Was ist böse?

Für Don Winslow ist das Böse nur Teil des Systems, was alles nicht besser macht. „Die Sprache des Feuers“ zeigt den Autor auf dem Weg zu seinen großen Romanen

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Vorstellung, dass das Böse schwarz oder rot gefärbt ist, Hörner trägt und einen Bart, ein wenig hinkt und ungebührlich Gerüche verbreitet, hat sich glücklicherweise mittlerweile ein wenig verbraucht. Das Böse ist menschlich und außerdem Bewertungssache, wie nicht zuletzt die Auseinandersetzungen zwischen weltlichen und religiösen Weltanschauungen zeigen.

Diese Erkenntnis ist auch bis zum Kriminalroman vorgedrungen, für den ja die Engführung von Normalität, begrüßenswertem Verhalten und Verhalten, das abzulehnen ist, ein immer neu zu besichtigendes Feld darstellt. Dabei ist die Frage, wie die Guten von den Bösen zu trennen sind, und wie man jede dieser beiden Seiten ausstattet, nicht grundsätzlich lösbar, sondern immer nur konkret. Und jede dieser Lösungen hat ihre Ursachen und Bedeutungen, Ziele – und Formen.

Das Böse beispielsweise in kriminelle Banden auszulagern, ist eine der Möglichkeiten, die Trennlinie zwischen den beiden Gruppen klar und scharf zu ziehen. Jugendliche Banden sind seit dem Beginn der Moderne in eine unrühmliche Rolle gerückt, Anthony Burgess „Clockwork Orange“ ist das wohl berühmteste literarische Exempel dafür. Horden junger Leute, die sich am Gut und Leben ihrer biederen Landsleute vergreifen, sind keine angenehme Sache, aber sie sind am Ende doch nur Amateure.

Weitaus anrüchiger sind professionell kriminelle Gruppen, die meist mit dem Beinamen Mafia versehen werden, wahlweise mit diversen Ornamenten wie russische Mafia oder dergleichen. Solche Leute sind besonders brutal, sehr auf ihr eigenes Fortkommen aus und haben keinerlei Skrupel, was Recht und Gesetz oder das Leben und Gut anderer Leute angeht. Anders wären sie auch keine Kriminellen. Dass solche Gruppen im Krimi immer extremer werden, hat nicht zuletzt mit dem Überbietungszwang der Texte und Filme zu tun, der die letzte Grenze, das letzte Extrem immer noch überschreiten muss.

Mit einer solch extrem brutalen kriminellen Vereinigung haben wir es auch im Falle dieses Romans von Dons Winslow zu tun: Einer Truppe um einen ehemaligen russischen Undercover-Agenten, die in verschiedenen Berufszweigen unterwegs sind (Autos, Versicherungen, Einbrüche et cetera), um möglichst schnell, möglichst viel unsauberes Geld zu machen (wir reden hier nicht von Autohändlern, Versicherungsmaklern oder Polizisten).

Wenn solche Leute ihre Anwälte entlassen, dann schießen sie sie über den Haufen, wenn sie einen Konkurrenten ausstechen wollen, dann bringen sie ihn um, wenn sie ein Geldproblem lösen wollen, dann stehlen sie die nötige Summe.

Das Problem: Das Arrangement solcher Gruppen mit der Legalität ist brüchig, und nicht zuletzt deshalb sind sie entweder permanent bedroht oder müssen den Weg zurück in die Gesellschaft antreten (was dann immer wieder zu kleineren Rückschlägen und Rückfällen begleitet wird, von Michael Corleone bestätigen würde).

Das hat der Chef der kriminellen Exil-Russen schon deshalb erkannt, weil er sich von Anfang an darüber im Klaren ist, dass eine Dynastie nur überdauern kann, wenn sie legal ist. Die amerikanische Elite – alles Einwanderer – hat das in drei Generationen geschafft. Nicki Vale, so sein amerikanisierter Name, will das höchstpersönlich hin bekommen. Aus dem extremen Dreck zur amerikanischen Elite? Eine spezifische Variante des Traums vom Tellerwäscher, der Millionär werden will. Könnte man so sagen.

Oder nach Brecht: „Was ist ein Bankraub gegen die Gründung einer Bank?“ Mit anderen Worten, das wahre und große Geld lässt sich nicht mit den Banden machen, zumal sich das Leben im Legalen deutlich ruhiger leben lässt. Das wirklich große Geld lässt sich nur legal verdienen. Wie sich auch das wirklich große Verbrechen nur von denen begehen lassen, die als ganz normale Leute gelten, die einfach nur ihren Job tun.

Das hat nichts mit der strukturellen kriminellen Gewalt zu tun, die dem System innewohnt (vulgo Kapitalismus), sondern damit, dass man das System nur für seine höchst persönlichen Vorteile nutzen kann, wenn man Teil des Systems ist.

Zum Beispiel in Sachen Versicherungen: Die Frau Nicki Vales kommt beim Brand des gemeinsamen Anwesens – hier hat man Anwesen und nicht nur ein schlichtes Haus – um. Unfall einer Säuferin, kennt man. Außerdem soll eine Sammlung alter englischer Möbel dem Brand zum Opfer gefallen sein. Was den Schaden nur noch erhöht. Anwesen kaputt, Frau tot, Möbel verbrannt. Das gibt einen Schaden, des sich sehen lassen kann, und eine Versicherungsentschädigung, die erklecklich ist.

Nur leider gibt es da den Helden, der sich furchtbar selbstlos in die Bresche wirft, hier Jack Wade heißt und Brandermittler einer Versicherung ist, und der will nachweisen, dass Nicky Vale seine Frau umgebracht, die Möbel beiseite geschafft und das Haus angezündet hat. Damit hat er recht, aber nutzt ihm das? Zumal am Ende herauskommt, wer die wahren großen Schurken sind. Sie sind immer und überall.

Titelbild

Don Winslow: Die Sprache des Feuers. Kriminalroman.
Übersetzt aus dem Englischen von Chris Hirte.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2012.
419 Seiten, 14,99 EUR.
ISBN-13: 9783518463505

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