Der Ethnonationalismus - eine düstere Melange
Zum Sammelband "Kritik des Ethnonationalismus"
Von Kai Hass
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie sozialwissentschaftlichen Aufsätze des von Detlev Claussen, Oskar Negt und Michael Werz herausgegebenen Sammelbands, widmen sich dem Phänomen der "Wiederkehr des Nationalismus". Die von namhaften Mitarbeitern wie dem Ethnologen Benedict Anderson, dem Historiker Dan Diner oder dem Amerikanisten Ostendorf verfassten Aufsätze beschäftigen sich hauptsächlich mit einzelnen Problemkomplexen eines in diesem Band als "Ethnonationalismus" bezeichneten Phänomens. Die Texte widmen sich der Auflösung der ehemaligen Sowjetunion oder der "Rassenpolitik" in den USA, aber auch dem Versuch der Definition des "Ethnonationalismus".
Das Interesse an diesem Phänomen sei durch dessen zunehmende Relevanz nach dem "Zusammenbruch des Realsozialismus entlang national-ethnischer Bruchstellen" gerechtfertigt. Zudem könne die auf dieser Wiederkehr von "Konstellationen des 19. Jahrhunderts" basierende "gesellschaftliche Veränderungsdynamik" nur noch "unzureichend in herkömmlichen theoretischen Kategorien gefasst" werden. Damit wird der Anspruch erhoben, ein neues theoretisches Konzept einzuführen. Der "Kritik des Ethnonationalismus" im Sinne einer analytischen Beschäftigung mit diesem Objekt müsste demnach, diesem Anspruch gemäß, auch eine in den Texten vorgenommene oder eine aus diesen ableitbare Theorie der ethnonationalen Ideologie entsprechen. Leider jedoch wird dieser Anspruch nicht eingelöst. Zwar vermitteln die oft kenntnisreichen Aufsätze in der Regel lehrreiche Einblicke in Einzelprobleme, eine Generalisierung der Thesen versucht jedoch keiner der Autoren. So bietet der hier besprochene Band eine Sammlung von durchaus anregenden Einzelaufsätzen, aber dem Problem an sich kommt dieser Band kaum nahe. Anstelle einer generalisierenden Theorie liefert er eben nur eine Definition des Ethnonationalismus, die in etwa den Konsens aller Beiträger markiert.
In seinem einleitenden Aufsatz definiert Werz immerhin den Ethnonationalismus als eine "moderne Ideologie, [...] in der sich Restbestände der geschichtlichen Erfahrungen von Säkularisierung, Nationenbildung und Realsozialismus verbinden". Er muss vom Nationalismus unterschieden werden, "weil sich Ethnonationalismus auf kein konkretes historisches Subjekt mehr bezieht, sondern willkürlich und opportunistisch seine Legitimationen aus der Geschichte zusammenraubt". Dazu ist jedoch noch einiges anzumerken:
Zugegeben, das nationale Denken verändert sich im Lauf der Zeit. So vollzieht sich ein Prozess der Radikalisierung bereits im 19. Jahrhundert, in dessen Verlauf sich der Nationalismus von einer mit Liberalismus korrelierten und kompatiblen Ideologie zu einer ethnozentrischen und partiell rassistischen entwickelt. Dieses Problem wird von Werz durchaus erkannt, wenn er feststellt: "Die universalen, fortschrittlichen Bestandteile aus den Anfangszeiten nationaler Befreiungsbewegungen waren nicht von langer Dauer", aber in Verbindung mit der obigen Behauptung, man müsse "Nationalismus" und "Ethnonationalismus" unterscheiden, ergibt sich die verblüffende Implikation, dass der Ethnonationalismus aus Nationalismus durch Aufnahme von Positionen entstehe, die dem ursprünglichen Nationalismus fremd gewesen wären; dass während der ursprüngliche, liberalistische Nationalismus positiv bewertet werden müsse, der Ethnonationalismus eine negativ zu bewertende Kategorie sei.
Der Terminus "Nationalismus" wäre somit ausschließlich für den positiven liberalistischen Nationalismus des frühen 19. Jahrhunderts zu reservieren, während jeder andere Nationalismus als Ethnonationalismus zu "präzisieren" wäre, wobei allerdings die Definition von Ethnonationalismus genau jene Merkmale enthalten würde, die im allgemeinen Sprachgebrauch als typisch "national" gelten.
Weiterhin ist einzuwenden, dass sich kein Nationalismus auf ein reales und "konkretes historisches Subjekt" bezieht, sondern sich eben dieses erst schafft. Jeder Nationalismus, auch jener der Frühzeit, der zumindest eindeutig nationale Einheiten behauptet, die voneinander abgegrenzt werden könnten, "raubt sich seine Legitimation" zusammen, sei sie historisch, biologisch oder soziologisch, da er sich auf eine Entität bezieht, die nur in der Vorstellung der ihr sich zurechnenden Subjekte existiert, demnach zu einer Klasse von Objekten gehört, die der Soziologe B. Anderson als "imagined communities" bezeichnet.
Nationalismus ist demnach immer ein ethnisches Phänomen, da er von der Existenz eines auf der Basis von biologischen und historischen Gemeinsamkeiten beruhenden Kollektivs ausgeht. Insofern müssen also Bedenken gegen die Nützlichkeit eines im obigen Sinn verstandenen Konzepts "Ethnonationalismus" angemeldet werden.
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