliteratur – es braucht ja nicht gleich eine „Universalgeschichte“ zu sein, wie der Untertitel etwas hochtrabend verkündet. Der Autor ruft eine Vielzahl von literarischen Preziosen zu Zeugen auf. Er kennt unzählige Anekdoten und Geschichten, anhand deren sich demonstrieren lässt, wie dumm und auch widersprüchlich sich Zensoren häufig gebärden. Stichworte dazu liefern das „Comstock Law“ des reichlich ungebildeten Eiferers Anthony Comstock 1873, oder etwas später die antikommunistische Hetze des Suffkopfs McCarthy.

Fuld verzichtet dabei nicht auf Wertungen, was speziell im Kapitel über die Zensur der DDR brisant ist. Offenkundig hält er wenig von deren Literatur, ja mehr noch: „Was in der DDR veröffentlicht wurde, verdient diesen Namen nicht.“ Diese pauschale Aburteilung klingt harsch, sie darf getrost als ungerecht und falsch bezeichnet werden.

Für die letzten zwei, drei Dekaden sind klassische Buchverbote in unseren Breitengraden eher selten geworden. Auffällig ist eine Verschiebung weg vom Buch und hin zum Verbot von Filmen – womöglich ein Gradmesser der sinkenden Reputation der Buchkultur. Häufiger als moralische Gebote von Staates wegen werden Persönlichkeitsrechte eingeklagt, wobei hier Eitelkeiten oft wichtiger sind als tatsächliche Verunglimpfung. Zudem macht sich schleichend ein Talibanismus in Form etwa von Gesundheitszensur bemerkbar. Seit 1983 raucht Lucky Luke nicht mehr Zigarette, sondern nuckelt bloß noch an einem Grashalm.

In anderen politischen Systemen ist die staatliche und religiöse Zensur freilich allgegenwärtig und in den Folgen ausgesprochen brutal. An China sei erinnert, oder an die islamische Fatwa gegen Salman Rushdie. Wenn Werner Fuld einschränkt, dass niemand die 3 Millionen Dollar Belohnung für dessen Ermordung habe verdienen wollen, so ist das beschönigend. Er vergisst, dass mehrere seiner Übersetzer und Verleger tätlich bedroht und tödlich angegriffen wurden.

„Das Buch der verbotenen Bücher“ verfolgt eine eher lockere, anschauliche Form der Darstellung. Ein detailliertes Stichwortverzeichnis erleichtert zwar das Auffinden von spezifischen Inhalten, zugleich verzichtet es aber ganz auf Anmerkungen und Zitatnachweise. Das ist nicht ohne Tücke, bilden sich um Ereignisse der Büchervernichtung doch oft Legenden, deren Quellen interessant zu kennen sind. Wer es genau wissen will, stößt hier deshalb an Grenzen. Wer über diesen Punkt hinwegsehen mag, liest eine lebhafte, anschaulich erzählte Geschichte der Buchverbote und -vernichtungen, die allen Grotesken und Idiotien zum Trotz auch davon erzählt, dass Autoren zum Verstummen gebracht werden können, nicht aber deren Bücher. Mit einem Satz von Michail Bulgakov, einem prominenten Zensuropfer: „Manuskripte brennen nicht.“ Doch womöglich klingt auch dies allzu optimistisch, denn wer vermöchte die verlorenen Werke zu benennen, da sie ja vernichtet worden sind.

Natürliche Bücherfeinde

Mit diesen zwei Neuerscheinungen ist jüngst auch ein Klassiker der bibliophilen Literatur in neuer deutscher Übersetzung erschienen: William Blades’ Buch über die mannigfachen (Tod-)Feinde, vor welchen sich Bücher und Bibliotheken in Acht zu nehmen haben. Blades (1824-1890) selbst war Gründungsmitglied des englischen Bibliotheksverbands und ein hervorragender Kenner auf dem Feld alter Drucke. Sein Buch gibt einen anekdotischen Aufriss über die Gefahren, denen Bücher ausgesetzt sind: Feuer und Wasser, Gas, Hitze und Staub, vor allem aber mutwillige Dummheit und Vernachlässigung. Während die Kapitel über die elementaren Gefahren eher etwas trocken und summarisch wirken, kommt Blades bei der Schilderung des menschlichen Umgangs mit Büchern erst richtig in Fahrt. Er kann sich köstlich ärgern über Hausfrauen, die bei der Pflege des Haushalts so alles falsch machen, was den Bibliophilen ängstigt. Und die Kinder erst… Mit ihrem Zerstörungswerk nehmen es lediglich noch die Buchbinder und Bibliothekare auf – und die Buchdrucker. Weil Blades selbst einer von ihnen war, verzichtet er hier freilich darauf, all deren Sünden aufzuzählen. „Der sicherste Weg, den guten Zustand der Bücher zu bewahren, ist, sie wie die eigenen Kinder zu behandeln“, zieht er dafür ein schönes bibliomanisches Fazit.

Titelbild

Mona Körte: Essbare Lettern, brennendes Buch. Schriftvernichtung in der Literatur der Neuzeit.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2011.
319 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-13: 9783770552146

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William Blades: Bücherfeinde. Über Feuer und Wasser, Glas und Hitze, Staub und Vernachlässigung, Ignoranz und Engstirnigkeit.
Primus Verlag, Darmstadt 2012.
128 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783863123239

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

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Werner Fuld: Das Buch der verbotenen Bücher. Universalgeschichte des Verfolgten und Verfemten von der Antike bis heute.
Galiani Verlag, Berlin 2012.
352 Seiten, 22,99 EUR.
ISBN-13: 9783869710433

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