In der Zwischenwelt

Parker Bilal zeigt in „Die dunklen Straßen von Kairo“ eine Gesellschaft im Übergang

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Westliche Welt und islamischer Fundamentalismus mögen sich als Hauptkontrahenten einander gegenüber stehen, dabei ist jedoch aus den Antagonisten mindestens ein Dreieck widerstrebender und zugleich einander anfeuernder Bestrebungen zu machen: Eine Moderne, die alles verflüssigt und auflöst, was an festen Gewohnheiten und Institutionen besteht und dabei auch vor Regeln und Konventionen nicht Halt macht. Dass die Moderne in den Schwellenstaaten als kriminell gilt, ist deshalb kaum zu dementieren. Demgegenüber steht eine Gesellschafts- und mit ihr eine Glaubensform, die sich in die Tradition rettet, um überhaupt noch so etwas wie einen festen Orientierungsrahmen zu haben. Und schließlich eine aufgeklärte Gesellschaft, die Freiheit, Gleichheit und den Ausgleich von Interessen zu ihren Basisannahmen gemacht hat.

Eine solche offene Gesellschaft kann sich mit ihrer eigenen Schattenseite ebensowenig abfinden wie mit der Reaktion, die sie in den Gesellschaften auslöst, die sie überformt. Aber sie kann wohl auch keine haltbare Lösung finden, weshalb sie sich weiter an dem, was man Fundamentalismus nennt, abarbeitet und ihn dabei immer wieder aufs neue hervorbringt.

Diese Konfiguration hat in den Industriegesellschaften naheliegenderweise andere Formen und eine andere Wirkung als in den Schwellenländern – was uns wie so oft in die Problemstellung bringt, die spätestens seit der Wende zum 20. Jahrhundert virulent ist, nämlich zur Frage, inwieweit der Orient nicht beides ist für Amerikaner und Westeuropäer: traditionaler Idealraum und eine Region im Übergang. Der Blick auf den Orient ist so gesehen immer auch ein Blick auf den Beobachtenden und seine Kultur selbst. Der Orient schaut eben genau so aus, wie wir ihn ansehen.

Parker Bilal bewegt sich in diesem Themenfeld mit einiger Souveränität. Er wählt einen Schauplatz, der jüngst noch einer der Hauptplätze der arabischen Rebellion war, Kairo, aber das Kairo der frühen 1980er-Jahre. Er platziert einen Ermittler, der aus dem Sudan von Fundamentalisten nach Ägypten vertrieben wurde und dabei seine Frau und seine Tochter verlor. Er wird auf die Suche nach dem Ziehsohn eines der reichsten und einflussreichsten Männer des Landes geschickt, einem Fußballspieler, der spurlos verschwunden ist. Er hat einen aufstrebenden Förderer in der lokalen Polizei, der in der politisch-administrativen Hierarchie mehr und mehr aufsteigt. Er stößt dabei auf einen russischen Magnaten, der in das politisch-ökonomische System Ägyptens eindringt und der ehemaliger Tschetschenien- und Afghanistan-Kämpfer war. Und naheliegend agiert im Hintergrund ein ehemaliger Kompagnon der ägyptischen Magnaten, der mittlerweile militanter Islamist geworden ist und einst Gegenspieler des Russen war. Mit anderen Worten: Überall trifft man Bekannte.

Ein Land wie dieses Krimi-Ägypten, das wirtschaftlich, sozial und politisch im Umbruch ist, ist eine äußerst fruchtbare Stätte für jede Form der Kriminalität, aber eben auch ein Areal, in dem sich niemand mehr gewiss sein kann, was es bedeutet, sich richtig oder falsch zu verhalten.

Es wundert also nicht wirklich, wenn eigentlich alle Akteure in Bilals Krimi den vergangenen Zeiten nachtrauern, sogar der Magnat, der eben seine große Zeit hinter sich gelassen hat und jetzt kaum noch den Überblick hat, was eigentlich in seinem eigenen, nunmehr aber legalen Unternehmen läuft. Der Versuch jedenfalls, das zusammengeraubte Vermögen und die mit Gewalt erworbene Macht zu verstetigen, scheitert, nicht zuletzt weil es keine Nachfolger gibt. Der Ziehsohn ist verschwunden und ihm werden Neigungen nachgesagt, sich von seinem großen Gönner zu lösen. Die Tochter ist eben „nur“ eine Tochter, was in einer machistischen Gesellschaft immer noch ein Malus ist.

Das besondere an Bilals Krimi ist allerdings, wie er diese fragile Gesellschaft und ihre Akteure schildert und in Beziehung zueinander setzt. Reste traditionaler Formen werden mit modernen Anforderungen kombiniert, kriminelle Akteure suchen den legalen Raum. Die Unsicherheit, in der alle Akteure leben und handeln müssen, treibt sie dazu, den eigenen auch kurzfristigen Vorteil zu suchen, den sie zumeist nicht halten können. Es ist also der Versuch eines Gesellschaftsporträts, der Bilal umtreibt.

Damit schließt er an eine lange Tradition der Kriminalerzählung an, in der mit der Aufdeckung des Verbrechens und der daran Beteiligten immer auch Aussagen über den Zustand einer Gesellschaft gemacht wurden. In der Gemengelage der Geschichte nach dem “Ende der Geschichte“ (ja, das hat man mal geglaubt) erhält das neue Brisanz und Bedeutung. Und mindestens dafür ist Bilals Roman eben auch ein gutes, lehrreiches und darüber hinaus auch noch angenehm zu lesendes Exempel.

Titelbild

Parker Bilal: Die dunklen Straßen von Kairo. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Karolina Fell.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2012.
440 Seiten, 9,99 EUR.
ISBN-13: 9783499257650

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