Das Leben und der blaue Schimmer

Mark Greif streift in „Bluescreen“ durch die mediale Gegenwart

Von Stefanie RoennekeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Roenneke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Ich will wie Susan Sontag sein! Wie kann ich die neue Susan Sontag werden?“, zitierte sich der Literaturwissenschaftler Mark Greif einst selbst in einem Interview mit der Musikzeitschrift „Spex“. Nach eigenen Aussagen äußerte er diesen Wunsch noch bevor er die viel gelobte Zeitschrift „n+1“ gegründet hatte und bevor er als der berühmteste New Yorker Intellektuelle auch jenseits des Atlantiks eingestuft wurde. Letzteres Urteil wurde hierzulande erleichtert, da gleich ganze vier Publikationen in kurzer Zeitabfolge bei Suhrkamp erschienen sind. Zudem gibt er die Zeitung „Occupy!“ heraus, die das gleichnamige weltweite Protestphänomen begleitet.

2012 sind nun seine hierzu besprechende Essaysammlung „Bluescreen“, das Buch zum Hipster-Phänomen, das Dokumentationsbuch „Occupy“ und eine Singleauskopplung des Essays „Rappen lernen“ in Deutschland erschienen. Und ja, es kann behauptet werden, dass Mark Greif seinem Wunsch, eine neue Susan Sontag zu werden, sehr nahe kommt. Nur selten wurde ein Intellektueller so deutlich gefördert, und nur selten lag seine Durchschlagskraft darin, dass er sich zum einen der Form des Essays bedient und zum anderen populärkulturelle Phänomene unter die Lupe nimmt, welche die Gegenwart bestimmen. Die Analogien zu Susan Sontag mehren sich also. Der Bogen könnte noch weiter gespannt werden, wenn man beachtet, dass Sontag sich einem einst subkulturellen Slangausdruck zugewandt hat – jenes Camp – es adaptierte, popularisierte, den Nerv einer Zeit traf und plötzlich zum It-Girl der New Yorker Intellektuellen aufstiegt. Mark Greifs Camp ist der Hipster. Denn es ist dieser Band, der auch ihn plötzlich einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht hat. Hier waren insbesondere jene real existierenden Hipster von seinen Ausführungen nicht begeistert. Bekanntlich ist es selten der Fall, dass sich urbane Gruppen selbst bezeichnen – und wenn, dann redet man nicht darüber.

Neben der grell geführten Hipster- und Occupy-Diskussion ist der Band „Bluescreen“ fast untergegangen. Dieser ist bereits im November 2011 bei Suhrkamp erschienen und enthält sechs längere Essays, die mit kürzen Beiträgen ergänzt werden. In seinen Essays geht es Greif dabei um die „die totale Ästhetisierung unserer Leben. Man könnte auch sagen: um ihre Dramatisierung, Narrativisierung“. Und da gemäß Greif unser Leben zwar ereignisloser, aber „von einem Gefühl der Ereignishaftigkeit durchzogen“ ist, „muss all das, was folgt, ‚Schreiben über Medien‘ sein“. Hierbei ist interessant, dass Greif Sex und Geld zu seinem Medienbegriff zählt. Und ja, an Sex mangelt es nicht. Das betrifft die Notwendigkeit der Sexlosigkeit von YouTube, oder das Plädoyer zur Einführung des Asexuellen, bis hin zur Frage, ob zwei verschollene Kinder in einer ‚blauen Lagune‘ zwangsläufig Sex haben werden. Selbst vor den vermeintlichen sexuellen Vorlieben von Harvard-Studenten wird kein Halt gemacht. Die angesprochene ‚ereignislose Ereignishaftigkeit’ durchzieht fast alle Essays und wird in sogenannten „Anästhetische Ideologien“ explizit verhandelt. Greif resümiert die medialen Strukturen, die dem Menschen eine kontinuierliche neue Erfahrung vormachen und zugleich den Wunsch wecken können, sich diesen zu entziehen. Und für alle, die Rap und Hip-Hop seit dreißig Jahren ignoriert haben, schildert Greif innerhalb seines Selbstversuch „Rappen lernen“ einen kurzen historischen Abriss zu dieser Musikform und seiner Bedeutung für einen weißen US-Amerikaner.

Auch wenn die Themen und Überlegungen Greifs nicht jeden überraschen mögen wie es einst Susan Sontag tat, offenbart „Bluescreen“ einen überzeugenden sprachlichen und inhaltlichen Verve, den man hierzulande zwar in den besten Feuilletons findet, die aber nur zu selten in Buchform gesammelt werden. Die Stärke der Texte liegt darin, dass Alltagsbeobachtung, persönliches Interesse des Autors mit Theorie und Literatur geschickt gemischt werden. Kurzum: er schreibt einfach gut.

Ist Mark Greif nun wie Susan Sontag? Natürlich nicht. Sontags Betrachtungen waren trotz ihrer Sensibilität für das Gegenwärtige weniger verspielt und mit einer schweren Ernsthaftigkeit durchzogen. Das machte sie letztendlich auch zu dem viel zitierten „moralischen Gewissen Amerikas“. Auf diesem Weg scheint Mark Greif noch nicht zu sein. Auch die Frage, wie groß sein Einfluss auf die Pop-Theorie sein wird, kann noch nicht beantwortet werden. Es eint das Essay. Jene literarische Form, die in 1960er-Jahren gefragter war als ein Roman. Und vielleicht ist es wieder Zeit, Überlegungen dazu anzustellen, um klarzukommen.

Titelbild

Kevin Vennemann (Hg.) / Mark Greif: Bluescreen. Essays.
Übersetzt aus dem Englischen von Kevin Vennemann.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2011.
230 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-13: 9783518126295

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