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Jonathan Phillips befolgt in seiner Geschichte der Kreuzzüge die Grundregel historischer Forschung und verhilft dabei zu interessanten Ein- und Ansichten

Von Josef BordatRSS-Newsfeed neuer Artikel von Josef Bordat

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Kreuzzüge. Es gibt wohl kaum ein historisches Phänomen, das mehr Emotionen weckt als die Gewalt dieser „Heiligen Kriege“ im Hochmittelalter. Zugleich verführen die Emotionen zu unsachgemäßer Annäherung an das Phänomen, zu Übertreibung und Einseitigkeit. Wer sich mit den Kreuzzügen auseinandersetzt, ist daher zu besonderer Sorgfalt verpflichtet. Jonathan Phillips hat sich dieser Aufgabe gestellt – mit Erfolg. Als Professor der Geschichtswissenschaft sorgt er für die nötige Präzision der quellenbasierten Forschungsarbeit, als erfahrener Journalist für einen unterhaltsamen, nachvollziehbaren Schreibstil. Im Ergebnis steht eine differenzierte und lesenswerte Darstellung der Kreuzzüge im Rahmen der mittelalterlichen Geschichte sowie der Tradierung und Neukontextualisierung des Kreuzzugsgedankens in der Moderne, bis hinein in die Gegenwart, in welcher der Begriff „Kreuzzug“ allegorisch verwendet wird, was besagte Emotionen weckt und oft auch wecken soll.

Es gehe ihm, so Phillips einleitend, darum, die „vertraute Version“ (Christen gegen Moslems) um die „unzähligen Widersprüche“ zu ergänzen, welche die „Vielschichtigkeit des Heiligen Krieges“ ausmachten, um die „facettenreiche Beziehung“ zwischen Okzident und Orient herauszuarbeiten, die bei „herkömmlichen Schilderungen“ der Darstellung des Schlachtgetümmels zum Opfer falle. Zwar ist es mitnichten so, dass sich die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Kreuzzügen bislang tatsächlich nur „auf das beiderseitige Blutvergießen“ beschränkte, doch gilt dies sehr wohl für die viel wirkmächtigeren populären Zugänge, auch und gerade in den zahlreichen belletristischen oder (noch problematischer) semi-dokumentarischen Werken. Hier zeigt sich der besondere Wert der Arbeit Phillips’: Eine allgemeinverständliche und große Leserkreise ansprechende Darstellungsweise für wissenschaftlich erschlossenes Material gefunden zu haben.

Phillips wertete für seine Abhandlung Quellen unterschiedlicher Textgattungen aus – Chroniken, Lieder, Predigten, Reisetagebücher, Briefe, Geschäftsbücher, Friedensverträge und Abbildungen. Der Autor erhebt dabei „nicht den Anspruch, detailliert die Chronologie der Geschehnisse aufzuarbeiten“, ihm liegt vielmehr daran „einem breiten Lesepublikum eine Vielzahl von Personen und Ereignissen vorzustellen, die nicht ganz so bekannt sind“. Anhand der Zeugnisse dieser „Außenseiter“ können wir lernen, dass nicht der Papst oder „die“ Kirche allein es waren, die den Kreuzzugsgedanken nährten. Vielmehr waren die Kreuzzüge im Hochmittelalter eine absolute Massenbewegung, die „von einer ganzen Zivilisation akzeptiert und gestützt wurde“. Dementsprechend waren sie nicht nur religiös motiviert, sondern von sozialen („Gefühl der Ehre und Familientradition“), ökonomischen („Lockreiz von Land und Geld“) sowie psychologischen Gründen („Sehnsucht nach Abenteuer“) mitbedingt, die „mit dem Glauben einhergingen – und ihn gelegentlich überlagerten“. Andererseits gab es im Westen – schwache, aber nachweisbare – innerkirchliche Widerstände gegen die Kreuzzüge, zugleich strategische Koalitionen zwischen dem Papst und weltlichen Fürsten (die Phillips „säkulare Mächte“ nennt – was aus der heutigen Verwendungspraxis des Begriffs „säkular“ eine Unabhängigkeit und Eigenständigkeit suggeriert, die tatsächlich so nicht gegeben war). Im Orient wiederum gab es vor dem Ersten Kreuzzug jahrzehntelang gewaltsame Übergriffe auf Christen – Aggressionen, die nach und nach dazu führten, dass die bellum iustum-Lehre der (spät-)antiken Philosophie (insbesondere des Augustinus) aktualisiert und der Kreuzzug auch rechtstheoretisch gestärkt werden konnte. Der Verfasser bemüht sich, anhand der Auswertung von Quellen aus der islamischen Welt auch hier „Einblicke in die Motive“ zu gewinnen, wobei nur Texte hinzugezogen wurden, die bereits ins Englische übersetzt worden sind.

In seiner Schlussbetrachtung stellt Phillips noch einmal heraus, dass die Gleichung „Kreuzzug gleich Christentum gegen Islam“ falsch ist: „Was auf den ersten Blick als ein schlichtes Aufeinanderprallen zweier Konfessionen erscheint, erweist sich […] als viel komplexer und widersprüchlicher.“ Dies gezeigt zu haben, ist ein wertvoller Beitrag zur Erforschung dieses brisanten Kapitels der Kirchen- wie auch der Profangeschichte. Jonathan Phillips’ „Heiliger Krieg. Eine neue Geschichte der Kreuzzüge“ ist ein gutes, ein wichtiges Buch. Allein der Untertitel hätte eine Nummer kleiner ausfallen können, denn das, was Phillips bietet, ist keineswegs eine „neue Geschichte der Kreuzzüge“, sondern es sind vielmehr neue Aspekte der Kreuzzugsgeschichte, die in der detaillierten Arbeit herausgestellt werden, die aber durchaus geeignet sind, das Bild der Kreuzzüge teilweise zu revidieren. Die Lektüre kann somit aus der Perspektive der untersuchten Dokumente (unter bewusster Betrachtung auch solcher Zeugnisse, die sich gängigen Interpretationsmodi sperren), zu neuen Ein-, vor allem aber zu veränderten Ansichten führen.

Titelbild

Jonathan Phillips: Heiliger Krieg. Eine neue Geschichte der Kreuzzüge.
Übersetzt aus dem Englischen von Norbert Juraschitz.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2011.
640 Seiten, 29,99 EUR.
ISBN-13: 9783421042835

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