Lichter der Großstadt

Zehn Berlin-Filme in einer DVD-Box

Von Michael BraunRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Braun

An der Großstadt, für die Kunst lange ein Gegenstand ohne Würde, konnte die Kultur der urbanen Moderne einfach nicht vorbeigehen. Mediengeschichtlich interessant ist dabei, dass sich diese, je nach Temperament und persönlicher Erfahrung gesteuerte, Ästhetisierung der Metropole fast zeitgleich im Roman und im Film entwickelt hat. Die städtische Realität wurde um 1900 ein beliebter Stoff für die künstlerische Imagination.

„Berlin Alexanderplatz“ ist das Paradebeispiel für die wechselseitige Befeuerung der Künste. 1929 erschien Alfred Döblins Roman, der mit dem Montageprinzip, der Polyphonie der Stimmen und Beschleunigungseffekten vieles in Phil Jutzis gleichnamigen Film von 1931 vorwegnimmt. Dieser wohl berühmteste Berlinfilm bildet den Auftakt der zehnteiligen DVD-Edition mit Berlinfilmen, die von der „Berliner Morgenpost“ zusammengestellt worden ist. Das Anfangstableau von „Berlin Alexanderplatz“ weist die Richtung: Der Protagonist, hier der entlassene Strafgefangene Franz Biberkopf, gespielt von Heinrich George, stellt sich taub für die rauschende Großstadt, erliegt ihr aber doch am Ende. Das Schöne der Metropole ist des Schrecklichen Anfang.

Die ausgewählten Berlin-Filme zeigen die ambivalente Faszination dieser Großstadt im 20. Jahrhundert. Da das Kino auch Zeitgeschichtsbild ist, wundert es nicht, dass die Goldenen Zwanziger ebenso wie das Nachkriegsberlin, das geteilte ebenso wie das wiedervereinigte Berlin eine wichtige Rolle in dieser Reihe spielen. Die Metropole ist nicht nur Kulisse und werbewirksame Staffage, sondern wirkt als Akteur sichtbar mit. An kaum einem anderen öffentlichen Ort hätte man – wie in dem hier fehlenden Film „Die Bourne Verschwörung“ (2004) – ein konspiratives Agententreffen wirkungsvoller in Szene setzen können als auf dem Alexanderplatz, in dessen Verkehrs- und Publikumsgewirr jede Observation zu einem Alptraum wird. Mit diesem Beispiel hält die nächtliche Verfolgungsjagd in der Friedrichstraße, die Jaume Collet-Serras Verschwörungsthriller „Unknown Identity“ zeigt, durchaus Schritt.

Dieser bei der Berlinale 2011 gezeigte Film schließt die Reihe ab. Der neue Hauptbahnhof und alte U-Bahnhöfe, das Hotel Adlon am Pariser Platz und die Oranienburger Straße sind die Orte, die hier das Geschick eines Amerikaners bestimmen, der sich in der ihm fremden Metropole ohne Identitätspapiere und mit einer offenbar brüchigen Erinnerung zurechtfinden muss. Dabei hat er keine Hilfen außer allerlei Berlin-Stereotypen, die besagen, dass der Himmel über Berlin grau, die Menschen rau und die kulturellen Grenzen fließend sind. Nicht die eigene Frau, nicht der beste Freund, sondern ausgerechnet ein Ex-Stasi-Offizier und eine bosnische Taxifahrerin werden zu Schutzengeln des Protagonisten, der sich am Ende als Auftragskiller mit Amnesie entpuppt.

Man kann mit der Reihe vor allem die Nachkriegsgeschichte der Stadt als Filmgeschichte sehen lernen: Sie reicht von Roberto Rossellinis Nachkriegs-Noir-Film „Deutschland im Jahre Null“ (1947) über Helmut Käutners Zuckmayer-Adaption „Der Hauptmann von Köpenick“ (mit Heinz Rühmann, 1956) und Georg Tresslers Coming-of-Age-Film „Die Halbstarken“ (1956), Billy Wilders Ost-West-Komödie „Eins-Zwei-Drei“ aus dem Jahr 1961, die sozusagen über Nacht, mit dem Mauerbau, ins tragische Fach überlief, Wim Wenders’ vielfach ausgezeichneten „Der Himmel über Berlin“ (mit Bruno Ganz und Otto Sander, 1987) und Reinhard Hauffs Musical-Verfilmung „Linie 1“ (1988) bis zu den tragikomischen und nicht immer ostalgiefreien Abgesängen auf die DDR: Leander Haußmanns „Sonnenallee“ (1999) und Wolfgang Beckers „Good Bye, Lenin!“ (2003).

Die Berlinfilme zeigen die Stadt als Ort der Verführung, der Kriminalität, als bedrohten oder verheißungsvollen Lebensraum, aber auch als Spielfläche für Entfremdung, Einsamkeit und Sehnsucht, eine deutsche Stadt der Engel und der Dämonien der Moderne. Berlin im Film: das ist in dieser Edition ein gespieltes, ein historisch oder auch ironisch gespiegeltes Berlin. Kein dokumentarisches. Die Flughafenszenen in „Unknown Identity“ wurden in Leipzig gedreht. In einer solchen Reihe hat dann – leider, muss man sagen – der Dokumentarfilm „Berlin – Die Sinfonie der Großstadt“ (Regie: Walther Ruttmann, 1927) nichts verloren.

Berlin-Edition. Zehn Filme (DVDs). Hrsg. von der Berliner Morgenpost. 2012. Enthält: Berlin Alexanderplatz / Deutschland im Jahre Null / Der Hauptmann von Köpenick / Die Halbstarken / Eins, Zwei, Drei / Der Himmel über Berlin / Linie 1 / Sonnenallee / Good Bye, Lenin! / Unknown Identity. 99,– Euro.