„Kampf um die höchsten Besitztümer des menschlichen Geistes“

Walter Jaeschke und Andreas Arndt legen ein Großwerk zur deutschen Philosophie nach Kant vor

Von Franz SiepeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Franz Siepe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn die beiden Philosophieprofessoren Walter Jaeschke und Andreas Arndt den Text dieser Gemeinschaftspublikation einer akademischen Vorlesung zugrundelegten, hätten sie damit gut und gern Stoff für eine zweisemestrige Veranstaltung und zugleich die Aussicht auf regen Zulauf. Denn erstens handelt es sich bei dem Thema um einen unvergänglichen philosophiegeschichtlichen Klassiker, und zweitens ist der sprachliche Ton, mit dem die Autoren ihren Gegenstand ausbreiten, durchwegs auf Klarheit und Fasslichkeit gestimmt, wenngleich sie die mannigfachen, der Materie selbst geschuldeten Dunkelheiten nicht jederzeit beseitigen können. Drittens bieten Jaeschke und Arndt konzeptionell Bemerkenswertes, indem sie ihren Blick mehr auf die dialogisch sich zwischen 1785 und 1845 konstituierenden Problemzusammenhänge richten als auf die jeweilige Position der einzelnen nachkantischen Hauptakteure, deren philosophisches Denken darauf zielte, diejenigen Schwierigkeiten zu bewältigen, die von Kant hinterlassen worden waren.

Das dualistische Klaffen zwischen dem Ding an sich und unseren Vorstellungen sowie zwischen Sinnlichkeit und Verstand motivierte die Nachfolger zur Verschärfung der Polaritäten wie auch zu Projekten der Harmonisierung und Synthetisierung. Der nachkantische Philosophenstreit ging, wie die Autoren im Vorwort erklären, „um ‚Idealismus‘ wie um ‚Realismus‘, um ‚Dogmatismus‘ wie um „Skeptizismus‘, um ‚Vernunft‘ wie um ‚Gefühl‘, um ‚Aufklärung‘ wie um ‚Romantik‘“.

Neben der kanonischen Reihe Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling und Georg Wilhelm Friedrich Hegel stehen Friedrich Heinrich Jacobi und Carl Leonhard Reinhold (für die Genannten ist Jaeschke zuständig) sowie die frühromantische „Symphilosophie“ (Friedrich von Hardenberg (Novalis), Friedrich Schlegel und Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher), welche von Arndt behandelt wird, im Vordergrund. Nachgezeichnet wird in diesem Buch, so wenden es die Autoren wie unbekümmert um poststrukturalistisch-postkolonialistische Skrupel unter Rekurs auf ein Diktum Schellings, ein „äußerer und innerer Kampf um die höchsten Besitztümer des menschlichen Geistes“.

Zwei Leitbegriffe verleihen diesem „Kampf“ der mit dem Etikett „Idealist“ nur plakativ charakterisierten Köpfe sein eigentümliches Gepräge: „Wissenschaftlichkeit“ und „Freiheit“. Die Philosophie sollte ähnlich strengen Ansprüchen genügen wie die exakten Wissenschaften (Geometrie). Fichte entwickelte in den Spuren Jacobis und Reinholds seine „Wissenschaftslehre“ aus einem Grundsatz („A = A“ / „Ich = Ich“), und auf systematischem Wege sollte die Freiheit, ein genuin Systemwidriges, dem begrifflichen Denken zugeführt werden. Doch stieß die Grundsatzphilosophie ebenso wie der Systemanspruch auf – speziell frühromantische – Widerstände.

„Die Freiheit ist die höchste Bestimmung des menschlichen Geistes“, sagt Hegel in den „Vorlesungen über die Ästhetik“. Ob jedoch und inwiefern die „Klassische Deutsche Philosophie“ in ihren Freiheitsanstrengungen von den politischen Umwälzungen jenseits des Rheins angeregt war: die Antwort hierauf lässt Jaeschke mit einer – für das Buch atypischen – vagen und etwas unstimmigen Formulierung in der Schwebe: „Es wird deshalb immer eine merkwürdige Koinzidenz sein – aber wohl nicht mehr als dies –, daß dem transzendentalphilosophischen Freiheitsbegriff gerade in den Jahren die größte Bedeutung zugeschrieben wird, in denen auch der politische Freiheitsbegriff – in der Französischen Revolution – seine Klimax erreicht. Gleichwohl [?] scheinen die Wurzeln des Freiheitsgedankens damals nicht primär im politischen Umfeld zu liegen. Er gewinnt seine Signatur und Dynamik vielmehr im Kontrast zur Welterklärung durch die frühneuzeitliche Wissenschaft.“

Am Beispiel Fichtes lässt sich indes ein Zusammenhang des transzendentalphilosophisch-epistemologischen Freiheitspathos (Emanzipation des „Ich“ aus den „Fesseln“ der äußeren „Dinge“) mit sozialrevolutionären Befreiungsimpulsen ohne weiteres aufzeigen; in einer 1793 anonym publizierten Flugschrift mit dem Titel „Zurückforderung der Denkfreiheit von den Fürsten Europens, die sie bisher unterdrückten“ verkündete er: „Die Zeiten der Barbarei sind vorbei, ihr Völker, wo man euch im Namen Gottes anzukündigen wagte, ihr seyet Heerden Vieh, die Gott deswegen auf die Erde gesetzt habe, um einem Dutzend Göttersöhnen zum Tragen ihrer Lasten, zu Knechten und Mägden ihrer Bequemlichkeit, und endlich zum Abschlachten zu dienen.“

Immer wieder legen Jaeschke und Arndt Wert darauf, die in der Epoche vorherrschende Verwiesenheit des (erkenntnis-) theoretischen Philosophierens auf das praktische (moral- und rechtsphilosophische) herauszuarbeiten; deutlich wird dies exemplarisch wieder im Hinblick auf Fichte, dessen – angeblich absolut „Ich“-zentrierter – Subjektivitätsphilosophie der heutige Diskurs das Konzept der „wechselseitigen Anerkennung“ der gesellschaftlichen Subjekte verdankt. Von Fichte gelangte „Anerkennung“ – als identitätsgenerierender Akt – zu Hegel und von da aus zu Axel Honneth in die aktuelle Diskussion. Überraschenderweise geht auch der „Leib“ als Essential philosophischer Reflexion auf Fichtes Transzendentalphilosophie zurück, und zwar im Kontext der Grundlegung seiner Ethik: Das Ich kann schlechterdings nur leiblich auf die Außenwelt einwirken; und indem es von der Sittenlehre in die Perspektive des In-der-Außenwelt-Agierens gerückt wird, wird auch die leibliche Seite unserer Subjektivität wesentlich. „Allerdings“, so wirft Jaeschke ein, „ist der Leib für Fichte – wie für eine lange, schon puritanische, aber auch bei Rousseau wirksame Tradition – nicht ‚Endzweck‘, sondern als Werkzeug nur ‚erster Zweck‘ sittlichen Handelns – aber eben als notwendige Bedingung der Moralität auch ein Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit.“

Nachdem Kants Kritizismus jede Möglichkeit des theoretischen Vernunftzugangs zu Gott eliminiert und Gott zu einem Postulat der praktischen Vernunft degradiert hatte, erklärte Fichte in konsequenter Fortführung dieser „ethikotheologischen Reduktion“ die Annahme Gottes als eines selbständigen personalen Wesens („als einer besondern Substanz“) für überflüssig und brachte sich mit seiner Lehre von der „Identität von Gottesgedanken und moralischer Weltordnung“ in Widerspruch zum herkömmlichen Theismus. Also entzündete sich 1798/99 der berühmte „Atheismusstreit“ mit der Folge der Verabschiedung Fichtes von der Universität Jena. Schelling, ebenfalls Professor in Jena, hielt sich weitgehend aus der Affäre um seinen Kollegen Fichte heraus, arbeitete in diesen Jahren an seiner Naturphilosophie (Entwicklung einer apriorischen Naturwissenschaft; Entdeckung des in der Natur vorwaltenden Dualismus) und verfasste sein „System des transzendentalen Idealismus“ (1800), das in einer Apotheose der Kunst mündet. Diese ist, so Schelling, anschaulich gewordene Synthese aller Gegensätze und dem Philosophen deswegen „das Höchste, weil sie ihm das Allerheiligste gleichsam öffnet, wo in ewiger und ursprünglicher Vereinigung gleichsam in einer Flamme brennt, was in der Natur und Geschichte gesondert ist, und was im Leben und Handeln, ebenso wie im Denken, ewig sich fliehen muß.“

Mit dem Jahr 1800, mit der Referierung von Schellings „System des tranzendentalen Idealismus“, endet der erste von insgesamt sieben Teilen des Buches. Der zweite ist mit „Frühromantische Symphilosophie und ihre Transformationen“ überschrieben und befasst sich zunächst mit den philosophischen, poetologischen und poetischen Bemühungen Novalis’ („magischer Idealismus“) und Friedrich Schlegels, das sich nach Kant erst recht andrängende Problem des Verhältnisses von Bedingtem und Unbedingtem zu bewältigen. Die „Sehnsucht nach dem Unendlichen“ (Schlegel) wurde zu einer universellen Haltung, mittels deren sich das endliche Bewusstsein der ungreifbaren Gegebenheit des Unbedingten zu versichern strebte; sei es, dass man es spinozistisch „objektiv“, sei es, dass man es fichteanisch „subjektiv“ begriff. Sprachlich ließ sich das Unendliche eigentlich nur in uneigentlicher, paradoxer oder ironischer Rede berühren: „Wir suchen überall das Unbedingte, und finden immer nur Dinge.“ (Novalis) Friedrich Schlegel fand das Unendliche nach seiner Konversion zum Katholizismus im Christusglauben und im geschlossenen System der Papstkirche.

Schließlich positioniert Andreas Arndt als Fachmann für Schleiermacher dessen religiös grundiertes Werk in das „symphilosophische“, also von verwandten Geistern gemeinsam kultivierte Terrain der frühromantischen Theoriebildung. Manchmal wird der Leser der Versuchung ausgesetzt, von Experten diskutierte Spezifika für Quisquilien zu halten; beispielsweise dann, wenn Arndt den systemologischen Status der Dialektik bei Schleiermacher im Konzert mit Ethik, Physik und Psychologie unter Aufbietung einer gewiss nicht für den diskursfernen Leser arrangierten Fußnotenarmada erörtert. Auch der Abschnitt über die Konzeption der Hermeneutik, die Schleiermacher in dieser Disziplin den Rang eines „Klassikers“ eingetragen hat, ist im Verständnis des Rezensenten vielleicht weniger von didaktischen als von demonstrativen Absichten geleitet.

Von Jaeschke wieder stammt dann der lange Rest des Buches, der sich zunächst mit der Schelling’schen Identitätsphilosophie einer „neue[n] Phase im Denken Schellings wie überhaupt in der Klassischen Deutschen Philosophie“ zuwendet: „Ich nenne Vernunft die absolute Vernunft, oder die Vernunft, insofern sie als totale Indifferenz des Subjektiven und Objektiven gedacht wird“, postulierte Schellings § 1 der „Darstellung meines Systems der Philosophie“ von 1801. Transzendentalphilosophie und Naturphilosophie sollten in ihrer Indifferenz unter den einen Hut des „Absoluten“ gebracht werden, doch hatte Schelling zu registrieren, dass der Mitstreiter und Antipode Fichte ihn völlig missverstand, ihn nicht einmal verstehen wollte. Persönliche Eitelkeiten mischten sich mit Hochphilosophischem. Beleidigende Tiefschläge begleiteten den Streit um die Frage, ob das Absolute „absolute Identität“ (Schelling) oder aber „causa sui“ (Fichte/Spinoza) sei; und als der tapfre Reinhold sich wieder zu Wort meldet, wird er vom Inaugurator der Identitätsphilosophie mit „Schwachkopf“, „Exempel der Dummheit“ und noch gröberen Insulten beschimpft. So unzimperlich konnte es zur Sache gehen, wenn die Heroen der Klassischen Deutschen Philosophie nach Kant im Ringen um die „höchsten Besitztümer des menschlichen Geistes“ sich stritten. Überhaupt wurden die Kontroversen um 1800 nicht allein in Büchern und Aufsätzen ausgetragen, sondern vor allem auch in Briefen, wovon Jaeschke und Arndt gründlich Kenntnis geben und auch auf diese Weise ihrem Anspruch gerecht werden, die von ihnen rekonstruierten philosophischen Konstellationen unter Berücksichtigung ihrer dialogischen Genese zu beleuchten.

Knapp hundert Seiten räumt das Buch dem Nachvollzug der „Metamorphosen der Identitätsphilosophie“ Schellings sowie dessen diversen Ansätzen ein, das „Absolute“ oder das „Wissen des Absoluten“ bis um das Jahr 1804 begrifflich und systematisch zu fassen. Der Kern liegt in der – hier von Jaeschke wiedergegebenen – Erkenntnis Schellings, „es gebe ‚wahrhaft und an sich überall kein Subjekt und kein Ich, eben deshalb auch kein Objekt und Nichtich, sondern nur Eines, Gott oder das All, und außerdem nichts‘. Das ‚Ich denke, Ich bin‘ sei seit Descartes ‚der Grundirrthum in aller Erkenntniß‘; Wissen sei nichts Subjektives, und die Vernunft […] sei ‚nicht eine Vernunft, die wir hätten, sondern nur eine Vernunft, die uns hat‘“.

Jedoch lässt Schelling, so Jaeschke, die Frage unbeantwortet, wie denn aus der „differenzlosen Einheit des Absoluten“, aus Gottes All-Einheit, unsere relational verfasste, endliche und nichtige Welt hervorgehen konnte. Ob das von Schelling begründend ins Spiel gebrachte Mytho-Theologem des „Abfalls von Gott“ (Existenz der Individualität ist Ursünde) den Anforderungen strengen Philosophierens genügt, scheint in der Tat mehr als zweifelhaft. Jedenfalls ist an dieser Stelle das Thema des Bösen intoniert, das 1809 in Schellings „Freiheitsschrift“ zentral wird.

Nach dem vierten Teil über Fichtes popularisierende Spätphilosophie, die in die Phase fällt, in der das kommunikative durch das „einsame Philosophieren“ abgelöst wird, und die in einer theologisierenden („Gott ist alles Seyn“) Umgestaltung der „Wissenschaftslehre“ mündet, nimmt Jaeschke den Schelling’schen Faden im fünften Teil wieder auf: Das Problem der Freiheit als des Vermögens zum Guten und zum Bösen ist eng verwoben mit dem Theodizeeproblem (wie verträgt sich die Existenz des Bösen mit der Güte Gottes?), welches, wie man es damals sah, von Kants Theodizee-Schrift (1791) nur unbefriedigend abgehandelt worden war. In der Interpretation Jaeschkes wird einsichtig, wie Schelling die Theodizeefrage auf die Existenz des „Bösen“ (im Unterschied zum – physischen und metaphysischen – „Übel“) zuspitzt; wie er dem Bösen den ontologischen Status einer positiven (und nicht nur den einer bloß negativen (privatio boni)) Größe zuspricht; wie er darauf aus ist, mit antidualistischer Intention das Böse in Gott selbst (in dem „Grund zur Existenz Gottes“) zu finden, ohne ihn dabei zu „kompromittieren“; und wie er dennoch letztlich philosophiegeschichtlich versagt, weil er sein Theoriegebäude lediglich um den Preis des Rückfalls in eine voraufklärerische, theosophisch inspirierte und mythensprachlich formulierte Argumentationsstruktur stabilisieren kann.

Jaeschke schließt sich dem Urteil Friedrich Hermannis an, demzufolge die „Vollendung des abendländischen Theodizeeprojekts in Schellings Philosophie“ geleistet worden ist. Aber auch dieses ultimative Projekt scheiterte mit der Konsequenz, dass die Gottesbestreiter bis heute – vorzugsweise unter Berufung auf Georg Büchners „Dantons Tod“ (so etwa der Marburger Philosoph Joachim Kahl) – sich auf das nach wie vor allen Schlichtungsbemühungen Widerstand leistende Problem der Theodizee als auf den „Fels des Atheismus“ stützen können.

Schelling aber weigerte sich standhaft, den Nachweis von Inkonsistenzen und Anachronismen seines Systems als legitimen Grund für einen resignativen Verzicht auf eine vernunftgeleitete Annäherung an die Gotteswirklichkeit gelten zu lassen. So schrieb er zur Verteidigung des philosophischen Nachdenkens über metaphysische Dinge im hellen Bewusstsein, dergleichen „nach Kant“ im Risiko des Für-anachronistisch-Gehaltenwerdens ins Feld zu führen: „Welches Heil läßt sich überhaupt von einer Philosophie erwarten, die, was alles Höhere betrifft, in lauter Negationen besteht und sich wegen der dem Menschen wichtigsten Fragen ins Nichtwissen zurückzieht?“

Schellings Projekt einer spekulativ-rationalen Erschließung der Wirklichkeit Gottes, sein „Plädoyer für einen wissenschaftlichen Theismus“, provozierte den energischen Widerstand Jacobis: Wissenschaftlich lasse sich gar nichts über Gott aussagen. Natur sei bloße, „entzauberte“ Natur, und daher sei die Wissenschaft von der Natur außerstande, die Schranken der Empirie zu transzendieren. Theismus, die Anerkenntnis Gottes in seiner jenseitigen Personalität, sei Glaubens-, nicht Wissenssache. Jaeschkes scharfe und tiefgründige Analyse dieses 1811/12 zwischen Schelling und Jacobi ausgefochtenen „Theismusstreits“ gehört zweifellos zu den intellektuellen Glanzpartien des Buches. Auf wenigen Seiten wird der Leser in philosophiegeschichtlich präparierte Reflexionen eingebunden, die ihn: sein Verhältnis zu Gott und der Welt, unbedingt angehen.

Freilich sind Gegenstände wie Gott, Welt und Seele originär metaphysischer Herkunft und als solche seit Kant der aufgeklärten Vernunft nur noch unter diffizilsten Vorbehalten zugänglich. Hegel, dem der sechste und vorletzte Teil unseres Buches gewidmet ist, konstatierte ebenfalls „das Ende der Metaphysik als ‚Factum‘“. Er hielt es also für angezeigt, die alte Sphäre der Metaphysik durch die neue seiner „Logik“ zu ersetzen, welche weder aus dem Geist noch aus der Natur hervorgehe; es liege nämlich diesem „Reich des reinen Gedankens“ ein „gleichsam Ungeschaffenes, Unveränderliches, ja Ewiges zu Grunde“. – In den Augen des Rezensenten liegt hier ein klassischer Fall der Überwindung der Metaphysik durch Metaphysik vor: Der Geist entthront den Geist und inthronisiert sich selbst an dessen Stelle – als „absoluter“.

Wir brechen hier unsere Skizze, die mehr als eine ungefähre Vorstellung von Linienführung und Eigenart des Buches nicht geben wollte und konnte, mit der Bemerkung ab, dass Jaeschkes Nachzeichnung von Hegels gigantischem Gebäude des „Systems der Philosophie“ (inklusive Rechts-, Geschichts-, Religionsphilosophie und Ästhetik) in toto über hundert Seiten einnimmt, bevor der abschließende – vergleichsweise knappe – siebte Teil („Philosophie nach dem Ende der Klassischen Deutschen Philosophie“) wieder im Zeichen Schellings steht.

Schelling war bis zum Ende entschieden, der erkenntniskritischen Aufklärungsphilosophie, als deren Hauptexponenten er Kant ansah, seine – christlich grundierte – „positive Philosophie“ entgegenzusetzen. Denn eigentlich wollen wir alle vor den letzten und allerletzten Fragen wie den nach dem Wesen Gottes, dem Grund des Seins und der Ursache der Existenz nicht in verzagter Sprachlosigkeit erstarren. Allein, die Zeiten waren nicht mehr danach. Als er 1841/42 in Berlin die „Philosophie der Offenbarung“ vortrug, notierte der junge Sören Kierkegaard: „Schelling salbadert grenzenlos“.

Für wen haben Andreas Arndt und Walter Jaeschke dieses Buch geschrieben? Gewiss nicht für den Leser, der rasch einmal Namen, Daten und Kernthesen abgreifen möchte. Eher wohl für den, der einige Voraussetzungen, vor allem langen Atem, mitbringt und den Wunsch hat, von Fachleuten, die über immense Quellenkenntnis verfügen, mit der schwierigen Materie vertrauter gemacht zu werden, als er es bis dato war. Leider fehlt ein Sachregister.

Wem das Buch vom Volumen her zu gewaltig ist, sollte sich vielleicht bis 2013 gedulden. Dann nämlich soll nach Verlagsangaben eine gekürzte Fassung als Band IX, 2 der von Wolfgang Röd herausgegebenen „Geschichte der Philosophie“ bei C. H. Beck erscheinen.

Auf alle Fälle ist gut denkbar, dass die Lektüre des besprochenen Buchs Interesse an der Klassischen Deutschen Philosophie nach Kant (wieder) erweckt. Ohnehin befindet sich die Idealismusforschung nicht nur im deutschsprachigen, sondern gerade auch im englischsprachigen Raum und darüber hinaus seit einigen Jahren im Aufwind. Ein Zeugnis und Produkt dieser Konjunktur liefert das von de Gruyter verlegte und von Fred Rush und Jürgen Stolzenberg herausgegebene „Internationale Jahrbuch des Deutschen Idealismus / International Yearbook of German Idealism“. Seit 2003 sind acht Themenbände herausgekommen. Für 2013 ist Band 9: „Freiheit / Freedom“, angekündigt; womit, wie oben angesprochen, ein Herzstück dieser hohen Zeit der Philosophiegeschichte ins sicherlich hochgebildete Gespräch gebracht wird.

Titelbild

Walter Jaeschke / Andreas Arndt: Die Klassische Deutsche Philosophie nach Kant. Systeme der reinen Vernunft und ihre Kritik 1785-1845.
Verlag C.H.Beck, München 2012.
749 Seiten, 78,00 EUR.
ISBN-13: 9783406630460

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